Wunderwelt mit Überraschungen: In Südtirol sind die Berge kein Synonym für Rückständigkeit mehr - immer mehr Orte setzen auf schickes Design.

Das Schimpfwort, das die Taxifahrerin auf dem Weg nach Bozen benutzt, will man nicht wirklich in der Zeitung lesen. Sie kann sich einfach nicht beruhigen: "Das geht doch nicht! Da ha'm sie einen Frosch ans Kreuz genagelt, statt unsern lieben Jesus!" Sie meint die giftgrüne Skulptur von Martin Kippenberger, die zur Eröffnung des Museions vor zwei Jahren in der Eingangshalle des ultramodernen Museumsbau hing. Aber nicht nur der Frosch spaltete die Südtiroler, sondern das Gebäude selber. Für die einen ist das neue Museum für moderne und zeitgenössische Kunst ein leuchtendes Aushängeschild für Südtirols Zukunft, für die anderen Verrat an der Tradition.

"Aber genau das ist das Spannende!", sagt Caterina Longo vom Museion in Bozen. "Südtirol ist ja noch immer eine Bauerngesellschaft. Halb konservativ-katholisch, halb zukunftsorientiert und modern!"

Dass das ein täglicher Balanceakt ist, spürt man an allen Ecken und Kanten der nördlichsten italienischen Provinz - und das nicht nur beim Museumsbesuch. Vielleicht nicht immer bequem und einfach für die Südtiroler selbst, aber für Touristen und Besucher einfach aufregend. Weil: Hier passiert etwas. Und zwar ständig.

Überall wird gebaut, renoviert, erneuert. Zwischen Kitsch entsteht Kunst. Und das will man sehen!

Alpenland, Wunderland, Designland - passt das zusammen? Eigentlich nicht! Aber irgendwie ist das die ideale Beschreibung für einen Landstrich, in dem man Altbayrisch spricht und auch Italienisch und Ladinisch, Österreichisch isst und auch mediterran, in dem Geranienrot, Schnörkelkitsch und moderne Architektur seit neuestem gleichberechtigt nebeneinander stehen. In Südtirol lernt man wieder das Staunen!

Wie konnte das bloß passieren? Die Geschichte der wundersamen Verwandlung geht so: Als die Deutschen nach dem Krieg das Reisen (wieder-)entdeckten und die Sehnsucht nach Italien, da fuhren einige mit ihren VW-Käfern gen Süden und blieben in Norditalien hängen. Da war es schön, die Sonne schien, die Berge waren grün, das Essen schmeckte so vertraut und vor allem: Die Menschen sprachen Deutsch. Südtirol gehörte ja bis 1919 zu Österreich. Schnell erkannten die Bergbauern ihre Chance. Statt auf mühselige Landwirtschaft zu setzen, verwandelten sie sich in Kellner und Zimmermädchen, bauten Hotels und Pensionen im rustikalen Alpenstil, und plötzlich war es - wie einst zu Sissis Zeiten - auch wieder schickt, im Meraner Thermalwasser zu baden.

Das ging ziemlich lange so weiter. Und dann kam Matteo Thun. Der Stararchitekt aus Mailand, gebürtig aus Bozen, setzt seit dem Ende der 1990er-Jahre einen architektonischen Meilenstein nach dem anderen in die alpine Landschaft, entwirft das Vigilius Mountain Resort, das Pergola Residence, die Therme in Meran und das benachbarte Hotel Steigenberger. Und tritt damit eine neue Welle los. Seine Mitstreiter und Nachfolger werden von der neuen Generation von Restaurant- und Hotelbesitzern unterstützt. Denn die erkennen: Wo bleiben eigentlich die Söhne und Töchter der Touristen von einst? Die kann man mit Bilderbuchbalkonen und Holzherzschnitzereien nicht mehr locken. Die wollen zeitgenössisches Design, Architektur und Lifestyle - sonst fahren sie weiter nach Mailand oder an den Gardasee.

Also wird gebaut in Südtirol, kräftig an- und umgebaut, Altes vom Unrat der Jahrhunderte befreit, traditionelle Handwerkskunst freigelegt, Plastikblumenplunder und der Zierrat der Wirtschaftswunderzeiten auf den Müll geworfen.

So hat sich Südtirol mittlerweile zu einem echten Geheimtipp entwickelt - für alle, die sich überraschen lassen wollen von unglaublich schöner, manchmal sogar gewagter neuer Architektur. Einer Baukunst, die nicht gegen die Natur, sondern mit ihr geht, in ihr aufgeht. Wie zum Beispiel das Weingut Manincor, das seinen neuen, phänomenalen Weinkeller in den Berg setzte. Wie das Hotel Pergola Residence, das sich harmonisch und dabei elegant in die Weinfelder hoch über Meran einfügt oder die Ferienwohnungen des Esserhofs - gebaut aus Strohballen und Lehm - die gleich einen Architekturpreis einheimsten. Selbst die 420 Weinmacher der Winzergenossenschaft von Kaltern an der Südtiroler Weinstraße haben die Zeichen der Zeit erkannt und profilieren sich jetzt auch mit einem kunstvollen Ausrufezeichen, dem Winecenter: Eine begehbare Skulptur aus eingefärbten, glasfaserverstärkten Betonplatten und Glas. Vorzügliche Weine machen sie sowieso.

Wer durch die Täler Südtirols und hinauf auf die Berge fährt, entdeckt immer wieder Überraschendes: Architektonische Highlights von großer Kraft. Da erhebt sich zum Beispiel plötzlich ein gewaltiger Berg von Holzstämmen in einem Dorf mit Namen Lüsen. Und wenn man näher kommt, entpuppt er sich als ungewöhnlich gestaltetes Privathaus, das der Architekt Armin Blasbichler für sich und seine Familie entworfen hat. Im Vinschgau in St. Martin am Kofel thront ein Turm hoch über dem Tal. Werner Tscholl hat ihn kreiert. Er wird immer dann gerufen, wenn privaten Bauherren etwas ganz Besonderes vorschwebt. In diesem Fall ist es ein Wohnhaus für einen Kaufmann geworden, der die Freude über den gelungenen Entwurf sogar mit anderen Architekturliebhabern teilt: Man kann den Turm wie eine exklusive Ferienwohnung mieten. Zwei Beispiele für die enorme Kreativität, die direkt hinter dem Brenner beginnt.

So viel Aufbruchstimmung macht auch nicht vor den Küchen des Landes halt. Anna Matscher vom geschmackvoll und sehr modern erweiterten Gasthof "Zum Löwen" beweist nun in Tisens, wie gut sich die regionale Küche mit Novelle Cuisine verträgt. Luigi Ottaiano vom "Kallmünz" in Meran begeistert mit Köstlichkeiten wie Rindstatar mit gebratenen Jakobsmuscheln, asiatischem Personal und einer schick designten ehemaligen Remise. Und im "Ansitz Pillhof" in Eppan - ein stattlicher Bauernhof aus dem 15. Jahrhundert - serviert Kathrin Oberhofer wunderbar aromatische Gerichte in ihrer modern eingerichteten, bestens sortierten Vinothek.

Drei Beispiele, die für eine ganze Bewegung stehen. Denn Stillstand kennt die Südtiroler Küche nicht. Kennt Südtirol nicht. Mal schaun, was da alles noch so passiert.