In Pulsnitz, einem hübschen kleinen Städtchen in den Hügeln östlich von Dresden, wird das beliebte Gebäck noch traditionell von Hand gefertigt

Hinter den sieben Bergen, bei den sieben Zwergen" - das kommt einem in den Sinn, wenn man über die Hügel östlich von Dresden braust. Denn plötzlich taucht tief unten im Tal ein schmuckes Städtchen auf, mit farbenfrohen Häuschen eng an krumme Gassen geschmiegt.

In dieser Stadt überlebte ein außergewöhnliches Handwerk, das man riechen kann. Gespannt folgt man dem Duft von Nelken, Ingwer und Zimt bis an die Schwelle eines winzigen Hauses mit tiefen Decken und schiefen Wänden. Riesige Mehlsäcke stehen im Flur, im Raum dahinter Kartons mit Kakao, Anissternen, Nüssen, Koriander und Kardamom. Im Innern wird es wärmer, ein dicker Backofen bollert vor sich hin und erinnert an heimelige Kindertage.

Es kommt Sehnsucht auf nach tiefem Schnee, nach Bratäpfeln und Pfefferkuchen. Tatsächlich werden hier gerade welche gebacken, denn wir sind in Pulsnitz bei Pfefferküchlermeister Peter Kotzsch, in der ältesten Pfefferküchlerei Deutschlands, einem Familienbetrieb, wo noch traditionell gearbeitet wird. Der Meister holt soeben ein Blech mit Pfefferkuchenherzen aus dem Ofen, Ehefrau Gabriele verziert ein Brett mit "Spitzen". Diese gefüllten Schokoladenspitzen sind die Spezialität schlechthin in Pulsnitz. "Fruchtig, pikant und nicht zu süß", so beschreibt sie Peter Kotzsch.

Aber auch Alpenbrot, Pflastersteine, Wallnusskuchen oder Schokoladenherzen werden hier gebacken, nach alten Rezepten und in Handarbeit, fast wie vor mehr als 450 Jahren, als die ersten Pfefferküchler in der "Pfefferkuchenstadt Pulsnitz" urkundlich erwähnt wurden. Aus "Lebekouchen" formten bereits die Germanen Kultfiguren. Unter der Zugabe von Honig wurde Brot zu Süßgebäck. Später dann brachten Seefahrer fremde Aromen aus Asien und dem Orient mit, die wurden mit dem Honigkuchen vermengt. Da Pfeffer das bekannteste und teuerste Gewürz war, nannte man die Gewürze auch Pfeffer. Heute sind mehr als acht Gewürze im Pulsnitzer Pfefferkuchengrundteig - Pfeffer ist nicht darunter.

Bei den Kotzschs wird das Pfefferkuchenhandwerk schon in achter Generation gepflegt, seit 1813 gibt es die Pfefferküchlerei Hermann Löschner in der Großröhrsdorfer Straße. Der Urgroßvater und der Großvater waren Pfefferküchler, und der zwölfjährige Sohn Martin weiß heute schon, dass er mal Meister werden wird. Auch sein Vater hat als Kind in der Backstube geholfen. Jetzt steht er täglich kurz nach fünf auf, schaltet Backofen und Schokoladenüberzugsmaschine an, dann erst frühstückt er mit der Familie, sieben Tage die Woche. Von seinem Handwerksbetrieb leben hier inzwischen acht Menschen.

Vor der Wende sollten die Pulsnitzer 18 Millionen DDR-Bürger mit Pfefferkuchen versorgen, dass es da zu Engpässen kam, versteht sich von selbst. Auch wollte der Staat kräftig mitverdienen, und wenn ein Meister ohne Kinder den Betrieb aus Altersgründen aufgeben musste, durfte es keine Neueröffnung mehr geben. Von mehr als 30 Pfefferküchlereien gibt es heute nur noch acht. Nach der Wende dauerte es fast zehn Jahre, bis der Berufsstand wieder anerkannt wurde. Man munkelt, dass dazu eine Menge Pfefferkuchen nach Bonn geschafft werden mussten. Wie 25 andere Gewerke war das Pfefferküchlerhandwerk in den alten Bundesländern bereits ausgestorben. Bäcker sollten sie sich nennen oder Konditoren.

