Auch 2011 werden die Bundesbürger Weltmeister im Reisen sein. Freizeit- und Tourismusforscher Prof. Dr. Ulrich Reinhardt gibt einen Ausblick auf die Urlaubstrends des Jahres

Professor Dr. Ulrich Reinhardt ist der neue Wissenschaftliche Leiter der Stiftung für Zukunftsfragen, einer Initiative von British American Tobacco (BAT) in Hamburg. Auf der "Reisen Hamburg" stellt der Freizeit- und Tourismusforscher die 27. BAT Tourismusanalyse über das Reiseverhalten der Deutschen in 2010 und die Reiseabsichten in 2011 vor, in persönlichen Gesprächen mit 4000 Deutschen ab 14 Jahren durchgeführt von der GfK Marktforschung Nürnberg. Im Abendblatt verrät Prof. Dr. Reinhardt bereits, welche Entwicklungen sich dabei abzeichnen.

Abendblatt:

Bleiben die Deutschen Weltmeister im Reisen?

Prof. Dr. Ulrich Reinhardt:

Auch 2011 werden die Deutschen wieder Reiseweltmeister werden. Eher verzichten die Bundesbürger auf die neue Couchgarnitur, das neue Auto oder sparen im Alltag, als dass sie die besten Wochen des Jahres daheim bleiben.

Wohin geht die Reise laut Ihrer neuen Tourismusanalyse?

Reinhardt:

Deutschland ist und bleibt das Lieblingsreiseziel der Deutschen. Bei den ausländischen Reisezielen verteidigt Spanien wieder unangefochten Platz eins, mit einigem Abstand gefolgt von Italien und der Türkei. Überraschenderweise wurde Griechenland 2010 nicht so hart abgestraft, wie die World Tourism Organization es vorausgesagt hatte. Ob es 2011 so bleibt, wird sich zeigen. Generell werden Mittelmeerziele so gefragt sein wie bisher. Ich tippe auch, dass spätestens 2012/13, bedingt durch die demografische Entwicklung, Österreich eine Renaissance erleben wird, unter anderem, weil das Preis-Leistungs-Verhältnis dort sehr attraktiv ist.

Bleiben wir bei Deutschland. Wo liegen die regionalen Schwerpunkte?

Reinhardt:

Der Dreikampf Ostsee-Nordsee-Bayern entwickelt sich zunehmend zum Zweikampf Ostsee - Bayern. Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein sind geradezu prädestiniert für Familienurlaub mit Sonne, Strand und Meer. Dagegen ist Bayern für die Generation 50 plus attraktiver als die Küste. Die Nordsee bleibt zwar beliebt, kann aber nicht mehr ganz so viele Gäste für sich begeistern.

Wie sieht es bei Fern- und Mittelstreckenzielen aus? Wird Dubai, das von Hamburg aus per Nonstop-Flug zu erreichen ist, weiterhin boomen?

Reinhardt:

Dubai wird sich als Urlaubsdestination nicht durchsetzen. Es beeindruckt durchaus beim ersten Besuch, aber man fährt deswegen nicht noch einmal hin. Die Mittelmeerdestinationen hingegen vermitteln echtes Erholungsgefühl und sind auch weniger kostenintensiv. Fernziele außerhalb Europas sind nur für etwa jeden zehnten Touristen interessant. Weiterhin beliebt bleiben hierbei die Karibik und die USA. Diese übt nach wie vor eine große Faszination aus, denn der Dollar ist immer noch gut bewertet, und sie bietet alles - Wasser, Berge, Nationalparks, große Städte. Ansteigend sind die Buchungen auch nach Asien.

Sind die meisten Deutschen im Urlaub lieber aktiv oder ziehen sie es vor, am Strand zu faulenzen?

Reinhardt:

Erholung bleibt das Kernmotiv. Dabei ist der Erholungsfaktor am Strand sehr hoch. Als Kontrast zum Alltag, um die Seele baumeln zu lassen, Abstand von Schule und Arbeit zu gewinnen, den Kopf frei zu bekommen. Dieses gelingt sehr gut am Wasser. Denn am Strand sind alle gleich. Da kann man weder mit einem dicken Auto vorfahren noch eine teure Handtasche mitnehmen. Soziale Schicht oder beruflicher Status spielen dort kaum eine Rolle.

Gibt es einen Trend in der Reiseart, der sich besonders deutlich abzeichnet?

Reinhardt:

Das sind sicherlich die Kreuzfahrten, die in den letzten zehn Jahren fast jährlich zweistellige Zuwachsraten verzeichnen. Es sind nicht mehr nur Passagiere, die ihre silberne oder goldene Hochzeit auf einem Schiff feiern. Bei den Themenkreuzfahrten ist für jeden etwas dabei: Für Singles, Paare, Kulturliebhaber, Sprachinteressierte. Der Vorteil von Seereisen: Jeden Morgen hat man einen neuen Blick und genießt den Komfort eines Vier- oder Fünf-Sterne-Hotels bei hoher Sicherheit und exzellenter Gastronomie. Die Kreuzfahrtindustrie müsste sich aber noch mehr an Familien herantrauen.

