Myanmar öffnet sich langsam der Welt. Nach mehr als 50 Jahren Diktatur weht endlich ein sanfter Wind der Demokratisierung durch das Land.

Der dicke weiße Mann auf der Bambussänfte schwitzt fürchterlich. Sein Hemd ist an den Achseln durchnässt. Sein Gesicht ist rot angelaufen, und auf dem Kopf trägt er ein geknotetes Taschentuch. Auf seinem umfangreichen Leib thronen zwei Kameras. Kein schöner Anblick.

Vier Jünglinge, vielleicht 17 bis 20 Jahre alt, schleppen den älteren Touristen über einen steilen, holprigen Serpentinenweg dem Goldenen Felsen entgegen: ein Wahrzeichen Myanmars, das fast alle Besucher sehen wollen, koste es, was es wolle. Alle fünf Minuten setzen sie die Sänfte ab, wischen sich mit ihren verschwitzten T-Shirts das Wasser aus Stirn und Nacken. Eine Dreiviertelstunde später, auf dem Gipfel, wird jeder von ihnen fünf Dollar für die Plackerei bekommen.

Nicht einmal ein Erdbeben bringt den Gold-Koloss aus dem Gleichgewicht

Wer fit genug ist, sie und die anderen Träger zu überholen, mag ins Grübeln kommen: koloniale Attitüde, anachronistisch, unwürdig und demütigend für die einheimischen Hilfskräfte? Oder einfach nur ein Job, noch dazu ein sehr begehrter rund um das Heiligtum? Vorsicht vor schnellen Urteilen, warnt uns ein einheimischer Freund: Selbstgerechtigkeit ist nirgendwo eine Tugend, schon gar nicht in diesem Land, dem ehemaligen Burma.

Ein goldener Punkt in tiefem Grün, so nehmen wir nach einer halben Stunde Fußmarsch den heiligen Felsen aus der Ferne wahr. Im warmen Licht des Nachmittags schimmert er nahezu unwirklich schön: Ein fast runder Goldklumpen hängt atemberaubend "gefährlich" über dem Abgrund. Viele Gläubige nähern sich voller Ehrfurcht dem Koloss, der doch eigentlich jeden Moment in die Tiefe stürzen muss.

Er wird nicht fallen, heute nicht, morgen nicht. Keines der vielen Erdbeben in den letzten 1000 Jahren hat ihn je auch nur einen Zentimeter bewegen können, und auch die kleinen Stöße, die Kinder ihm jeden Tag hundert- und tausendfach geben, bringen ihn nicht aus dem heiligen Gleichgewicht. Dafür sorgt, der Legende zufolge, ein einziges Haar von Buddha, seit 1000 Jahren versteckt in einer zierlichen Pagode auf dem Kopf des goldenen Felsens.

Myanmar als Reiseziel wird immer begehrter. Vor allem Asienliebhaber, die bislang gar nicht oder nur mit schlechtem Gewissen das Land besucht haben, nutzen jetzt die Gunst der Stunde. Nach mehr als 50 Jahren Diktatur weht ein sanfter Wind der Demokratisierung durch das Land. Die Ikone der Freiheitsbewegung, die Nobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi, empfängt hochkarätige Gäste aus aller Welt. Reise- und Fluggesellschaften rüsten für die kommende Saison. So wird zum Beispiel Condor ab November direkt von Frankfurt nach Yangon fliegen.

Aber noch fehlt es in vielen Regionen des Landes an Hotels, noch sind die Flughäfen, die Bahnstrecken und die Straßen nicht auf einen größeren Ansturm vorbereitet. Noch zählt Improvisationstalent viel, vor allem außerhalb von Yangon, Mandalay, Bagan und dem Inle-See, den am meisten besuchten Zielen. Alte Burma-Freunde sind glücklich über den politischen Wandel und die augenscheinlich neu gewonnene Freiheit der Menschen. Dafür werden sie, vielleicht mit etwas Wehmut, zur Kenntnis nehmen müssen, dass auch dieses so lange verschlossene Land irgendwann ein wenig vom nostalgischen Reiz einbüßen wird, so wie das etwa in Thailand schon vor Jahrzehnten passiert ist. Aber noch wird auch im neuen Myanmar lange und viel vom alten Burma zu sehen und zu spüren sein. Wunder dauern in diesem Land nämlich nicht nur länger, sie halten an manchen Orten sogar für die Ewigkeit.

Zum Beispiel auf dem goldenen Zauberberg. Was für ein wundervolles Leben spielt sich dort tagtäglich, vom frühen, meist recht kalten Morgen bis in die kurze Dämmerung ab: Neben Mönchen, die ihre Mantras murmeln, spielen Kinder, fotografieren sich Großfamilien, bepflastern ganze Dorfgemeinschaften den Felsen mit noch mehr Goldplättchen; es ist ihnen eine willkommene Gelegenheit, Verdienste für den Kreislauf von Geburt und Wiedergeburt zu sammeln.

Kurz vor Sonnenuntergang glüht der Felsen, als sei er nun auch von innen erleuchtet. 20 heilige Männer in gelb-orangenen Roben sitzen auf dem Plateau im Halbrund und rezitieren Gebete. Der Abendwind schickt frische Luft auf den Berg, die Mütter ziehen ihren Kleinsten die Wollmützen bis über die Ohren, andere Pilger hüllen sich in Decken und Daunenjacken. Die Gäste aus dem Westen schauen angerührt diesem Schauspiel gelebter Frömmigkeit zu.

Zwölf Stunden später. Von Osten her fingert sich die Morgenröte durch die Berge. Und schon wieder knien ein paar Hundert Pilger vor dem Wunderfelsen. Tee wird aus großen Kannen verkauft, kleine Mädchen balancieren Schalen mit Schmalzgebäck auf ihren Köpfen. Wenig später machen wir uns auf den Rückweg zur Lastwagen-Station. Von dort geht es im Höllentempo die Serpentinen ins "Basislager" hinunter. Um Haaresbreite, so scheint es an jeder Kurve, schrammen wir am Abgrund entlang. Aber was soll schon sein, haben wir nicht eben mit eigenen Augen gesehen, wie ein einziges Haar einen riesigen Felsen an eine Klippe bindet, 1000 und noch mehr Meter über der Schlucht der Wirklichkeit?

Die Wahlen am 1. April sind eine Etappe auf dem Weg zur Freiheit des Landes

An diesem Wochenende wird in Myanmar gewählt. Es sind zwar nur Nachwahlen, die der Regierung ihre Mehrheit nicht nehmen werden, dennoch bedeuten sie eine weitere Etappe auf dem Weg zur Freiheit dieses so lange unterdrückten Landes. Denn auch Aung San Suu Kyi bewirbt sich um einen Sitz im Parlament - dass sie ihn bekommt, gilt als sicher. Überall im Land haben sich ihre Anhänger in den vergangenen Wochen aus der Deckung gewagt und offen für sie Wahlkampf betrieben. Vor einem Jahr wäre das undenkbar gewesen.

Und noch eine Meldung lässt aufhorchen: Die Regierung will am 1. April einen einheitlichen und flexiblen Wechselkurs der nationalen Währung, des Kyat, einrichten. Er werde sich nach Angebot und Nachfrage auf den Märkten richten, berichtete die regierungsnahe Zeitung "New Light of Myanmar". Der offizielle Wechselkurs liegt derzeit bei sechs Kyat für einen Dollar - auf dem Schwarzmarkt bekommt man dafür noch bis zu 800 Kyat.