Queenslands Hauptstadt ist der am schnellsten wachsende Ort Australiens: Ein entspannter Lebensstil, viel Sonne und Kultur ziehen auch Touristen an

Schon in Melbourne gewesen? Oder in Sydney? Na, dann kennen Sie ja den Süden und Osten Australiens. Gibt ja sonst keine Stadt dort unten. Adelaide? Okay, aber mit den vielen Weingütern in deutscher Hand und Ortschaften, die Hahndorf heißen oder Klemzig, fühlt man sich hier eher wie in Europa. Canberra? Ist nichts als ein fauler Kompromiss, weil sich die beiden Platzhirsch-Städte Melbourne und Sydney nicht auf eine Hauptstadt einigen konnte, weswegen die australische Regierung eine Beamten-Kapitale baute mit eigenem Mini-Bundesstaat, die den Charme von Brasilia oder bestenfalls Washington besitzt. Und Brisbane? Na, ist doch nur Stopover für alle, die aus Sydney zur Sunshine Coast wollen. So, Klischees alle abgefragt?

Na, dann können wir ja losradeln und uns an sämtlichen Vorurteilen abarbeiten. Und zwar mit Shaun, unserem bodenständigen Mann aus Brisbane. Denn es ist ja nicht nur so, dass Shaun Gilchrist mit seiner Firma "Urban Adventures" Rad- und Wandertouren durch Brisbane anbietet und darum die drittgrößte Stadt Australiens (1,8 Millionen Einwohner) und Hauptstadt von Queensland preisen muss wie ein Händler seine alten Vinyl-Schallplatten in den Fortitude Valley Markets oben in Chinatown. Es ist nämlich auch so, dass der 30-Jährige typisch für seine Stadt ist, und das nicht nur, weil sein Urururgroßvater William Pettigrew unten in South Bank einst die erste dampfbetriebene Sägemühle gebaut hat, als jene Gegend noch kein Trendviertel war wie heute, sondern Industriegebiet.

Nein, Shaun ist wie seine zweieinhalbstündige Fahrradtour quer durch die Stadt: Easy Going. Easy Going ist das Zauberwort für die Menschen und ihre Metropole am Brisbane River, der die Stadt durchschlängelt und zerteilt, immer so hart an den Wolkenkratzern, dem Kangaroo Point mit seinen Tuffsteinfelsen, diversen Grünanlagen wie dem New Farm Park im Norden oder architektonischen Highlights wie der Nationalgalerie in South Bank entlang, dass da kein Platz für einen Strand bleibt - nur für einen Boardwalk immer am Wasser entlang, das Orientierung bietet und schöne Anblicke, Spiegelungen der Apartmenthochhäuser an der Story Bridge bei Tage oder des erleuchteten Riesenrads bei Nacht weiter flussaufwärts, wenn man von der Victoria Bridge, die South Bank mit Downtown verbindet, auf die Skyline blickt.

Alles ganz easy, die Stadt und ihre Menschen, und das hat erstens mit dem Wetter und zweitens mit der Geschichte zu tun. Es gibt ja auch überhaupt keinen Grund, schlechte Laune zu haben, wenn selbst im tiefsten australischen Winter die Sonne bei 20 Grad Celsius von einem wolkenlosen Himmel scheint. 300 Sonnentage und eine Durchschnittstemperatur von 22 Grad Celsius im Jahr sorgen für heitere Gemüter - und die Tatsache, dass 900 Kilometer weiter südlich in Sydney es bei 17 Grad regnet und an der Südspitze in Melbourne bei 11 Grad Celsius gerade gefroren wird, nicht einmal für Schadenfreude.

Denn für derlei Konkurrenzdenken ist Brisbane viel zu entspannt. Es scheint, als habe man sich hinter dem schicken Melbourne mit seinem englischen Lebensstil und dem lebhaften Sydney mit seiner zauberhaften Oper gemütlich auf dem inneraustralischen dritten Platz zurechtgemacht und sich dabei einen gewissen Stolz bewahrt - Stolz auf seine Tradition, sein Wetter und darauf, dass das Rugbyteam von Queensland immer mal wieder die Mannschaft des ungeliebten Nachbarn New South Wales schlägt.

