An der Kreideküste von Rügen warnen Schilder Wanderer vor den Risiken erneuter Abbrüche

Die Steilkante der Kreideküste auf Rügen leuchtet in der Morgensonne, die Ostsee zeigt sich bei frühlingshaften Temperaturen von ihrer sanften Seite: Kleine Wellen kräuseln sich am Strand und bringen die Kiesel in Bewegung. Vereinzelt wandern Touristen am Kliff-Fuß entlang, bücken sich, um Hühnergötter und Donnerkeile zu sammeln.

Es ist eine trügerische Ruhe, die die Urlauber an der 13 Kilometer langen Kreideküste nördlich von Sassnitz genießen: Jederzeit könnte aus dem Kliff ein Stück herausbrechen und in die Tiefe stürzen. Die Gefahren-Ampel des Königsstuhl-Zentrums weist im Internet die höchste Warnstufe aus. "Extreme Vorsicht, ganze Bereiche können abrutschen, es besteht Lebensgefahr, Empfehlung: Strand meiden und die Wanderung verschieben", heißt es dort. Trotzdem sind Wanderer in den gefährlichen Bereichen unterwegs.

Am mehrere Kilometer entfernten Kap Arkona, der Nordspitze Rügens, kam vor einem Vierteljahr ein Mädchen bei einem Steilküstenabbruch ums Leben. Die Natur-Ranger am Kap haben nach dem Unglück das Sicherheitskonzept überarbeitet. In Nähe der Unglücksstelle verlegten sie einen Wanderweg 20 Meter weiter ins Landesinnere, sperrten einen Uferabstieg und überarbeiteten die Beschilderung.

Mit den langsam steigenden Temperaturen klettern auch die Besucherzahlen an der Kreideküste in die Höhe. "Wie lernfähig ist der Mensch?" Diese Frage hat sich Ingolf Stodian, Dezernatsleiter des Nationalparks Jasmund, nach dem Unglück am Kap Arkona mehrfach gestellt. Erst Anfang März versank ein Fossiliensammler unterhalb des Kreidekliffs hüfttief im Schlamm eines frischen Kreiderutsches und musste aufwendig mit Hubschrauber und Seenotkreuzer gesucht und geborgen werden. Der Mann habe unvernünftig und grob fahrlässig gehandelt, ist Stodian überzeugt. "Als er gefunden wurde, hat er sich beschwert, dass die Retter so langsam waren."

Der oberste Naturwächter auf der Insel Rügen ist sicher: "Ostern wird für uns die Nagelprobe." Der große, fast alljährlich wiederkehrende Frühjahrs-Abbruch mit mehreren Tausend Kubikmetern abrutschendem Fels ist bisher ausgeblieben. Doch die Natur ist unberechenbar. "Es kann unsichtbare Sollbruchstellen geben, an denen sich das Kliff jederzeit lösen kann", sagt Stodian. "Wer Ostern in den Nationalpark kommt, kann ihn genießen, ohne sich zu gefährden", ist der Dezernatsleiter überzeugt. An drei Stellen, dem 117 Meter hohen Königsstuhl, am Kieler Bach und an der Piratenschlucht führen Treppen vom Hochuferweg in die Tiefe zum Strand. Wer hier absteige, könne auch mal gefahrlos nach rechts und links laufen, sagt Stodian. "Aber bitte: keine durchgängigen Wanderungen von Sassnitz bis zum Königsstuhl!"