Aarhus an Dänemarks Ostseeküste hat sich aus dem Schatten Kopenhagens gewagt und überzeugt mit Architektur, Kultur und Lebensqualität.

Es war einmal ein schmaler Fluss, der schlängelte sich durch eine dänische Provinzstadt. Gut tausend Jahre plätscherte er dort vor sich hin, seit den Zeiten der Wikinger. Bis er irgendwann, vor 80 Jahren, den Stadtplanern von damals im Wege war. Er wurde einfach zugedeckelt - und die Stadt sah plötzlich grau aus. Aber 1996 machten neue, weitsichtige Planer alles wieder gut und noch viel besser. Sie brachen den Beton auf, kanalisierten den Fluss, und seither sitzen die Leute aus Aarhus und die vielen Ferienhausurlauber auf Stippvisite wieder am Wasser, mitten in der Stadt, bunt beschirmt, Stuhl an Stuhl, Café an Café, Pinte an Pinte.

Noch mehr pralle Lebenslust: Im Herzen der Altstadt hocken die fröhlichen Dänen, die sich selber glücklicher einschätzen als alle anderen Europäer, vor ihren Bistros und Jazzkneipen. Es sind vor allem junge Leute, Studenten, die das Leben in Dänemarks zweitgrößter und vermutlich ältester Stadt prägen. Eine kompakte Stadt ist Aarhus, kaum hundert Quadratkilometer groß, knapp 300 000 Einwohner, davon allein 40 000 Studierende an der Universität und den diversen Hochschulen.

Längst duckt sich Aarhus nicht mehr in den Schatten von Kopenhagen. Inzwischen kommen sogar die Hauptstädter nur zu gern in die jütländische Metropole, die sie früher gern als kleine Schwester in der Provinz verspottet haben. Die alten Witze vom Niveau unserer Ostfriesenspäße haben sich eher in die umgekehrte Richtung entwickelt: Aarhus jedenfalls ist selbstbewusst geworden, eine Stadt mit eigenem, sehr hohem Genuss-Potenzial.

Zum Beispiel im Lateinischen Viertel. Das Gewirr der kleinen Gassen nördlich von Großem und Kleinem Mark ist benannt nach der Lateinschule, die hier einmal stand. Heiße Rhythmen und schmusiger Jazz dringen aus den Kellern und den Kneipen an der Rosengade und der Bispegade, am Graven oder im Snaevringen, der schmalsten Straße der Stadt. Das alles, was heute so angenehm alternativ brummt und steppt, war mal das Rotlichtviertel; vor 50 Jahren wäre es um ein Haar abgerissen worden, wenn nicht ein paar Bürger mit Erfolg auf die Barrikaden gegangen wären.

Sich treiben lassen heißt hier die Devise. Glaskunst bei Karen Nyholm bewundern, mit dem Maler Ulrik Witt in seiner Galerie am Volden plaudern oder bei Sophie die Mode von morgen bewundern. Einen exotischen Cocktail schlürfen vor dem "Weißen Elefanten" an der Klostergade, im "Gyngen" an der Meilgade Smörrebröd mit Bio-Garantie essen, ein gepflegtes Bier bei "Margueritten" im Hinterhof genießen, Musik hören im "Casablanca" an der Rosengade, wo auch Kronprinz Frederik, als er noch Junggeselle war, nur zu gern am Tresen saß.

Selbst bei McDonald's hockt man gemütlich auf dem Kopfsteinpflaster, mit Blick auf den Dom St. Clemens, Europas nördlichste Backsteinkirche. Ihre Ursprünge gehen auf das Jahr 1201 zurück. Eine halbe Stunde Innehalten im hohen, lichtdurchfluteten Altarraum tut gut. Da ist die Loge für Königin und Prinzgemahl zu entdecken, da lohnt der Blick auf einen Altar mit berührend schöner Marienfigur, die nach der Reformation lange Zeit weggesperrt war, weil sie die Protestanten zu sehr an die katholische Zeit erinnert hat.

Und immer neue Kontraste lassen den Bummel durch die Stadt nicht langweilig werden. Vom Aaboulevarden, der Fressmeile am neu belebten Wasser, ist es nicht weit bis in die malerische Gasse Möllestien, wo sich Stockrosen und Malven, wie man sie aus dänischen Dörfern kennt, die Hauswand empor ranken. Kleine Leute haben hier früher gewohnt, Arbeiter und Handwerker. Heute ist es ein schickes Viertel, wo sich fast nur noch Architekten, Ärzte und etablierte Künstler die Mieten noch leisten können.

Noch ein paar Minuten zu Fuß, und schon ist das Kunstmuseum erreicht, seit 2004 wohl die spektakulärste Attraktion der Stadt. Aros heißt es, so wie einst die Wikingersiedlung an der Mündung des Flusses. Ein gewaltiger roter Backsteinkubus, der vornehmlich dänische Malerei und Objektkunst zeigt. Kunst auf zehn Etagen, atemberaubend, spannend. Eine Architektur, die im Innern, ganz im Gegensatz zum strengen Äußeren, an ein Schneckenhaus oder ein Labyrinth erinnert. Ein öffentlicher Weg teilt das Haus in einen Ost- und einen Westflügel. Schon viele Passanten, die "nur mal so" hindurchspazieren wollten, sind neugierig geworden und haben sich bis auf den Dachgarten verirrt, der den schönsten Blick auf Aarhus bietet.

Noch einmal zehn Minuten gelaufen, und wieder ein Kontrast wie er schärfer kaum sein kann. Am Rande des Botanischen Gartens, in einer der vielen Grünen Lungen der kleinen Metropole, ruft der angehende Schauspieler Martin, mit einer Glocke bewaffnet, die neuesten Nachrichten und Annoncen aus der Zeit des Märchendichters Andersen aus: "Apotheker Lassen sucht eine tugendhafte Frau zur Amme ..."; nebenan, in einem von 75 alten Häusern aus eben dieser Epoche, strickt die Witwe Wiborg, im richtigen Leben eine fröhliche Studentin namens Kirsten, Wollkleider, wie man sie vor 150 Jahren nicht nur in Dänemark trug. Und beim Bader nebenan wiegt ihre Kommilitonin Lise duftende Kräutersäckchen ab.

Den Gamle By, das Alte Dorf, so heißt dieses Freilichtmuseum, wurde 1914 als weltweit erstes Museum für Stadtkultur eröffnet. Lehrreich und lustig geht es dort zu, beim Kaufmann, in der Bäckerei, beim Eisenkrämer, in der gutbürgerlichen Küche, ein sinnenfrohes Abbild des Alltags von einst ... So viel Geschichte zum Schmecken, Riechen und Anfassen gefällt jedermann.