Abenteuer im Bergland von Vietnam. Auf Schlammpisten unterwegs zu farbenfroh gekleideten Minderheiten-Völkern und ihren bunten Märkten

Die Familie des Bauern Lo Van lebt traditionell: vier Generationen unter einem Dach, von der Urgroßmutter, die am Fenster Gemüse schält, bis hin zu den Babys, von denen eines gerade gestillt, das andere vom Großvater in der Hängematte geschaukelt wird - ein Bild, das im nördlichen Bergland von Vietnam noch oft anzutreffen ist.

Wir waren über eine Hängebrücke in das Dorf gelangt, hatten uns dort ein wenig umgeschaut, bis uns überraschend Herr Lo in sein Stelzenhaus bat, eine steile Treppe hinauf in den großen Wohn-, Schlaf- und Gemeinschaftsraum. Wir tauschen Höflichkeitsfloskeln aus, ein selbst gebrannter Reisschnaps, mit Kräutern ungewisser Herkunft versetzt, wird angeboten, der für unseren Geschmack allerdings ziemlich gewöhnungsbedürftig ist. Bao, unservietnamesischer Begleiter, übersetzt den Small Talk. Er muss genau hinhören, denn die Landessprache ist nicht die Muttersprache des Bauern Lo Van. Seine Familie gehört zur Gruppe der Schwarzen Tai, einer von mehr als 50 Minderheiten, die im nördlichen und im zentralen Bergland siedeln, zusammen an die zehn Millionen. Die Gesamtzahl aller Einwohner von Vietnam nähert sich der 90-Millionen-Grenze.

Die Tai, nicht verwandt mit den Tay, wohl aber mit den Thai, aus deren Land sie vor Jahrhunderten eingewandert sein sollen, gliedern sich in Clans, die unterschiedliche Dialekte sprechen und verschiedene Trachten tragen: schwarze, rote, weiße. Und nach ihrer Kleidung werden sie auch benannt: Die Lo Vans gehörten zu den Tai Dam, den Schwarzen Tai. So weit Bauer Lo zurückdenken kann und so weit es ihm sein Vater und sein Großvater erzählt haben, ist seine Volksgruppe hier zu Hause, nicht weit von der laotischen Grenze entfernt.

Seit zehn Tagen sind wir unterwegs in den Bergen des Nordens, und noch immer können wir nur mithilfe unseres Freundes Bao die Ethnien, die uns am Straßenrand, in den Dörfern, auf den Märkten begegnen, auseinander halten: Rote Tai, Rote Hmong, Rote Dao? Hilf, Bao, sag du uns, wer hier zu welchem Völkchen gehört. Sie alle leben, mehr oder weniger streng, nach ihren alten Traditionen, aber mehr neben- als miteinander. Die Tay, so hören wir, schauen auf die Dao herab, die Hmong auf die Nung, und die Vietnamesen, das große, vorwärts strebende Mehrheitsvolk, mögen die Minderheiten allesamt nicht so recht.

Von Hanoi aus waren wir zunächst nach Westen und dann nach Norden gefahren, zwei Tage lang auf guten Straßen. Seither schaukelt das schwere Fahrzeug über Pisten, die kein klimatisierter Rundreisebus bewältigen kann. Ausgefeilte Tagesprogramme sind bei dieser Reiseform sowieso unmöglich. Also haben wir Station gemacht, wie es sich ergeben hat, in privaten kleinen Gasthäusern, einmal in einer Lodge, der wir drei Sterne verliehen haben, oft genug in schmutzigen Hotels, die von Gewerkschaften und Regierungsbeamten schlecht geführt und seit Jahren heruntergewirtschaftet waren.

Die Nächte waren in einigen dieser äußerlich oft stattlich wirkenden Herbergen von Geräuschen geprägt, deren Ursache wir uns manchmal lieber nicht zu Ende denken mochten, es krabbelte und raschelte in allen Ecken, auf dem Dach, in den Wänden. Die Tage hingegen waren ausgefüllt mit atemberaubenden Landschaftserlebnissen und mit Begegnungen, wie sie eine organisierte Tour mit festgelegtem Rhythmus wohl nie ermöglicht hätte.

In Ban Lac zum Beispiel, wo Frau Su an einem Webstuhl aus Bambus arbeitet. Sie hat ihn von ihrer Mutter geerbt, und davor hat schon die Großmutter auf diesem Gerät so farbenfrohe Schals gewebt, wie Su sie heute zuweilen an Fremde verkauft. Drei Tage braucht sie für einen der populären Umhänge; zusammen mit dem, was ihr Mann mit seinem Reisfeld einbringt, reicht es für ein bescheidenes, gutes Leben, wie sie sagt. Eine ihrer Töchter tanzt manchmal vor Touristen in der benachbarten "Mai Chau Lodge". Alte Erntetänze werden dort aufgeführt, auch solche, mit denen noch zu Su's Jugendtagen der Frühling im Dorf begrüßt wurde.

