Die Savanne im Norden ist seit 60 Jahren Nationalpark. Ein neuer Dokumentarfilm zeigt die Weiten der Wildnis und ihre enorme Tierfülle.

Was treibt Reisende bloß, schon beim Abflug in Amsterdam in voller Safari-Montur wie ein Großwildjäger aufzutrumpfen? Sind diese Passagiere auf dem Weg nach Tansania übermütig, übereifrig oder bloß überengagiert? Es sind nicht gerade wenige, die da in der Wartehalle von Schiphol sitzen, in Khakihosen und -hemden, mit festen Bergschuhen und Tropenhut. Im Handgepäck die einschlägigen Reiseführer, die festen Vorstellungen bereits im Kopf. Und irgendwo baumelt "ganz sicher" der Brustbeutel mit Reisepass und Dollarnoten.

Jeder hat sein ganz persönliches Safari-Bild von Ostafrika im Kopf. Dabei füllt allein schon der bilderbuchartige Norden Tansanias ein ganzes Kapitel: Serengeti, Ngorongoro, Grumeti, Tarangire und natürlich Kilimandscharo! "The Northern Circuit" - das ist noch immer pure Verheißung, ungestillte Sehnsucht. Nach Tierbeobachtung und unendlichen Weiten, nach Big Five und staubiger Savanne, nach Vulkankratern und Urwaldwasserfällen. Nach Massai und einer gehörigen Prise Äquator-Exotik, gemixt mit Hemingway-Abenteuerliteratur.

"Schuld" an diesem Film, den jeder von uns vor seinem inneren Auge hat, sind Menschen wie Margarete Trappe, Bernhard und Michael Grzimek, John Wayne und Hardy Krüger, Reinhard Radke und Reinhard Künkel oder nicht zuletzt Marlies und Jörg Gabriel, die allesamt ebendieser Faszination erlegen waren. Doch der Reihe nach.

Margarete Trappe (1885-1957) muss eine äußerst couragierte Frau gewesen sein. 1907 bricht die Deutsche gemeinsam mit ihrem Mann Ulrich von Schlesien nach Deutsch-Ostafrika auf. Die passionierte Jägerin beginnt, sich ihren Traum von einer Farm in Afrika zu erfüllen und baut die Farm Momella am Fuß des Kilimandscharo auf. Ihr Glück hält nicht lange, 1920 muss sie Ostafrika gemeinsam mit allen anderen Deutschen verlassen. Doch die Faszination war so groß, dass sie 1925, nun mit britischem Pass, zurückkehrte. Die Einheimischen nannten sie ehrfurchtsvoll "die weiße Jägerin". Zwei Jahre nach ihrem Tod hatte Hollywood Interesse an Momella und der Jagd auf wilde Tiere: John Wayne und Hardy Krüger gingen hier mit Lassos von offenen Willys-Jeeps und umgebauten Lastwagen im Filmklassiker "Hatari" auf Nashornjagd. Krüger erlag schon während der Dreharbeiten dem Reiz von Momella und kaufte die Farm schließlich der Familie Trappe ab. Zehn Jahre konnte er sie besitzen und zu einem lukrativen Buschhotel ausbauen, dann musste er sie Anfang der 70er-Jahre aufgeben und wie die Trappes Tansania den Rücken zukehren: Die sozialistischen Reformen des Landes zwangen ihn förmlich dazu.

Zu Hardy Krügers Traumfarm gehörten auch zwei private Wohnhäuser, die heute die "Hatari Lodge" bilden, gepachtet und geführt von dem in Kenia aufgewachsenen Deutschen Jörg Gabriel (Autor des Tansania-Standardwerks im Reise Know-how Verlag) und der in Namibia geborenen Marlies Gabriel. Sie haben es geschafft, eine stilechte Lodge mitten in der Wildnis einer Feuchtsavanne mit Wasserlöchern aufzubauen, die von Büffeln, Wasserböcken, Warzenschweinen und Giraffen regelmäßig aufgesucht wird. Zur Freude der Gäste, die auf einem in die Savanne ragenden Holzsteg ihrem Traum von Afrika nachhängen. Marlies Gabriel ist es zu verdanken, dass die neun Gästezimmer ohne jede "Trophäen-an-der-Wand"-Attitüde auskommen, stattdessen hat sie die Räume im poppigen Retro-Stil der 60er- und 70er-Jahre dekoriert. Ein offener Kamin in jedem Zimmer und eine Wärmflasche unter jeder Bettdecke machen das Einschlafen zum wohligen Erlebnis - das Poltern herumtollender Meerkatzen auf dem Wellblechdach ist ein origineller und verlässlicher Wecker am Morgen.

