Eine Radwandertour führt in die Niedersächsische Elbtalaue. Ausreichend Ruhe und Beschaulichkeit sind hinter dem Deich garantiert.

Zwei, drei ... zehn Weißstörche kreisen hintereinander über den saftigen Wiesen der Elbtalaue. Irgendwo hinter dem kleinen Waldstück müssen sie durch die Wanderer aufgeschreckt worden sein. Zwar soll jeder vierte Storch auf der Welt ein Pole sein, aber jeder dritte niedersächsische Storch nennt das Wendland sein Zuhause. Mehr als 110 Nester gibt es entlang der Storchenstraße, an der etwa 200 Langbeiner den Sommer verbringen. Auch in vielen der über 100 Rundlingsdörfer, die es im Elbhinterland gibt.

183 Kilometer schlängelt sich der Wendland-Rundweg durch den äußersten Osten Niedersachsens. Er teilt sich in drei Abschnitte. Im Norden befindet sich der Elb-Höhenweg. Im Westen führt der Wendlandweg durch den Jagdwald Göhrde. Auf dem Wendenstieg im Süden streift man durch eine Vielzahl Rundlingsdörfer und durch die Nemitzer Heidelandschaft. Der gesamte Rundweg lässt sich sowohl erwandern als auch mit dem Rad erkunden.

Friedemann Neddens ist einer von 83 Einwohnern im Rundlingsdorf Satemin und Vorsitzender des Fördervereins Wendland-Rundweg. "Schon im ersten Jahrtausend nach Christus wurde die Gegend immer wieder von slawischen Stämmen aus dem östlichen Raum als Siedlungsgebiet genutzt", erzählt er. "Ungefähr ab 1100 entwickelten sich die Rundlingsdörfer als planmäßige Besiedelung durch die deutsche Obrigkeit." Jeder Siedler erhielt eine Hufe: ein Haus und rund zehn Hektar Land. "Mitte des 18. Jahrhunderts hatten die Slawen eingeheiratet, waren Deutsche und Christen geworden." Sicher geklärt ist die runde Anordnung der Häuser um den Dorfplatz nicht. War es nur eine "Modeerscheinung", ein Streben nach einer gleichberechtigten Gemeinschaftssiedlung? Oder waren es einst Wehrdörfer oder Viehkrale? Die Stallungen mit der "Grot Dör" zeigen immer zur Dorfmitte. Gewohnt wurde im hinteren Teil in der Döns, der guten Stube. Es gab nur eine Stichstraße in den jeweiligen Ort. Die heutigen Durchgangsstraßen entwickelten sich erst in den letzten 60 Jahren. "Das Wort ,Wenden' ist übrigens ein negativ besetzter Begriff und bedeutet ,die anderen'", berichtet Neddens.

Gühlitz, Meuchefitz, Püggen, Zeetze, Mammoißel, Köhlen, Schreyan, Jabel, Satemin sind einige Rundlinge entlang des Wendenstiegs. Manche Orte wirken wie bewohnte Museen. Charakteristisch ist die üppige Fachwerkkonstruktion mit Zierleisten und meist biblischen Sprüchen zur Dorfseite hin und dem Wendenknüppel auf dem Dachfirst. Ein Hausbaum spendete im Sommer Schatten, wenn man auf der Hausbank zum Tratsch zusammenkam. Tieferen Einblick in die Geschichte des Wendlands bekommen Besucher im Rundling Lübeln. Hier wurde Mitte der 1970er-Jahre ein Museumsdorf eröffnet, das dem Rätsel der deutsch-slawischen Kultur auf den Grund geht.

Da das Wendland als Zonenrandgebiet galt, in dem viele Jahrzehnte die "Welt zu Ende war", und schließlich die Entscheidung für das Atommüll-Zwischenlager Gorleben getroffen wurde, zogen viele Einheimische in den 70er-Jahren fort. Künstler und Naturliebhaber aus Berlin und Hamburg kauften günstig die verwaisten Hofstellen. "Die Zugereisten sind ein Segen für die Dörfer, die dadurch erhalten blieben und gepflegt wurden", sagt Neddens, den es selbst 25 Jahre lang in die Ferne zog, bevor er 1999 in sein Heimatdorf Satemin zurückkehrte.

Über die Nemitzer Heide gelangt der Radwanderer nach Gorleben und in die Elbtalaue. Wenn sich im August die Störche zur Überwinterung Richtung Südeuropa und Afrika aufmachen, kommen andere Zugvögel auf der Durchreise vorbei. In den Elbwiesen schnattern dann Wildgänse, trompeten Kraniche. Am Horizont leuchtet die Dömitzer Straßenbrücke, die seit Ende 1992 wieder Niedersachsen mit Mecklenburg-Vorpommern verbindet. Im April 1944 wurde sie fast zeitgleich mit der einige Hundert Meter entfernten Eisenbahnbrücke durch Bomben zerstört. Die Eisenbahnbrücke wurde nach der Wende nicht wieder aufgebaut, sondern steht in den Elbwiesen als Mahnmal für die ehemalige deutsche Teilung. Ruhe und Beschaulichkeit sind hinterm Elbdeich garantiert. Wer in Damnatz die schlichte Dorfkirche aus dem Jahr 1617 besichtigen will, kann sich beim örtlichen Friseursalon einen Schlüssel holen, steht auf einem Schild an der Kirchenwand geschrieben. Grüne Wiesen und Maisfelder prägen auch den letzten Abschnitt des Elb-Höhenwegs bis zur Fachwerk- und Kneippkurstadt Hitzacker. Auf dem Elbaussichtspunkt Weinberg gedeihen 99 Rebstöcke. Schon Ende des 16. Jahrhunderts wurde hier von einem "geziemenden Tropfen" gesprochen. 1713 vernichtete ein Hagelsturm alle Reben. Erst 1980 begann ein Winzer von der Mosel neue Traubensorten anzupflanzen, aus denen er das "Hidesacker Weinbergströpfchen" keltert. Mitte Oktober ist Weinlese. Uninteressant für Adebar, der dann längst sein Quartier unweit der St.-Johannis-Kirche in Richtung Afrika verlassen hat.