Im Zentrum Portugals lohnt sich der Besuch kleiner Städte. Viele Baudenkmäler stammen hier noch aus dem Mittelalter.

Es war eine Liebesgeschichte, die noch heute die Nation zu Tränen rührt. Pedro hieß der Prinz, der sich vor fast 700 Jahren unsterblich in Inês verliebte. Einige glückliche Jahre lebten sie zusammen, bis Pedros Vater, der portugiesische König, die schöne Hofdame ermorden ließ, weil ihm die Liaison politisch nicht passte. Doch Pedros Liebe überdauerte das Verbrechen. Heute liegen die beiden einander gegenüber.

In der Klosterkirche von Alcobaça erhebt sich auf der linken Seite des Querschiffes das Grabmal der Inês. Auf dem Sarkophag ruht eine steinerne Figurine der Verstorbenen. Auf der rechten Seite des Querschiffes steht der Sarkophag Pedros, auch dieser von einer Liegefigur bedeckt. Wenn am Jüngsten Tage beide auferstehen, werden sie sich in die Augen schauen. So hatte es sich Pedro zumindest gedacht.

Alcobaça ist ein Städtchen rund 125 Kilometer nördlich von Lissabon. Stolz ragt die barock umgestaltete Fassade der gotischen Kirche über den Dorfplatz, hell leuchtet die weiße Hauptfront des Klosters in der Nachmittagssonne. Sie bildet einen Kontrast zu den bunten Häusern auf der anderen Seite des Platzes. Die Abtei von Alcobaça gilt als eines der schönsten Beispiele zisterziensischer Baukunst in Europa. Gewaltig an Größe und schlicht an Ausstattung ist das Innere der frühgotischen Hallenkirche. Im Königssaal schmücken "Azulejos" die Wände, blaue Kacheln, bemalt mit Motiven aus der portugiesischen Geschichte.

Die Anlage von Alcobaça ist fast so alt wie Portugal selbst. Den Grundstein der Kirche legte Afonso Henriques, der erste portugiesische König, schon 1148. Damals war das Land noch zwischen Christen im Norden und Mauren im Süden umkämpft. In der Region nördlich des Tejo wurde portugiesische Geschichte geschrieben - lange bevor von Lissabon die Karavellen aussegelten, den Seeweg nach Indien zu finden und "neue Welten für die Welt" zu entdecken, wie es der Dichter Luís de Camões im 16. Jahrhundert im Nationalepos "Die Lusiaden" beschreibt.

Dass es damals selten friedlich zuging, verrät ein Städtchen 20 Kilometer nordöstlich von Alcobaça: Batalha, auf Deutsch "Schlacht", verdankt seinen Namen der Schlacht von Aljubarrota, in der die Portugiesen 1385 einen Sieg gegen die Spanier erfochten. Nachdem der Feind in die Flucht geschlagen war, erfüllte König João I. ein Gelübde und stiftete ein Kloster. So entstand das Mosteiro de Santa Maria da Vitória - das Kloster der Heiligen Maria des Sieges -, dessen gotische Pracht noch heute Eindruck macht.

Auf dem Platz vor der Kirche erhebt sich das Reiterstandbild des Nuno Álvares Pereira, des portugiesischen Feldherrn, der die zahlenmäßig weit überlegenen Kastilier besiegte. Das Kloster ist ein architektonisches Kleinod. Der Bau hatte sich seinerzeit in die Länge gezogen, und so findet man schon viel von dem um 1500 aufkommenden manuelinischen Stil, einer portugiesischen Variante der Spätgotik, benannt nach König Manuel I. (1495-1521).

20 Kilometer östlich von Batalha liegt der Wallfahrtsort Fátima, wo die Jungfrau Maria 1917 drei Hirtenkindern erschienen sein soll. Zwischen zwei Kirchen strömen Pilger über einen Platz zum Marienheiligtum und entzünden große Kerzen.

Am nächsten Tag geht es ins Mittelalter. Ziel ist die Christusritterburg von Tomar, rund 35 Kilometer östlich von Fátima. Die Anlage erhebt sich auf einem Hügel über dem Städtchen. Dort steht eine Doppelkirche, umgeben von schönen Kreuzgängen, erbaut von den Tempelrittern. Als der Templerorden 1312 europaweit aufgehoben und in Frankreich blutig verfolgt wurde, hat man ihn in Portugal unter dem Namen Christusritterorden neu gegründet. Kernstück der Burg von Tomar ist die geheimnisvolle Templerkirche, ein 16-eckiger Bau mit offenem Mittelraum. Wände und Nischen sind mit Engeln, Heiligen und Königen bunt bemalt. An die alte Kirche wurde um 1500 die Christusritterkirche angebaut.

Rund um das Portal haben Steinmetze neben Heiligen und Propheten eine Vielfalt tropischer Pflanzen und Tiere in Stein verewigt. Die Schätze des Orients, die König Manuels Schiffe nach Lissabon brachten, inspirierten die Künstler. Das manuelinische Fenster an der Rückseite des Kapitelsaals wird von steinernen Tauen, Blüten und Muscheln aus Stein umrahmt.

In der Universitätsstadt Coimbra begegnet man Pedro und Inês wieder, dort verlebten sie ihre glücklichste Zeit. Die Hochschule von Coimbra ist gut 700 Jahre alt, und noch heute prägen Studenten das Stadtbild. Man sieht sie in traditioneller Kleidung, in schwarzen Anzügen oder Kostümen, mit langen schwarzen Umhängen. Sie spazieren durch die Fußgängerzone, rasten auf den Stufen der Kathedrale, sammeln sich auf dem Platz vor der Universität. In einem Park südlich des Flusses Mondego erinnert die Fonte das Lágrimas, die Quelle der Tränen, an das Liebespaar. In der Kathedrale von Coimbra, so die Legende, ließ Pedro die tote Geliebte krönen und zwang alle Höflinge, die kalte Hand des Leichnams zu küssen.

Coimbra ist neben Lissabon eines der beiden Zentren des Fado, jener melancholischen Musik, in der zu Gitarrenklängen über Liebe, Leid und Sehnsucht gesungen wird. In Coimbra singen allerdings nur die Männer.

Auf der Treppe zur Kathedrale begegnen wir América. Die junge Portugiesin verkauft Tickets für ein Fadolokal. Sie hat mit den Geschlechterrollen kein Problem. "Das ist eine alte Tradition", sagt sie. "Frauen dürfen seit 100 Jahren hier studieren, aber die Lieder sind viel älter und werden deshalb nur von Männern gesungen." Wir lassen uns im Lokal "fado ao centro" nieder. Auf der Bühne sitzen zwei Gitarristen, zwischen ihnen steht der Sänger, alle drei in Schwarz. Da darf das Lied "Coimbra" nicht fehlen: "Coimbra, du bist noch immer die Hauptstadt der Liebe in Portugal", heißt es darin. "Coimbra, wo man einmal mit Tränen die Geschichte der schönen Inês schrieb."