Ilulissat ist die drittgrößte Stadt und das Tourismuszentrum Grönlands - hier schieben die Gletscher täglich Millionen Tonnen Eis ins Meer. Die Region gehört zum Unesco-Weltnaturerbe

Die zwölf Gäste auf der "Katak" sind aufgeregt. Sie stehen auf dem Vordeck des Kutters, das nervöse Klacken der Kameraverschlüsse scheint das gemütliche Tuckern des Schiffsmotors übertönen zu wollen. Der Grund für die Aufregung liegt backbord: Eisberge, strahlend weiß, von ultramarinblauen Streifen durchzogen, bis zu 40 Meter aufragend. Die Sonne scheint, die Szenerie wirkt geradezu surreal - hier im Eisfjord beim Städtchen Ilulissat an der Westküste Grönlands.

Inuit-Kapitän Anda Samuelsen steuert vorsichtig an den Brocken vorbei, der Holzkutter ist schließlich kein Eisbrecher. Das Eis stammt vom Gletscher Sermeq Kujalleq. Der kalbt beständig, die teils Häuserblock-großen Brocken gehen nun auf die Reise zur kanadischen Küste, dann südwärts - einige fast bis New York.

Der Kutter startet in Ilulissat, mit knapp 5000 Einwohnern ist dies die drittgrößte Stadt und das Zentrum des Tourismus auf Grönland. Das verdankt Ilulissat vor allem den Eisbergen. Nirgendwo sonst auf der Nordhalbkugel entlassen Gletscher so massiv Eisberge wie am Sermeq Kujalleq. 20 Millionen Tonnen sind es täglich. Seit 2004 gehört die Region zum Unesco-Weltnaturerbe.

Oben, auf dem 3000 Meter dicken Inlandseis, herrschen Temperaturen bis minus 50 Grad, hier an der Küste ist es jedoch erträglich. Im Sommer herrschen in Ilulissat tagsüber um plus zehn Grad. Im Frühjahr minus sechs bis minus elf Grad - Temperaturen, die der Winter auch Mitteleuropäern gelegentlich zumutet. Für Aktivitäten wie die Eisberg-Schiffstour, die kaum mit körperlicher Bewegung verbunden ist, hält der aus Flensburg stammende Touristenführer Ulf Klüppel, 39, warme Jacken und Hosen aus Robbenfell und filzgefütterte Stiefel bereit. Extrawarme Ski-Unterwäsche mit nach Grönland zu nehmen, ist aber ein Muss.

Robbenfell ist auch für Hundeschlittenfahrten nützlich. Zwölf bis 16 Hunde zerren an jedem der schweren Holzschlitten. Darauf zwei Touristen und ein Hundeführer. Zunächst geht es auf der Ebene ruhig, aber flott voran. Das Arbeitstier, der Grönlandhund, ist ein Verwandter des Spitz'. Ein hübscher kleiner, aber ausdauernder Kerl, der langsamer ist als der bekanntere Husky, dafür robuster. Auch bei minus 50 Grad arbeitet er unerschrocken. Wenn der Polarspitz im Winter keine Touristen ausführt, bringt er die Inuit-Jäger und -Fischer in die Berge oder auf das Eis des Fjords.

Als es bergauf geht, steigt der Hundeführer, der sich mit Apollo vorgestellt hat, ab und läuft hinterher. So entlastet er die Hunde. Immer wieder muss er auch die Leinen ordnen, wenn sie ihre Position im Gespann gewechselt und sich verheddert haben. An der steilsten Stelle steigen auch die Gäste ab und japsen hinterdrein den Berg hoch. Oben belohnt ein Panorama von schneebedeckten Bergen und über das eisbedeckte Meer. Dazu schenkt Apollo dampfenden Kaffee aus.

Auf dem Rückweg: Abenteuer. Steil geht es hinab wie in der Achterbahn. Apollo verschwindet aus unserem Blickfeld, dann auch die Hunde. So sehen sich die erschrockenen Mitteleuropäer plötzlich allein gelassen bei einem Höllenritt. Landen sie in hohem Bogen im Schnee? Alles geht gut. Apollo steht hinten auf den Schlittenkufen und bremst mit den Hacken und die Hunde an den Leinen.

Der Tag endet mit einem ruhigen Blick auf eine surreale Eis- und Wasserwelt. Die Sonne ist untergegangen und hinterlässt die Diskobucht in Zartblau gehüllt. Das Meer ist still, weit und fremd und macht unendlich melancholisch. Dort draußen, so fühlt es sich zumindest an, herrschen ultimative Einsamkeit und Verlorenheit. Doch im Restaurant des Hotels "Arctic" in Ilulissat ist es jetzt heimelig, wenngleich die kalte, fremdartige Schönheit immer wieder wie magisch den Blick auf sich zieht.

