In Dublins Pubszene wird jede Nische neben der Bar zur Bühne - die Künstler haben viel Konkurrenz, das garantiert Abwechslung

Als deutscher Abklatsch von Bob Dylan muss man es hier gar nicht erst versuchen", sagt Christian Volkmann. Der Musiker blickt die Grafton Street entlang, Dublins Epizentrum für den Sound von und auf der Straße. In der Fußgängerzone der irischen Hauptstadt, die den verwunschenen Park St. Stephen's Green mit dem altehrwürdigen Trinity College verbindet, ist es nahezu unmöglich, nicht auf Schritt und Tritt Live-Musik zu erleben. Instrumentenkoffer sind zwischen Cafés und Modehäusern ebenso oft gesehene Accessoires wie Handtaschen und Einkaufstüten. Und wenn da eine rothaarige Schülerin auf der Fiedel den klassischen Irish Folk spielt, begleitet von Freundinnen an Knopf-Akkordeon und der traditionellen Ellenbogenpfeife, der Uilleann Pipe, dann scheint sich das Klischee von der musikalischen grünen Insel aufs Schönste zu bestätigen.

Nicht umsonst ziert das Wappen der Republik, die Harfe, sowohl die irischen Euromünzen als auch Gläser und Flaschen des würzigen Guinness-Bieres. Doch ob nun jahrhundertealte Weisen erklingen, ob komplette Rockbands ihr Programm abfahren oder tanzwütige Sängerinnen eine Musical-Einlage hinlegen, eines eint die Dubliner Straßenkünstler: "Das Niveau ist erstaunlich hoch", erklärt Volkmann.

Der Wahl-Dubliner, der in Hamburg aufwuchs und mit 21 Jahren sein Glück auf der Insel suchte, weiß, wovon er spricht. Anfangs hat er mit seiner Mundharmonika auch unter freiem Himmel sein Geld verdient. "Am liebsten in Toreinfahrten. Wegen der Akustik", erläutert der schlaksige Typ mit dem hageren Gesicht, der - wüsste man es nicht besser - selbst schon wie ein irisches Original aussieht. "50 bis 100 Euro verdient ein guter Straßenmusiker am Tag", sagt Volkmann. "Aber die Konkurrenz ist groß." Mittlerweile spielt der 35-Jährige lieber in den zahlreichen Pubs auf. Entweder geplant, als bezahlter Auftritt, oder spontan bei einer der unzähligen Sessions. Denn anders als in der deutschen Kneipenkultur ist jede Nische neben der Bar und jede Sitzecke in Dublin eine potenzielle Bühne.

Am Ursprünglichsten spürbar ist der Geist der traditionellen irischen Musik im Cobblestone nordwestlich der City im Stadtteil Smithfield (77 King Street North). In dem denkmalgeschützten Haus verbirgt sich einer der typischen holzvertäfelten Pubs, die mit ihrem dunklen Charme und dem noch dunkleren Bier die Seele zum Verweilen einladen. Den Soundtrack zu diesem Ambiente liefert eine bunt aus Jung und Alt zusammengewürfelte Folk-Combo, die in der Ecke am Fenster sitzt, plaudert, trinkt und immer wieder zu den Instrumenten greift. "Als junger Spieler lernt man die Songs nicht bei einem Lehrer, sondern in den Kneipen", erklärt Volkmann. Und wer dieses klangvolle Können gewinnbringend investieren möchte, der findet in den Musikbars des Amüsierviertels Temple Bar reichlich Gelegenheit.

