Wenn Hamburgs bekanntester Syrer Touristen durch sein Heimat führt, öffnen sich dem Reisenden Türen, die sonst meistens verschlossen bleiben

Hanna Saliba liegt reglos auf dem Boden. Mahmud stemmt sich mit seinen 90 Kilo auf Salibas Rücken. Dessen Wirbelsäule tut einen Schlag, dann lässt Mahmud ab vom Rücken und greift Salibas Beine.

Hanna Saliba ist Syrer - und seit 40 Jahren auch Hamburger: Mit dem Restaurant "Palast der tausend Lichter" wurde er in Hamburg bekannt. Mahmud ist Bademeister, seit 35 Jahren. Beide treffen in einem der ältesten Badehäuser von Damaskus aufeinander. "Al Malik As Sahir" heißt jener Hamam an der Umayyaden-Moschee, im Zentrum der Damaszener Altstadt. Schon vor tausend Jahren sollen Araber an diesem Ort gebadet haben, erzählt Mahmud. Er nimmt einen weißen Handschuh, rau wie Schmirgelpapier. Kreisend reibt er über Salibas Haut - minutenlang, bis Bauch, Arme und Beine gut durchblutet sind.

Willkommen in Salibas Damaskus. Dem echten, dem traditionellen und dem modernen. Hierhin führt er jetzt deutsche Reisegruppen, elfmal im Jahr. Eines seiner Hamburger Restaurants hat er dafür geschlossen und ein Hotel eröffnet - in seinem Damaskus.

Eukalyptusextrakte, Sandelholz und Lavendel, das, was Deutsche für orientalische Düfte halten, gibt es nicht im ältesten Hamam von Damaskus. Die Seife ist aus gepresstem Olivenöl, der Schmirgel-Handschuh aus Ziegenhaar. "Wellness" gibt es bei Bademeister Mahmud nicht. Dafür aber Kraft. Viel Kraft. Saliba hat seinen Kopf auf die Hände gebettet. Zum Abschluss nimmt Mahmud Salibas Arme hinterm Kopf hervor, verschränkt sie vor dessen Brust und drückt. Ein letztes Knacken in Salibas Rückgrat und Mahmuds Arbeit ist getan. "Jetzt fühl ich mich richtig gut, als ob der Stress des Tages von mir abgewaschen ist", sagt Saliba pathetisch.

Hanna Saliba, 60 Jahre alt, ist groß gewachsen, trägt sanfte Züge in seinem runden Gesicht. Er ist ein Mann, der weiß, was er will und wie er es erreicht: so charmant wie möglich. Und er liebt seine Heimat. Saliba hat es wehgetan, zu sehen, wie das Ansehen seiner Heimat leiden musste. US-Präsident George W. Bush hatte Syrien auf die "Achse des Bösen" gesetzt - weil der Staat radikale Gruppen wie Hisbollah und Hamas unterstützt. Jetzt zeigt Saliba den Hamburgern sein Syrien: im Kebab-Schlachthaus, in der Künstler-Galerie, im Hamam, fernab der Politik. "Ich will für mein Land mehr Anerkennung!", sagt Saliba und ist zufrieden mit sich, wenn Gäste in seinem Hamburger Restaurant nach der Reise sagen, dass sie sich auf den Straßen von Damaskus sicherer fühlen, als in London, und dass auf den Märkten weniger geklaut werde, als in Rom.

Mit einem Preis von 2480 Euro pro Person macht Saliba noch dazu einen guten Schnitt - gemessen am niedrigen syrischen Preisniveau. "Aber darum geht es mir nicht", er sei genügsam, sagt Saliba über sich selbst.

Saliba kam einst als Seefahrer nach Deutschland, im Alter von 19 Jahren hat er Nautik in Hamburg studiert. Ein Jahrzehnt ist er um die Welt gefahren, nach Südamerika, Afrika und Südostasien, dann wollte seine Frau Beatrix Kinder mit ihm. Er ließ sich in Hamburg nieder, begann syrisch zu kochen, wurde wohlhabend und berühmt. Saliba, der Seefahrer - das hört sich an, wie eine Geschichte aus "1001 Nacht".

Geschichten wie diese erzählt Abu Schadi jeden Abend in Damaskus. Über ihn sagen die Damaszener, dass er ihr letzter Hakawati sei, der letzte Geschichtenerzähler. Wenn er auf den verzierten Erzähler-Thron steigt, dann ist das "Café Al Naufara" an der Umayyaden-Moschee so voll, dass nur die wenigsten Touristen einen Platz finden. Hanna Saliba hat nach seinem Hamam-Besuch Glück, seine Freunde haben ihm einen Stuhl freigehalten.

Abu Schadi erzählt Geschichten von Liebe, Lust und Sex, von Intrigen, Gewalt und Reichtum. Einiges davon kennen Syrer nur aus Erzählungen. In den Altstadtgassen und den Straßen der Neustadt sind nur die wenigstens reich, und nur wer verheiratet ist, hat Sex. Und wer wen heiratet, entscheiden in vielen Fällen die Familien.

Abu Schadi trägt einen roten Hut mit schwarzer Quaste, einen breiten Gürtel und ein weites Gewand. Er erzählt, wie ein fremder Geschäftsmann in die Stadt kommt und die Tochter des Statthalters von Damaskus bezirzt. Sie hat eine jüngere Schwester, sehr schön und sehr einsam. Das bedauert die ältere, also lädt sie ihre Schwester zu einem ihrer Liebesabende ein. Die drei essen Sorbet mit Früchten, trinken Wein und entzünden Wachskerzen - dann fallen sie im Bett über einander her.

