Die Harzer Wasserwirtschaft ist jetzt Weltkulturerbe - nur wo kann man sie besichtigen? Bislang ist die Erkundung für Touristen noch schwierig

Als ob wir in Rom waren und hätten den Papst nicht gesehen", klagt Werner Hufschmid aus Lüneburg. Gleich, als er davon gehört hatte, die "Harzer Wasserwirtschaft" sei von der Unesco zum Weltkulturerbe ernannt worden, war er mit seiner Frau Anneliese losgefahren. Das "Meisterwerk menschlicher Schöpfungskraft" im Harz, wie es so vollmundig genannt wird, fanden die beiden nicht. Dabei besteht das Wunderwerk der Wassertechnik schon 800 Jahre. Doch der Harzer scheint mit Schildern zu geizen.

"Wir waren in Bad Harzburg, Braunlage und Bad Sachsa", sagt Spontan-Tourist Hufschmid. Dabei hätte er spätestens im Kloster Walkenried fragen können. Es gehört zu Bad Sachsa im Südharz. Dort legten die pfiffigen Mönche der Zisterzienser nicht nur Fischteiche an, sondern ein System der Wasserversorgung, das es in Europa bis dahin nicht gab. Ein modern gestaltetes Museum informiert über die Taten der Mönche. Sie gaben im 13. Jahrhundert die Initialzündung zum Bau eines großartigen Leitungsverbundes, der einmal aus 120 Teichen, 310 Kilometer Gräben und 31 Kilometern Wasserläufen bestand. Damit wurden hölzerne Saugpumpen betrieben, die Bergbaugruben entwässerten: Wasserkraft pumpt Wasser herauf.

Jürgen Alich, Bergbauingenieur der Harzwasserwerke, kann die Irrfahrt der Hufschmids zunächst nicht ganz glauben. "Wir haben im Harz jedes Jahr zehn Millionen Besucher", erläutert Alich, "acht Millionen davon kommen in Kontakt mit der Wasserwirtschaft." Da aber nicht gleich jeder Stausee oder Wasserfall zum neuen internationalen Kulturerbe gehört, gibt auch Alich schließlich zu, dass man schon etwas gezielt nach den "Wasserrädern" suchen müsse. Sie sind das Symbol der 22 Wasserwanderwege, die ähnlich wie an den "Levadas" auf der portugiesischen Atlantikinsel Madeira an Gräben und Bächen entlangführen. "Wir haben da in den vergangenen Jahren 450 Wappentafeln und 150 Info-Tafeln aufgestellt", beschreibt der Ingenieur den Ausbau der touristenfreundlichen Stiege, "aber es ist klar, dass wir erst auf den Zuschlag der Unesco warten mussten. Jetzt wird eine Stiftung belebt, die sich intensiv um die Vermarktung der Harzer Wasserwirtschaft kümmert." Seit 20 Jahren ist es die Aufgabe der Harzwasserwerke, das stellenweise marode System aus Kaskadenteichen, Gräben und Stollen zu pflegen und zu erhalten. 35 Millionen Euro wurden dafür aufgewendet, wovon der Besucher aber tatsächlich nicht so viel sehen kann. Zur Trinkwassergewinnung, zur Stromerzeugung und zum Hochwasserschutz dient das System heute, wie Alich erläutert - und als Kulturgut. Wo sonst lässt sich auf so einem großen Gebiet nachvollziehen, wie gekonnt Wasser gestaut, abgeleitet, umleitet wird und über Räder fließt, um damit Pumpen anzutreiben, die wiederum Wasser hochpumpen? Das hat eben auch die Unesco überzeugt. Jahrhunderte hindurch Silber und Blei abzubauen, wäre im Harz nicht möglich gewesen. So aber entwickelte sich ein mächtiges Industrierevier mit der Kaiserpfalz in Goslar als Ausdruck des Reichtums.