Die gleichnamige Straße sowie die Gässchen drum herum sind ein wahres Eldorado für Feierwütige. Megapubs wie The Oliver St. John Cogarty bieten das Rundumsorglos-Paket aus Folk, Guinness, deftigem Pub-Essen inklusive Hostelbett oder Hotelzimmer (Fleet Street 58-59). Allerdings hat das Viertel - ähnlich wie der Vergnügungsmagnet Reeperbahn oder die durchsanierte Berliner Mitte - viel von seiner urigen Aura eingebüßt. Für tagsüber, wenn Temple Bar noch nicht überquillt mit trinkenden, tanzenden und später torkelnden Touristentruppen, hat Volkmann einen Geheimtipp parat: Seit beachtlichen 40 Jahren verkauft der Plattenladen Claddagh Records an der Cecilia Street 2 traditionellen irischen Folk, auch Roots-Music genannt. Und die Pinnwand mit Aufrufen zu Sessions und der Suche nach Bandmitgliedern zeugt zudem vom vibrierenden Musikleben Dublins. Ohnehin lohnt vor allem am Sonnabend ein Bummel durch die Plattenläden der Stadt. In großen Shops wie Tower Records, Wicklow Street 8, aber auch kleineren wie der Celtic Note, Nassau Street 12, präsentieren aktuelle Bands ihre neuesten Werke. Eine wahre Fundgrube für Folkliebhaber.

Ein Vollblutmusiker wie Volkmann, der die raue Intimität des Pubs und den Sound handgemachter Songs liebt, zieht es eher selten in die großen Nightlife-Tempel der Stadt. Doch auch diese hippe urbane Seite Dublins existiert. In kombinierten Klubkonzerthallen wie dem P.O.D. an der Harcourt Street und der Button Factory an der Curved Street können Fans von Pop bis Elektro zu DJ-Sets und Gigs internationaler Stars die Nacht zum Tag machen.

Volkmann hingegen trifft sich mit seinen Kollegen lieber in den neuen angesagten Straßen Dame Street und Dame Lane, wo die einheimische Szene feiert, ohne auf die enge dampfige Pub-Atmosphäre zu verzichten. Nur einen Katzensprung vom trubeligen Temple Bar entfernt, aber noch nicht so eingefahren. Im Sweeney's Mongrel, Dame Street 32, einem gemütlichen dreigeschossigen Laden zwischen Jugendstil, Spelunke und Lounge, hat NC Lawlor montags seinen Stammabend. Der Typ, der mit Cowboyhut und -stiefeln problemlos in jedem Western den Gesetzlosen geben könnte, spielt von sieben bis neun Blues und Country. Am nächsten Tag ist ein anderer Pub an der Reihe. Der Gitarrist und Sänger ist einer der Glücklichen, die mit ihrem Schaffen so eben über die Runden kommen. "In Dublin gibt es eine Inflation von Talent, aber durch die Rezession werden viele Musiker kaum bezahlt", sagt Volkmann. "Viele spielen für Essen und Bier. Doch wovon wollen sie die Miete zahlen?" Die Immobilienkrise hat auch Irland, den "keltischen Tiger", der lange als Wirtschaftswunderoase galt, kalt erwischt.

Mit seinen eigenen Bands, zum Beispiel der Blues- und Soulgruppe Ali & the DTs, ist Volkmann gefühlt bereits in jedem Laden in Dublin aufgetreten. So auch im J. J. Smyth's, einem gediegenen Jazz- und Blues-Klub, in dem Lämpchen auf den Tischen anzeigen, dass die Gäste während des Konzerts bitte nicht sprechen, sondern nur lauschen sollen (Aungier Street 12). Die innige Hingabe der Iren zur Tonkunst zeigt sich jedoch nicht nur in solch feiner Symbolik.

Mit dem Kinofilm "Once" setzte Regisseur John Carney der Musik in und aus Dublin 2007 ein Denkmal und heimste sogar einen Oscar für den besten Song ein. Die Geschichte, die von einem Straßenmusiker erzählt, wurde unter anderem in dem Musikladen Waltons, an der South Great Georges Street 69, gedreht. Auch wenn Volkmann das Geschäft für "leicht überteuert" hält, ist hier alles von der rosa Gitarre bis zur metallenen Whistle erhältlich. Und so ausgestattet ist es auch nicht mehr weit bis zum ersten Outdoor-Gig an der Grafton Street. Vorausgesetzt, man ist gut genug für das Dubliner Pflaster.