Saliba lehnt sich in seinem Baststuhl zurück, zieht an der Wasserpfeife, und findet seine Ruhe im lauten Café am belebten Basar. Abu Schadi erzählt, wie der Fremde an jenem Morgen erwachte, sich zum Mädchen drehte, weil er es wecken wollte, "da rollte ihr Kopf herunter, er war abgeschnitten", Abu Schadi verzieht sein Gesicht vor Wut, legt seine Nase in Falten und der Stock, den er in der Hand hält, schmettert er auf einen Schemel aus Metall. Saliba sitzt zwei Meter daneben und zuckt zusammen. Die Tochter ist zur Mörderin ihrer jüngeren Schwester geworden, doch die Geschichte nimmt ein gutes Ende - im orientalischen Sinne. Der Statthalter hat noch eine dritte Tochter, und die gibt er nun dem Geschäftsmann zur Frau.

Später in der Nacht dringt lateinamerikanische Musik durch die Gassen. Hunderte Araber tanzen in einem Damaszener Innenhof: Zitronen- und Granatapfelbäume stehen an dessen Rändern, Mosaike aus Tausenden bunten Kacheln zieren die Wände aus weißem Basaltstein, blau gestrichene Fensterrahmen umrunden den Innenhof. Eine Band aus Argentinien hat ihre Bühne aufgebaut. Davor tanzt Hanna Saliba, ein ganz besonderer Freund hat zu dieser speziellen Nacht in Damaskus eingeladen: Mustafa Ali, einer der führenden zeitgenössischen Künstler Syriens. Seine Bewunderer in der arabischen Welt zahlen Zehntausende Euro für die Skulpturen aus Holz und Metall. Moderne Kunst ist auf dem Vormarsch. Der "Abraaj Capital Art Prize" aus den Arabischen Emiraten ist heute der höchst dotierte Kunstpreis der Welt. "Die Menschen sind durstig nach Kultur", sagt Ali, "ich will, dass die Syrer durch Kunst etwas von der Welt kennenlernen."

Buntes Licht flutet den Innenhof, auch Alkohol wird heute Abend ausgeschenkt. "Er ist jetzt der Macher in Damaskus", sagt Saliba über Ali: Er brachte die Stadtverwaltung dazu, die Bunker unter der Altstadt freizugeben, damit er Ausstellungsräume für junge Künstler schaffen kann, er hat Kunst-Workshops ins Leben gerufen, erklärt Saliba. "Ich bin kein Schwätzer, ich tue was!", sagt Ali und lacht laut - und meint es ernst. Ali ist die treibende Kraft. Und er hat es nicht leicht: Ein paar Häuserblocks weiter steht ein Haus, vielleicht das von Abraham Hafa. Kürzlich ist die Decke eingestürzt. Die Bücher liegen jetzt unter freiem Himmel. Abraham war der Schatzmeister der Synagoge. In seinen Aufzeichnungen von 1935 ist abwechselnd mit arabischen und hebräischen Schriftzeichen Buch geführt. Die Juden von Damaskus waren in der arabischen Gesellschaft integriert, doch mit dem Nahost-Konflikt entstand ein brutaler Streit. Avidor wird nicht zahlen, denn "Avidor wurde umgebracht", steht irgendwo auf einer Seite, inmitten von Zahlen und Namen.

Heute leben noch rund 100 Juden in Damaskus. Die anderen sind gegangen, einige nach Israel, einige nach Nordamerika, wohin genau weiß keiner. Fast alle Häuser im Judenviertel erzählen diese Geschichte: Die Vorhänge zerrissen, die Fassaden verschmiert, der Blick durch zerbrochenen Fensterscheiben offenbart verbrannte Sessel, verwucherte Innenhöfe.

Gerade hier will Mustafa Ali aus einem toten Stück Stadt das hippste Viertel von Damaskus machen. Bisher hat die syrische Regierung die jüdischen Häuser nicht enteignet - politisch zu brisant. Ali hat ein Haus gefunden, das in den Besitz eines Irakers übergegangen war. "Bist du verrückt, was willst du hier? Das ist verlassenes Gebiet, guck dir den Schutt an", sagte ihm der Immobilienmakler im Jahre 2004. Er wisse, dass Menschen ihm folgen, sagte Ali stolz. Acht Millionen Syrische Pfund hat er hingelegt, 120 000 Euro - "sauteuer und verdammt riskant", sagt er heute.

Sechs Jahre danach tanzt Hanna Saliba in seinem Innenhof. Alis Kollegen sind ihm gefolgt: Heute leben und arbeiten 20 Künstler im verlassenen Judenviertel. Er hat es geschafft, hat den neuen Hotspot der Kunstszene geschaffen. 2010 sind nicht mehr alle Türe mit einem Vorhängeschloss verriegelt. Hier und da steht eine Tür offen, dahinter sind die Wände frisch geweißelt, arbeiten junge Künstler. Luxushotels eröffnen hier, die Immobilienpreise haben sich vervielfacht. Nur Ali ist hier wieder weggezogen: Nach der Arbeit will er seine Ruhe zurück.

Video: Damaskus - Paradies in der Wüste