Am Ufer der Schlei, die sich über 40 Kilometer ins schleswig-holsteinische Land gräbt, lassen sich im Herbst entspannte Tage mit Familie verbringen

Fünf Uhr nachmittags, die Herbstsonne blinzelt durch das Grün, wirft ihre letzten, schwachen Strahlen über das Wasser und taucht den kleinen Ort Missunde in warmes, fahles Licht. Nikos nimmt einen tiefen Schluck Tee aus seiner Tasse und zieht seine Jacke an. "Es ist ein guter Tag heute", sagt er und deutet auf eine Plastiktüte neben seinen schweren Gummistiefeln. "Die Barsche beißen."

Nikos, ein Grieche in den Fünfzigern, hat sein Herz an diesen norddeutschen Landstrich verloren, schon vor Jahren. "Moment", sagt er und zieht die Angel ein. "Schon wieder einer." Der Barsch zappelt, er nimmt ihn ab, ein kurzer Schlag, dann ein langer Schnitt. Nikos wirft ihn zu den anderen in die Tüte, sagt, dies sei schon sein Zwölfter in zwei Stunden. "Die schmecken wunderbar, meine Frau friert sie portionsweise ein."

Zeit für meine Söhne, ihre Angeln bereit zu machen. "Welchen Köder nehmen Sie denn?", fragen Tim, 13, und Jakob, 7, unisono und breiten ihre Utensilien neben Nikos aus. Der schiebt ihnen ein Schälchen kleiner, weißer Maden rüber, erzählt von den Barschen, die gerade schleiaufwärts schwimmen, um dort abzulaichen. "Die sind richtig hungrig", sagt Nikos, grinst breit, und zieht den nächsten raus.

Für ihren Fischreichtum ist die Schlei bekannt. Für die Barsche, die jetzt im Herbst so zahlreich beißen und für die Heringe im Frühjahr. Für Aal, Butt und Zander. "Aber natürlich unternehmen wir dieses Wochenende auch noch anderes", tröste ich Nora, 10, die für Fische nichts übrig hat. Was? Wir sitzen im Cafégarten des Missunder Fährhauses, rühren in Kaffee und Kakao mit Schlagsahne, während ich die Schokoladenseiten der Schlei aufzuzählen versuche: kleine, verträumte Städte und reichlich unberührte Natur. Watteweiche Strände ganz in der Nähe und kleine sandige Nischen an jeder Ecke. Und nicht zu vergessen: jede Menge Wikinger.

Die Schlei. Wie ein riesiger Finger gräbt sich der Meeresarm ins schleswig-holsteinische Land hinein, zerschneidet das wellige Grün, das die Eiszeit-Gletscher zu Hügeln zusammengeschoben haben. Von Schleimünde landeinwärts, fast 43 Kilometer weit bis nach Schleswig. An den Ufern wuchert blondes Schilf. Schwarz schimmernde Kormorane kreisen in der Luft. Hier und da ragt ein hölzerner Steg ins Wasser, "ja, die Schlei ist wie geschaffen zum Segeln", wird mir später ein Segler bestätigen, der an Missundes Kaimauer festgemacht hat. "Wissen Sie, wie viele Häfen es an der Schlei gibt? - 42."

Einer davon ist Marina Hülsen, nicht viel mehr als ein wackeliger Steg mit einer Wiese davor, "aber das ändert sich in Kürze", sagt Jonn Minners. "Nächstes Jahr wird der Hafen neu gebaut und auch ein Restaurant." Minners hat das Areal bei dem kleinen Dörfchen Bohnert vor drei Jahren gekauft, 7,5 Hektar. Bis 2008 standen hier Zelte und Wohnwagen, inzwischen ducken sich Ferienhäuser ins Schilf. "Sieben stehen schon, fünf kommen bis zum kommenden Sommer dazu", so der grau melierte 48-Jährige. Ich schaue aus dem Fenster. Die Schlei gurgelt vorbei. Man hört das leise Rauschen des Schilfs und das Knistern des Kaminofens.

Doch die Schlei hat noch viel mehr zu bieten als nur Wasser und Schilf. Arnis zum Beispiel, die kleinste Stadt Deutschlands, deren grob gepflasterte Straße durch Kopfweiden und kleine, postkartenschöne Häuschen gesäumt ist. Kappeln mit seiner Klappbrücke, die sich jede Stunde öffnet, um den Segelschiffen Einlass in das Schleirevier zu gewähren. Und Schleswig natürlich.

Schleswig steuern wir am Tag darauf an. Wir nehmen bei Missunde die kleine Autofähre, mit deren Hilfe man die Schlei an ihrer schmalsten Stelle überqueren kann. Fahren über Brodersby und Klensby nach Schleswig. "Warum heißen die Orte hier alle so komisch?", will Jakob wissen. Der Anhang "-by" kommt aus dem Dänischen und heißt so viel wie "Dorf, Stadt". Links gräbt sich die Schlei weiter ins Land. Bis sich Schleswig vor uns ausbreitet.

Wer mit Kindern an die Schlei reist, der kommt an Schleswigs Attraktionen kaum vorbei, vor allem nicht an Haithabu. "Sind Wikinger so etwas wie Indianer?", will Jakob auf dem Weg dorthin wissen. Ich denke noch über eine Erklärung nach, als wir zum Wikinger-Museum Haithabu wandern. Wie erklärt man Wikinger? "Nicht wirklich", sage ich, "Wikinger waren Krieger, Krieger, die zur See gefahren sind."

In den folgenden Stunden sehen wir in dem gerade wieder eröffneten Museum, was von den Wikingern noch übrig ist, Schmuck und Waffen aus längst vergangenen Zeiten. Schiffsteile, die in der Gegend gefunden wurden, "hier befand sich vom 9. bis zum 11. Jahrhundert eines der bedeutendsten Handelszentren Nordeuropas", erklärt ein Museumsangestellter. In den nahe gelegenen Wikinger-Häusern beobachten die Kinder, wie über offenem Feuer aus Scherben Glasperlen hergestellt werden, sie schießen mit Pfeil und Bogen auf einen hölzernen Dachs und machen Feuer, wie es die Wikinger getan haben - mit Eisenstab und Feuerstein.

Zurück in der Gegenwart, in Marina Hülsen, unserem Feriendomizil. Hasen flitzen durch den Garten, am Wegesrand wuchern Holunder und Brombeere, Enten schimpfen. Ich schichte Kohle auf, Nora zündet sie auf alte Wikingerart an, und eine halbe Stunde später brutzeln fast ein Dutzend Barsche auf dem Grill, selbst gefangen selbstverständlich.

Man könnte noch Tage bleiben oder Wochen und würde immer wieder neue, unbekannte Seiten der Schlei entdecken. Damp zum Beispiel, wo man über die Bausünden hinweg auf den wunderbaren Strand und das Meer schauen kann. Man könnte sich auf dem Obsthof Stubbe durch das Tortenangebot schlemmen. "Und baden", schlägt Nora vor.

"Dafür ist es schon zu kalt", sage ich, "da müssten wir ein anderes Mal wiederkommen." Meine Kinder nicken einträchtig. Die eine, weil sie sich im Sommer gerne mal in die Schlei stürzen würde. Und die beiden Jungs, weil sie an die Heringe denken, die jedes Frühjahr in großen Schwärmen kommen.