Von Bernhard Grzimeks Wirken und Schaffen in der viel weiter westlich von Momella liegenden Serengeti, seinen Bemühungen um die Einrichtung von Nationalparks und nicht zuletzt seinem verfilmten Buch "Serengeti darf nicht sterben" hat sich der deutsche Tierfilmer und Zoologe Reinhard Radke anstecken lassen. Zwar sind bereits zahllose Naturdokumentationen und fantastische Bildbände (wie etwa von Reinhard Künkel oder Mitsuaki Iwago) erschienen, doch erstaunte es Radke, dass in den 50 Jahren seit Grzimeks Filmklassiker und 60 Jahren seit Gründung des Serengeti-Nationalparks niemand mehr einen Versuch gemacht hat, die "große Weite" oder "endlose Ebene" (so das Massai-Wort "siringet") in einem Kinofilm zu würdigen. "Es war eigentlich längst überfällig, die großartige Landschaft mit der unglaublichen Tierfülle auf die Kinoleinwand zu bringen", so Radke, dessen Werk "Serengeti" am 30. Januar in Berlin Premiere hat. Allerdings klammert der Dokumentarfilm den politischen Beschluss, 2012 eine Schnellstraße durch den Park zu bauen, aus. Wirtschaftliche Interessen kollidieren hier mit einem der letzen tropischen Ökosysteme, in dem es großräumige Tierwanderungen gibt.

So eindringlich, so nah, so klar und in so perfekter Zeitlupentechnik wie Reinhard Radke etwa ein im Fluss kauerndes Krokodil beobachtet, das darauf wartet, eines der vielen durstigen Gnus am Ufer zu packen und unter Wasser zu ziehen, wird man die Serengeti als Tagesbesucher selbstverständlich nie erleben. Serengeti oder Ngorongoro erfüllen auch so alle Erwartungen ans Kopfkino: die Elefantenfamilie, die sich am Wasserloch labt, die Giraffe, die sich im majestätischen Zeitlupengalopp in Bewegung setzt, eine junge Löwin, die satt und faul auf einem Felsen döst, der Geier, der seinen federlosen Hals in die Eingeweide eines verendeten Gnus steckt. Fotoapparate klicken, Videokameras surren. In jedem von uns steckt ein kleiner Reinhard Radke.

Doch manchmal sind es gerade die Momente, die man optisch nicht festhalten konnte, jene Erlebnisse, die sich einem besonders einprägen. Etwa der Leopard, der mit Einbruch der Dunkelheit vor den Geländewagen läuft, sich dann nur wenige Meter vom Fahrzeug entfernt im immergrünen Dickicht des Arusha Nationalparks aufhält. Für Sekunden hält er inne, dann streift er weiter ins Dunkel, eine halbe Minute später lässt er sich noch mal kurz blicken, um dann die erstaunten Fahrgäste mit ihrem "Habt ihr das gesehen"-Gefühl zurückzulassen. Unvergesslich auch der Sonnenaufgang mit einem Massai auf dem Leopardenhügel von "Shu'mata". Wohl in Fürsorge, mich nicht allein in der Wildnis stehen zu lassen, gesellt sich Massai-Guide Meijo zu mir. Er ist in sein rot-schwarz kariertes "shouka"-Tuch gehüllt, an den Füßen Sandalen aus alten Lkw-Reifen ("raiyo"), in den Ohren das für seinen Stamm typische große Loch. Unsere Blicke gen Sonnenaufgang, Richtung Kilimandscharo gerichtet. Er spricht genug Englisch, um meine Komplimente für sein schönes Land zu verstehen. In Meijos Sprache Maa bedeutet "Shu'mata" so viel wie "über den Wolken" oder "Himmel". Für mich ist dieses luxuriöse Refugium, errichtet aus einer Handvoll Wohnzelte im besten Hemingway-Stil, ein Stück jener Magie, die Ostafrika ausmacht. "Shu'mata" ist kein Nationalpark, keine bestellte Folklore, noch nicht mal ein "richtiges" Hotel. Es ist ein kleines, feines temporäres Camp auf einem Hügel im ursprünglichen Stammesgebiet der Massai. Ein unvergesslicher Ort. Auch wenn man ihn nicht fotografiert hat.