Einst mussten Wasserknechte mit Ledereimern das ständig nachsickernde Grubenwasser abschöpfen. Dann liefen Pferde im Kreis, um eine Förderanlage zu betreiben. Selbst der Universalgelehrte Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716), der 40 Jahre lang in Hannover lebte, versuchte sich in technischen Visionen, das überflüssige Wasser abzupumpen. Doch seine Idee, das mithilfe von Windmühlen zu erledigen, scheiterte. Zwischen 1536 und 1866 bauten die Oberharzer Bergleute dagegen ein Wassersystem auf, das jetzt in seiner Wertigkeit mit der chinesischen Mauer und den Pyramiden von Gizeh gleichzieht.

"Wir freuen uns ganz riesig darüber", sagt die Kassiererin im Oberharzer Bergwerksmuseum in Clausthal-Zellerfeld. Es ist nicht nur das älteste seiner Art in Deutschland - 1892 eröffnet -, es wird auch Mühe haben, den Ansturm an Weltkulturtouristen zu bewältigen. "Bei uns im dritten Stock erleben Sie alles über die Wasserwirtschaft", kündigt die Frau stolz dem Besucher an. "Warum denn erst da ganz oben?", murmelt der Gast. Doch immerhin kann er sich auch draußen im Freigelände bei einer einstündigen Führung über ein Schaubergwerk mit einem kurzen Besucherstollen informieren oder den Audioguide aufsetzen. Für die Hufschmids aus Lüneburg wäre Clausthal-Zellerfeld die erste Anlaufadresse gewesen - sozusagen als das "Auge des Kulturerbes".

Das rechteckige Gebiet aus heute noch sichtbaren und intakten 65 Teichen, 70 Kilometer Gräben und 20 Kilometer Wasserläufen erstreckt sich von Lautenthal westlich von Hahnenklee bis etwa zum Brocken im Osten sowie von Hahnenklee als nördlichem Punkt bis Buntenbock im Süden. Der kleine Ort liegt auf halbem Weg zwischen Clausthal-Zellerfeld und Osterode. "In 55 der 65 Teiche können Sie sogar baden", preist Alich von den Harzwasserwerken das Ziel für Sommerurlauber an. Es gibt einen schon in dritter Auflage erschienen Führer über die 110 Kilometer Wasserwanderwege. Und es laufen einige der 62 im Harz ausgeschilderten Mountainbikestrecken an den denkmalgeschützten Wasserwegen entlang. Die "Große Oberharz-Tour A2" zwischen St. Andreasberg und Torfhaus führt auf ihren 41 Kilometern zum Beispiel am Oderteich entlang sowie am Rehberger Graben. Beide gehören zur Harzer Wasserwirtschaft. Zu sehen ist zum Beispiel, wie bis zu 700 Liter Wasser pro Sekunde vom Oderteich in die Tiefe rauschen und durch den Rehberger Graben sprudeln.

Südöstlich von Clausthal-Zellerfeld bietet sich ein etwa drei Kilometer kurzer Spaziergang vom Hirschler Teich zu den Pfauenteichen an. Das ist einer der 22 Wasserwanderwege. Schon wer am Deichdamm steht, der einmal 1660 gebaut wurde, ahnt, welche Muskelkraft hier aufgebracht wurde.

Auf 588 Meter Höhe gelegen war er der wichtigste Bergbauteich der Gegend. Er lieferte Wasser für die Wasserräder der Erzgruben "Caroline" und "Dorothea". Heute dient er als Trinkwasserspeicher für die Stadt. Der Wanderer geht unterhalb des Teiches weiter zu vier Pfauenteichen, die sich in Kaskaden aufreihen. Hier stehen tatsächlich viele Hinweistafeln.

Ingenieur Alich, der jeden Meter glucksenden Wasserlauf kennt, gibt aber doch noch zu, dass es für flüchtige Besucher Verbesserungen geben könnte. "Wir haben eine polnische Praktikantin", sagt der Mann von den Harzwasserwerken, "sie studiert Geotourismus und befasst sich mit der Erschließung von solchen Perlen, wie wir sie jetzt haben." Sie will einmal schauen, wie der Urlauber künftig besser und gezielt die neue Hochkultur im Harz findet.