Schon früh erkannte man im Schweizer Skigebiet Laax das Potenzial des Freestyles - aber auch der normale Pistenfahrer findet ideale Bedingungen

Zackig und schroff ragen die Bergspitzen der Tschingelhörner in den blauen Himmel. Aus der Ferne ein majestätischer Anblick, der einen Kälte und eisigen Wind für einen Moment vergessen lässt. Denn auch wenn die Sonne scheint, es pfeift kräftig am Crap Sogn Gion. "Habt ihr das gesehen?", ruft Armin plötzlich aufgeregt. "Der Dude hat seinen Shifty nicht geschafft. Wahnsinn, was für ein Wagner." Wie bitte? Eine Familie, die sich gerade die Skier anschnallt, schaut ihn verständnislos an. "Unser Kumpel hat seinen Sprung auf der Rampe nicht geschafft und ist gestürzt - zum Glück ohne sich zu verletzen", erklärt Armin.

Jetzt ist er dran. Während die Eltern mit ihren beiden Töchtern die gut präparierte Piste elegant hinunterwedeln, rutscht Armin nur wenige Meter weiter über Treppengeländer und Metallstangen, die mitten im Hang stehen, dreht Pirouetten, fährt ein Stück rückwärts und kommt schließlich nach einem Überschlag zum Stehen.

Pistenfahrer und Freestyler dicht an dicht. Klassischer Parallelschwung kontra durch die Luft fliegen und freie Improvisation? Das muss kein Widerspruch sein. Nicht in Laax. Denn in dem Schweizer Bergdorf finden alle zusammen: Wintersportartisten und Familien mit Kindern, Snowboarder und Skifahrer, Jung und Alt. Alle haben Platz, auf 220 Pistenkilometern und 28 Bahnanlagen kommt sich keiner in die Quere. Während die einen auf den breit gespurten Abfahrten das Gebiet erkunden, das mittlerweile die Orte Flims, Laax und Falera miteinander verbindet, toben sich andere an Mauern, Klippen und im unverspurten Tiefschnee aus.

Hier am Crap Sogn Gion, auf 2228 Meter Höhe, zwischen der Gondelstation und dem neuen 6er-Sessellift Alp Dado, haben die Slopestyler ihr Reich. Mit Snowboards und Freeskis brettern sie auf einem Parcours über Röhren, Bänke und Pyramiden den Hang hinunter, drehen sich dabei um ihre eigene Achse oder grätschen die Beine. Klingt schwierig und spektakulär? Ist es auch, aber man muss kein Profi sein, um mitmischen zu können. In Laax bieten vier Snowparks mit insgesamt 90 Hindernissen für jeden Anspruch etwas. Erste vorsichtige Versuche können Neulinge im Beginner Park starten, wer dagegen schon Erfahrung hat und die eigenen Grenzen testen möchte, geht in den gleich gegenüberliegenden Ils Plauns Park. Ganz Unerschrockene führen im NoName Park, in Europas größter Halfpipe (140 Meter lang mit drei Meter hohen Wänden), ihre neuesten Tricks vor. Das lockt auch die Weltelite nach Laax: Zu den Burton European Open vom 25. Februar bis 3. März zeigen fast 400 Snowbaorder aus aller Welt, was man in einer Halfpipe alles anstellen kann.

Freestyle hat in dem Skiort im Kanton Graubünden Tradition. Schon früh erkannte man das Potenzial dieser Bewegung. "Es ist ein Lebensgefühl, das vor allem die jüngere Generation anspricht. Und die brauchen wir auf dem Schnee", sagt Reto Poltéra. "Freestyle bedeutet Freiheit, die Freiheit, seine Kreativität zu entfalten und einen eigenen Stil zu entwickeln." Der 42-Jährige ist selbst leidenschaftlicher Snowboarder und verantwortlich für die Entwicklung des Bereiches "Sport und Freizeit" in der Region.

So verwundert es nicht, dass Laax heute das führende Freestyle-Gebiet in den Alpen ist. Nicht zuletzt durch die 2010 eröffnete Indoor-Trainingshalle der Freestyle Academy. Aus der ehemaligen Tennishalle ist ein riesiger Indoor-Spielpatz für Freestyler geworden, und wenn abends alle Lifte stillstehen, werden hier wetterunabhängig und zu wummernden Bässen Körperbeherrschung und Körperspannung für Sprünge am Berg geübt. Es geht um das Perfektionieren von Schrauben, Salti und anderen Kunststücken, denn vor der Landung muss hier keiner Angst haben. Die ist weich. Ein riesiges Landebecken gefüllt mit Tausenden Schaumstoffstücken, die sogenannte Schnitzelgrube, bewahrt vor Verletzungen.

Auch wenn nach Reto Poltéras Meinung Freestyle die Zukunft ist, der normale Pistenfahrer kommt in Laax nicht zu kurz. Für alle, die gemütlich ihre Spuren auf den breiten "Autobahnen" ziehen möchten, ist eine ausgeglichene Mischung an Abfahrten vorhanden, die sowohl Anfänger und Fortgeschrittene als auch Experten zufrieden stimmt. Die vierköpfige Familie hat sich mittlerweile bis zum Vorab Gletscher hochgearbeitet. Knapp 2000 Höhenmeter müssen sie nun überwinden, bevor sie wieder an der Talstation ankommen. 17 Kilometer Fahrspaß, da ist Kondition gefordert. Doch genau das ist es, was Laax für Skilehrer Jara Uhricek so reizvoll macht. "Die Länge der Abfahrten und die Weitläufigkeit, das ist für mich das besondere an diesem Skigebiet."

Während die meisten schon beim Après-Ski den Tag ausklingen lassen, bleiben Armin und seine Freunde bis in den späten Nachmittag hinein in den Snowparks. Immer und immer wieder üben sie ihre "Kicks", ihre Sprünge über die Schanzen. Sie filmen sich gegenseitig, feuern sich an - denn sie wollen besser werden. Und manch einer träumt sogar von Olympia.