In Bad Harzburg erfahren Besucher alles über die Wiederansiedlung der Luchse im Harz

Tamino ist missgestimmt: Der weißgraue, braun gefleckte Luchs rührt sich nicht aus seiner Ecke. Auch als Forstarbeiter Ralf Vojtisek ein Stück Hirschkeule ins Gehege wirft und Luchskatze Pamina sich darüber hermacht, interessiert ihn das keinen Deut. "Er vermisst Bella", sagt Vojtisek. "Auch Attila im anderen Gehege ist sehr traurig, dass seine Gefährtin gestorben ist." Jetzt prasseln die Fragen nur so: Können Luchse überhaupt traurig sein? Wie kommt es, dass ein Tier an Nierenversagen stirbt? Warum leben die Pinselohren in der Wildnis nur zwölf bis 15, im Gehege aber bis zu 20 Jahre?

Um die 30 Besucher sind heute zur Fütterung gekommen. Vojtisek, in grünem Fleece-Pullover und mit grüner Mütze, geht auf alle Fragen ein und schildert das Leben von Deutschlands größten Raubkatzen sehr anschaulich: Ein Kilo reines Wildfleisch braucht ein Luchs pro Tag, Rehe und Hasen zumeist. Große Läufer sind sie alle: Ein Luchs mit Peilsender wurde abends an dem einen, morgens am anderen Ende des Harzes lokalisiert - 60 Kilometer hat er in dieser Nacht zurückgelegt. Vor ein paar Jahren schlich sich ein verliebter "Kuder" aus dem Wald ins Gehege. Als die Mitarbeiter kamen und er sich in die Enge getrieben fühlte, schnellte er ohne Anlauf hoch, segelte über den vier Meter hohen Zaun und kugelte unverletzt den Abhang hinunter.

Die drei Luchse, alle in Wildparks geboren und an Menschen gewöhnt, stehen sozusagen im Dienste der Öffentlichkeitsarbeit des Nationalparks Harz. Von Bad Harzburg aus wird Lynx lynx seit zehn Jahren erfolgreich ausgewildert. An den Schaugehegen sollen Besucher eine Vorstellung vom Aussehen und Leben der Raubtiere bekommen, deren letzter "freier" Vertreter im Harz am 18. März 1818 erschossen wurde. Schäferhundgroße Muskelpakete sind es, mit breiten Pfoten und den berühmten Pinselohren, rehfarben bis hellbraun, dann auch wieder grau getupft. Sie sehen und hören exzellent, haben aber keinen guten Geruchssinn.

Im "Haus der Natur" in Bad Harzburg führt Nationalpark-Förster Christian Lux in die Geschichte des Projekts ein. Im Jahre 2000 entließ man erste Luchse in die Wildnis. 24 wurden es bis 2006, Tiere aus Wildparks aus ganz Europa. Zuvor beobachtete man sie in einem Gehege im Wald: Nur die, die scheu und nicht zu vertraut mit Menschen waren, durften in die Wälder. Ab 2002 wurden die ersten Jungtiere frei geboren. Um die 70, schätzt man, wurden es mittlerweile. Aber viele kamen durch Katzenräude, Unfälle oder Kämpfe mit Konkurrenten um. Wie viele Luchse heute im Harz unterwegs sind, weiß niemand. Jäger, die das Projekt lange Jahre mitgetragen haben, reden von sechs, sieben Dutzend. Sie fürchten um das von ihnen so geschätzte Muffelwild, eine Schafsorte, die einst aus Korsika eingeführt wurde. Nicht zuletzt deshalb wurde die Auswilderung 2006 erst einmal gestoppt. Fest steht jedenfalls für Lux: "Der Harz ist heute wieder flächendeckend von Luchsen besiedelt."

Zwei der Tiere, die bei einem Verkehrsunfall getötet wurden, stehen ausgestopft im Haus der Natur. Daneben zeigen Filme, wie Luchse in Fallen gefangen und mit Sendern versehen werden, und vom Band ertönt der eulenähnliche Ruf, der fast 200 Jahre aus dem Harz verschwunden war. Bleibt für den Besucher noch, sich selbst aufzumachen ins Revier der Tiere. Der Teufelsstieg ist ein 13 km langer Wanderweg von Bad Harzburg hoch zum Brocken. Nach etwa einer Stunde führt der Weg an der rauschenden Ecker entlang. Steil steigen die Felsen zur Rechten an, kantiger, klobiger Stein, der von dürrem Gras und grünen Flechten überzogen ist.

Dazwischen ragen Stümpfe in den Himmel, zersplitterte Stämme hängen schief in den Astgabeln der Nachbarbäume, entwurzelte Riesen liegen kreuz und quer. Meist sind sie von Schwämmen und Moos besetzt, fast vergangen. Löchrige Baumruinen modern majestätisch, und über allem liegt ein geheimnisvoller grüner Schein. Hier, im Schluchtenwald Eckernhang, der aus Forschungszwecken seit 60 Jahren sich selbst überlassen wurde, stehen Buchen und Eschen, die bis zu 150 Jahre alt sind. Mehr an solchem Wald zu haben, ist das erklärte Ziel des Nationalparks. "Wir bauen die Plantagen um", sagt Lux. Borkenkäfer dürfen Fichten eliminieren, junge Buchen werden gepflanzt, Lichtungen mit Sturmschäden der Natur überlassen. Und es würde den Besucher nicht wundern, wenn sich auf der Klippe gegenüber die Silhouette eines Luchses gegen den Abendhimmel abzeichnete. Passiert aber nicht - und es spielt auch keine Rolle. Es genügt das Wissen, dass der "Wald" wieder Wald wird und dass sein elegantester Bewohner nach fast 200 Jahren zurückkehrt. Endlich findet im Harz wieder zusammen, was zusammengehört.