Wir folgen einer Straße, die vor noch nicht allzu langer Zeit ein Teilstück des Kokainpfades markierte, auf dem von Laos der Stoff nach Vietnam und Südchina geschmuggelt wurde. Muong Lay heißt unser Etappenziel. Der Weg wird immer schlechter - und immer spannender: Manchmal dauert es zehn Minuten und länger, bis wir einen der alten IFA-Lastwagen aus der DDR-Zeit überholt haben, die Teekisten oder Baumaterial über die Berge schleppen. Mütter aus dem Volk der Roten Hmong, die Babys fest auf den Rücken geschnallt, jäten Unkraut am Straßenrand, vermutlich Futter für die vielen schwarzen Schweine, die allerorten zwischen Hunden und Hühnern und rotznäsigen Kleinkindern herumschnüffeln.

180 Kilometer sollen es noch bis Sapa sein, dem bekanntesten Ort des Berglandes. Eine Imbisspause am Straßenrand eingerechnet, Hackfleisch und Weißkohl in Frühlingsrollen aus Reispapier, sind wir auf dieser Etappe acht Stunden unterwegs. Die Knochen schmerzen, als hätten wir die Strecke auf störrischen Eseln zurückgelegt. Dann endlich, am späten Nachmittag, Durchatmen in Sapa, saubere Betten, warme Duschen und noch mehr Komfort, wie wir ihn seit Tagen nicht mehr genossen haben.

Das Zentrum des Nordens ist ein sympathischer Luftkurort in etwa 1600 Meter Höhe. Sein mildes Klima und die reizvolle Umgebung haben schon die französischen Kolonialherren vor 100 Jahren geschätzt. Der Fan Si Pan, mit 3143 Metern der höchste Berg Vietnams, ragt aus den Bergen der Nachbarschaft. Morgens, wenn die Luft noch klar, aber das Tal schon wolkenverhangen ist, schwebt der Gipfel des Fan Si Pan wie eine Götterfestung über Sapa. Nach ihm sind in der kleinen Metropole Hotels, Bars und Cafés benannt. Den besten Cappuccino trinken wir auf der Terrasse des "Fan Si Pan" an der Hauptstraße, mit Blick auf Pariser Bergchic, auf Reisende mit gewaltigen Rucksäcken, auf Rote Hmong und Schwarze Dao, die ihre selbst gewebten Umhänge lächelnd anpreisen.

Nie zuvor hatten wir von Bac Ha gehört. Erst vor der Abfahrt aus Hanoi hatten uns Freunde ans Herz gelegt, den Schlenker einzuplanen, ein paar Autostunden von Sapa aus nach Osten. Unbedingt an einem Sonntag sollten wir dorthin fahren, wenn sich dort Hmong, Dao, Tai und andere Bergler zum wohl farbenprächtigsten Markt Südostasiens treffen. Sind es heute wirklich an die 100 000 Menschen, wie unser Freund Bao behauptet, die sich hier durch die Gassen der Schnapsbrenner, Gaukler, Wahrsager, Handleser und Haarhändler drängeln? Der penetrante Geruch der Fleisch- und Fischstände treibt uns schon bald auf einen Hügel, zu einem Viehmarkt, der aus einem anderen Jahrhundert hierher versetzt zu sein scheint.

Giang Sao, ein Bauer aus dem Volk der Blumen-Hmong, hat einen sechsstündigen Marsch hinter sich. Noch vor Tagesanbruch ist er losgezogen, das Tempo auf dem Weg von seinem Dorf zum Markt von Bac Ha hat La Chi bestimmt, sein Wasserbüffel. Heute will Herr Sao ihn verkaufen, für die Arbeit im Reisfeld ist ihm La Chi keine große Hilfe mehr, zu alt und zu schwach ist er geworden.

Freund Bao, unser Dolmetscher, hat einen Händler gefunden, der Saos Sprache spricht. Also geht das Gespräch vom Englischen ins Vietnamesische, von da in die Mundart der Blumen-Hmong und den gleichen Weg zurück. Ein Interessent, ein Kleinbauer aus der Umgebung, prüft die Zähne des Zugtieres, ein Zeichen, dass er ihn noch gebrauchen will. Er klopft wie ein Doktor, der die Reflexe prüft, gegen La Chis Beine und drückt immer wieder seine Hände in dessen Rücken.

Das Ergebnis, nach gut zwei Stunden Plaudern und Teetrinken, fällt überraschend aus. Der Kleinbauer hat nämlich gar nicht so viel Geld flüssig wie der Besitzer für seinen betagten Büffel fordert. Aber er hat, was Herr Sao ohnehin mit nach Hause nehmen wollte: zwei noch sehr kleine Jungtiere. Also tauscht man ganz einfach: Handschlag, zwei scharfe Reisschnäpse, dann machen sich alle Beteiligten auf den Heimweg. Herr Sao hofft, sein abgelegenes Dorf noch vor Einbruch der Dunkelheit zu erreichen.