In Brisbane steht man nämlich auf harte Männer. Schon die europäischen Einwanderer mussten harte Burschen sein, um das fruchtbare Land im 19. Jahrhundert zu bearbeiten. 114 000 Menschen kamen allein zwischen 1860 und 1879 und machten aus der Strafkolonie an der Moreton Bay, wohin Sydney bis 1842 seine Strafgefangenen geschickt hatte, eine prosperierende Stadt, die bis zum Zweiten Weltkrieg auf 300 000 Einwohner anwuchs. Im Krieg zeitweise Hauptquartier von Fünf-Sterne-General Douglas MacArthur, dem Oberkommandierenden der alliierten Streitkräfte im Südwestpazifik, sorgte ein Baby- und Bergbauboom in der Nachkriegszeit für Wohlstand und Ausgleich der vorher starken sozialen Unterschiede. Der Bergbau ging, die Dienstleistungen kamen, heute bilden gläserne Wolkenkratzer von Banken und Hotels die Skyline von Brisbane; und wer es sich leisten kann, zahlt mehr als eine Million Euro für eine Wohnung in einem der neuen Apartmenthäuser am Fluss. Nachfrage ist da, denn Brisbane ist die am schnellsten wachsende Stadt Australiens, mit 3000 neuen Einwohnern pro Monat. Noch Fragen? Oder irgendwelche Superlative?

Bitteschön! Brisbane ist die östlichste Stadt Australiens, sie hat bestimmt die saubersten Bürgersteige (von Queensland) und die schönsten Frauen (von Ostaustralien) und garantiert den kürzesten Highway auf dem Kontinent: Auf gerade mal 1072 Metern verbindet nämlich der Bradfield Highway auf der Story Bridge den Kangaroo Point mit dem Fortitude Valley und ist damit um etwa mehr als die Hälfte kürzer als der Namensvetter in Sydney.

Ja, eine Brücke wie die berühmte Sydney Harbour Bridge hat man hier auch, sogar der Architekt ist derselbe (John Bradfield), und besteigen kann man sie auch und die Glasshouse Mountains im Norden, den Mount Coot-Tha im Westen, Moreton Island im Osten und das Hinterland der Gold Coast im Süden bewundern. Die Tatsache, dass sie von 1935 bis 1940 nicht als Prestigeobjekt, sondern zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in der Weltwirtschaftskrise gebaut wurde, zeigt, wie praktisch man in Brisbane denkt. Und der Lohn folgt auf dem Fuß oder vielmehr mit selbigem auf der Pedale. 70 Jahre ist das Bauwerk nun alt, und es ist beim Radeln auf dem Boardwalk hübsch anzusehen, wie es seine runden Konturen in den Himmel reckt, zu konkurrieren mit den im Sonnenlicht leuchtenden Spiegelfassaden der Wolkenkratzer und dem Fluss mit seinem gemächlichen Gang.

Nur muss man aufpassen, dass man nicht einen der Ibisse überfährt, die stolz den Gehweg passieren, weil den Radler vieles ablenkt: Zum Beispiel die kleinen Mangrovenwälder, die sich am Flussufer gebildet haben, als befände man sich in Florida und nicht mitten in einer Millionenstadt. Der Duft frisch gebratener Steaks in den Grünanlagen, denn die Brisbaner lieben ihr Barbecue über alles und flüchten nach draußen, sobald sich der erste Sonnenstrahl zeigt. Dann schmeißen sie den Grill an, liegen auf Decken, spielen Frisbee und lassen den Gott einen guten Mann sein.

Die Radler kehren vielleicht ins Powerhouse in New Farm ein, wo sich im alten Elektrizitätswerk die Kleinkunst- und Musikszene austobt. Um anschließend ein paar japanische Breakdancer vor dem Rathaus in Downtown zu bewundern und danach über die Queen Street Mall zum rustikalen Ausgehen ins Fortitude Valley zu wandern, wo sich zwischen Bordellen, Schwulenlokalen, Backpackerhostels und dem "Emporium Hotel" das "Cloudland" befindet - neuster Hot Spot der Klubszene auf zwei Etagen mit Wasserfall, Glaskugeln in der durchsichtigen Bartheke und dem Gefühl, sich in Las Vegas zu befinden. Oder auf Ibiza. Aber bestimmt nicht in Melbourne. Oder in Sydney.