Das "Arctic" gilt als das beste Hotel Grönlands. Vier Sterne hat es schon, den fünften will sich Manager Erik Bjerregard demnächst holen, wenn er den Gästen auch einen Wellness- und Fitnessbereich bieten kann. Der angeschlossene Konferenzbereich hat den fünften Stern schon. Auch anderswo in Grönland herrschen hohe mitteleuropäische Standards in Hotellerie und Gastronomie und bei der Organisation von Touristikangeboten.

Zu jedem Besuch in Ilulissat gehört ein Rundgang durch das hübsche Städtchen, wo die Beschwernisse der Arktis offenbar werden und wo wegen des Frostes schon die Versorgung mit fließendem Wasser eine Herausforderung ist. Hier treffen sich traditionelle Gewerbe wie Jagd und Fischfang mit der Moderne. In dem extrem dünn besiedelten Land - 55 000 Menschen auf einer eisfreien Fläche von der Größe Deutschlands und der Beneluxstaaten - unterstützen beispielsweise weit entfernt lebende Ärzte telemedizinisch die Dorfkrankenschwestern vor Ort.

Ilulissat, das ist Gletscherland - kein anderer arktischer Eisstrom schiebt majestätischere Eismassen ins Nordmeer. Von hier nehmen deshalb auch Helikopterflüge und Schiffstouren zum Gletscher ihren Ausgang. Nahe der Eisabbruchkante im 80 Kilometer entfernten Eqi stehen Ferienhütten zur Anmietung bereit, auf dem dortigen Fjord besteht auch die Chance, Wale zu sichten. 15 Kilometer südlich von Ilulissat wiederum erwartet die ehemalige Walfängersiedlung Oqaatsuut (Rodebay) die Touristen. Am Ortsrand von Ilulissat führt ein kurzer Wanderweg zu den Überresten des Dorfes Sermermiut. Einfachste Häuser aus Stein und Torf boten hier 250 Menschen Schutz, damit war Sermermiut die größte indigene Siedlung der Insel, bis das Dorf im 19. Jahrhundert aufgegeben wurde. Schließlich kann man sich auf einer Offroad-Safari auf die Suche nach Moschusochsen begeben.

Wem der Sinn nach einem halbwegs authentischen Kontakt zu Inuit steht, geht zum "Kaffeemik", der hiesigen Variante des Kaffeeklatsches. Eingeladen per Aushang am Kaufladen oder verständigt durch Mund-zu-Mund-Propaganda kommen die Familie und die weitere Nachbarschaft. Die Höflichkeit gebietet, dass man es bei zwei Tassen Kaffee und zwei Stück Kuchen belässt und dann neu hinzugekommenen Gästen seinen Platz überlässt. So hat man viele Nachbarn und Freunde gesehen - und wird sie beizeiten wieder los.

Unsere Kaffeemik-Gastgeberin ist Hansine Rasmussen. Die 72-jährige Grönländerin spricht fließend Dänisch, sie lebte einige Jahre im Mutterland. So kommt eine Unterhaltung in Gang, wenn Ulf Klüppel ins Deutsche übersetzt. Frau Rasmussen weiß viel zu berichten - vielleicht nicht in jedem Punkt repräsentativ: vom Alltagsleben ("Wir essen viel Fisch und Robbe"), vom Inuit-Nationalismus, von der vernachlässigten Bildung ("Die Jungen sollten Englisch lernen, damit sie in der Welt eine gute Ausbildung bekommen") bis hin zum Wesen des grönländischen Mannes ("nicht sehr zuverlässig").

Wem das noch zu beschaulich ist, der kann sich zu einer geführten dreitägigen Hundeschlittentour in die endlose Eiswüste des Inlandes aufmachen. Schwierigkeitsgrad: anspruchsvoll. Übernachtet wird in Zelten und Hütten. Der durchschnittliche Grönlandbesucher absolviert eher ein Kurzprogramm, bleibt einige Tage bis eine Woche auf der Insel. Auch Schiffsreisen entlang der Küste werden angeboten, außerdem Abstecher von Island aus.

Bleibt die Frage: Sommer oder im Winter? Die meisten Programmpunkte sind dieselben. Wale gibt es allerdings nur im Sommer zu sehen, auch das Eiscamp Eqi ist nur im Sommer buchbar. Naturgemäß unterscheiden sich Licht und Temperaturen. Zur Mitternachtssonne mit ihren besonderen Lichtspielen auf den Eisbergen steigt das Thermometer auf plus vier bis acht Grad. Polarlichter sind nur im Winter zu sehen, dann sinken die Tagesdurchschnittstemperaturen auf minus elf Grad. Klingt gar nicht so schlimm, das ertragen wir auch in Mitteleuropa.