Wie steht es mit der Aufteilung des Urlaubs?

Reinhardt:

Nur etwa jeder zehnte Deutsche verreist öfter als einmal pro Jahr. Der Mehrurlaub ist gegenüber den 90er-Jahren, als das Geld deutlich lockerer saß, rückläufig. Beim Kurzurlaub erholt man sich zudem auch nicht wirklich. Medizinische Untersuchungen haben ergeben, dass man sich erst nach 18 Tagen körperlich zu erholen beginnt.

Wie sehen Sie die Zukunft des Winterurlaubs?

Reinhardt:

Winterurlaub ist der klassische Zweiturlaub. Er bleibt auch weiterhin stabil. Après-Ski wird hierbei ebenso wichtig wie das Skifahren selber. Dafür haben die Destinationen viel getan. Die Frage ist, wie lange sich das alles finanzieren lässt, wenn Wintersport nur noch über 2000 Meter und ansonsten durch Schneekanonen möglich ist.

Wie Pilze aus dem Boden schießen weltweit All-inclusive-Anlagen und Ferienclubs. Warum sind Ihrer Meinung nach solche Urlaubsoasen so beliebt?

Reinhardt:

Der Gast will auch in Zukunft gern an die Hand genommen werden und Gleichgesinnte finden. Ich selber fahre mit meiner Frau, meinem fünfjährigen Sohn und meiner sechsmonatigen Tochter zum Beispiel gern zum Winterurlaub in einen Ferienclub nach Österreich. Da kann meine Frau mit Gleichgesinnten vormittags Ski fahren, während ich auf die Kleine aufpasse. Am Nachmittag tauschen wir dann. Zwischendurch hat auch unser Sohn für uns "Zeit", ansonsten genießt er die Kinderskischule. Wir haben Halbpension gebucht und gehen auf Ausflügen auch gern auswärts essen. Beim All-inclusive-Angebot gibt es kaum Chancen, dass man in einer kleinen Taverne auch mal den Rotwein vom Winzer trinkt oder die Paella in einem spanischen Lokal kostet. Den großen Vorteil sieht der Gast aber darin, dass er schon bei der Buchung weiß, wie viel der Urlaub genau kosten wird. Aber es gibt kaum All-inclusive-Anlagen, in denen nicht Sportarten wie Tauchen, Reiten oder Golfen extra bezahlt werden müssen.

Kommen wir noch einmal auf das Interesse an der Urlaubsregion zu sprechen. Studien- bzw. Rundreisen scheinen nicht besonders hoch im Kurs zu stehen?

Reinhardt:

Die Kultur- und Bildungsreise bleibt ein Nischenmarkt. Das Interesse an Kultur steigt zwar, aber der Kulturbegriff hat sich geändert. Es handelt sich dabei nicht nur um die Sixtinische Kapelle in Rom, sondern auch um das Pferderennen Palio di Siena, um Straßenfeste oder Flohmärkte. Jeder Tourist will zwar auch Kultur erleben und entdecken, aber auch andere Urlaubsmotive von der Erholung bis zum Kontakt mit anderen erfüllt wissen.

Wie lange wird die Wellnesswelle noch hochschwappen?

Reinhardt:

Der Wellnessboom ist vielleicht eher vorbei, als dass er sich wirklich durchgesetzt hat. Den Nachteil bei Wellness sehe ich darin, dass es zu zeit- und kostenintensiv ist. Nur wenige Gäste können gleichzeitig das Angebot nutzen, außerdem spielt sich alles in Innenräumen ab. Die Leute wollen aber im Sommerurlaub nicht den halben Tag drinnen verbringen. Wellness ist eher attraktiv für den Kurztrip.

Wird Ihrer Ansicht nach die Flugzeugsteuer eine starke Auswirkung auf das Buchungsverhalten haben?

Reinhardt:

Ich glaube nicht an negative Auswirkungen. Wenn ich mich entscheide, in den Urlaub zu fliegen, dann spielen 50 Euro mehr auch keine große Rolle. Ich persönlich finde ohnehin, dass Fliegen zu günstig ist.

Wie stark fließen ökologische Aspekte in das Buchungsverhalten ein?

Reinhardt:

Das ist leider ziemlich nachrangig. Deutsche, die für den Emissionsausgleich beim Fliegen zahlen, liegen im Promillebereich. Und kaum einer macht sich im Ausland Gedanken darüber, wie er die deutsche Zeitung am Morgen oder deutsches Bier am Abend serviert bekommt. Wer einmal in die Karibik fliegt, hinterlässt einen so starken ökologischen Fußabdruck, dass er für den Rest des Jahres zu Hause nicht mehr heizen und duschen dürfte. Wir Deutschen sind Umwelt-Kleinbausteine-Weltmeister: Wir trennen unseren Müll, wechseln auf Energiesparlampen und schalten Standby-Geräte meistens ab. Aber nicht mehr zu fliegen - ich nehme mich selber davon nicht aus - oder weniger heiß zu duschen, das sind die Stellschrauben, an denen wir weder im Alltag noch auf Reisen wirklich drehen.