Aber sie buken weder Schrippen noch Torten, allein nur Pfefferkuchen, und zwar an 365 Tagen im Jahr. Den Pulsnitzern geht es inzwischen gut, das sieht man. Straßen und Bürgerhäuser sind hübsch saniert, desgleichen der Marktplatz mit knallrotem "Ratskeller". Hier reicht man den Sauerbraten mit Pfefferkuchensoße. Ein paar Ecken weiter patentierte sich die Konkurrenz vom "Schützenhaus" die Weltneuheit des Pfefferkuchenstollens, einen "Backunfall", wie es heißt.

Die herrliche Barockkirche leuchtet zitronengelb und das Schloss mit der Kurklinik ganz in Weiß. Eine historische Sternwarte gibt es auch, genau gegenüber der Pfefferküchlerei Löschner, des Weiteren eine Blaudruckerei, die Älteste von ganz Deutschland, und vier Töpfereien, die alle mit der Bunzlauer Schwämmeltechnik arbeiten. "Allerdings sind das Wichtigste doch die Pfefferkuchen", meint die Meisterin Gabriele Kotzsch, "sie haben der Stadt die Touristen und den Wohlstand gebracht." Früher war sie einmal Krankenschwester. "Heiratet man hier einen Pfefferküchler, ist klar, wie es weitergeht." Bereut hat sie es nicht.

Mit einer kleinen Papiertüte voller Zuckerguss verziert sie Schokoladentaler mit dem Schriftzug "Dresdner Frauenkirche", eine große Bestellung, daneben sitzen Tochter und Sohn, die das Gleiche tun. Was ist denn anders als bei den Industriepfefferkuchen? Peter Kotzsch verzieht das Gesicht: "Die Unterschiede sind riesig, das schmeckst du auch. Das geht mit dem Teig los, bei uns ist kein künstliches Triebmittel drin." Ein guter Pfefferkuchenteig muss mehrere Monate in Holzfässern reifen, so der Meister, das könne man sich woanders gar nicht leisten. In der Regel besteht der Teig aus Roggen- und Weizenmehl, Honig und Sirup, inzwischen gibt es aber auch reine Vollkornteige und Pfefferkuchen für Diabetiker.

Nach der langen Lagerung kommt der Teig in die Teigbreche und wird dort mit den geheimen Gewürzen vermischt. "Da hat jeder so seine Mischung", meint der Meister, "die Kunden schmecken das heraus und wir untereinander auch. Hier weiß jeder Pfefferküchler, aus welchem Haus der Pfefferkuchen kommt."

Es gibt Stammkunden, die fahren seit 40 Jahren zur Familie, auch die kleinen bunten Papphäuschen mit den Märchenmotiven sind seit den 60er- Jahren Kult. Der meiste Verkauf geht über das Ladengeschäft im Erdgeschoss, über Markttage in der Region und immer mehr via Internet. Ein hartes Stück Arbeit. Nur die so genannte "Pfefferkuchen GmbH", ein Großbetrieb in Pulsnitz, wo industriell produziert wird, hat es in die Handelsketten geschafft. "Allerdings haben die sich da auch der Konkurrenz mit Nürnberg und Aachen zu stellen. Zu uns kommen Kunden wegen der Kategorie Slow Food, Genießer, die Qualität und Tradition suchen. Außerdem würden wir mehr auch gar nicht schaffen, unsere Kapazitäten bewegen sich an der Grenze", erklärt Peter Kotzsch.

An die 40 verschiedene Produkte bietet jeder Pfefferküchler: Kirschbomben, Nougatspitzen, Schokozungen, sogar Pfefferkuchenschnaps und -likör sind dabei. Konkurrenz herrscht nicht, im Gegenteil: "Weil die Zutaten dann günstiger werden, bestellen wir vieles gemeinsam. Auch wenn mal eine Maschine ausfällt, hilft man sich hier."

Einmal im Jahr machen die Kotzschs Familienurlaub, im Februar, da geht es ganz weit weg: Thailand oder Kanada. "Doch ohne Pfefferkuchen halte ich es da nicht aus", erklärt der Meister, "ein paar Beutelchen fahren mit."