Millionen von Fans kommen jedes Jahr an diesen Ort, um seiner Geschichte und dem dort gelebten Heimatgefühl zu applaudieren.

Es gibt viele deutsche Prominente, die im Ausland lange mehr Wertschätzung erhielten als daheim. Ute Lemper kam am Broadway groß raus, als hier noch niemand ihren Namen kannte. Siegfried und Roy wurden in Las Vegas zu Stars, während ihre Heimat sie nur milde belächelte. Die Scorpions füllen in Russland die Stadien, hier hört angeblich niemand ihre Musik. Und auch Fußball-Legenden wie Stefan Effenberg und Lothar Matthäus würden sicher bestätigen, dass sie im Ausland schon immer mehr Liebe erfahren haben.

So verhält es sich auch mit einigen deutschen Gegenden. Zum Beispiel Franken. Frank und frei muss man zugeben, eher wenig über diesen Landstrich im Norden Bayerns zu wissen. Dabei ist er im Ausland sehr bekannt. In jedem Reiseprospekt über Europa rangieren Fotos von Rothenburgs mittelalterlichen Mauern und Türmen gleich nach denen vom Vatikan, meistens aber noch vor Darstellungen des Big Ben.

Rothenburg ob der Tauber dürfte die bekannteste Kleinstadt Deutschlands sein. Nur 11 000 Einwohner, dafür um die zwei Millionen Tagesbesucher pro Jahr. Jeder Europareisende kommt hier vorbei, wo sich die Romantische Straße und die Burgenstraße kreuzen - und damit einen Knotenpunkt für die schönsten Klischees über Deutschland bilden: Im Winter kuscheln sich Menschen auf dem Markt zusammen, trinken Glühwein, Schneeflöckchen fallen. Im Sommer halten Kerle in Tracht eine Maß in der Hand - im Hintergrund entweder eine Wiese mit Löwenzahn oder ein historisches Gemäuer.

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Davon hat die Tauberstadt mehr als genug, wenngleich Teile davon eigentlich geschummelt sind. Nach den Zerstörungen im Krieg wurden viele Gebäude der Altstadt wieder im alten Stil aufgebaut, können aber nicht auf die 1000-jährige Geschichte verweisen wie der Rest der Kitschstube Bayerns. "Das romantisch verklärte Image ist ja nett, aber wir haben wirklich mehr zu bieten", sagt Jürgen Klatte. Theater zum Beispiel. 2008 tat sich der Chorleiter mit zwei Bekannten zusammen und eröffnete das Toppler-Theater im Nordhof des Reichsstadt-Museums. 126 Plätze hat es, manche bezeichnen es als das schönste Freilufttheater Bayerns. Ab Ende Juni dürfen sich die Besucher selbst davon überzeugen, wenn die Schauspieler für die nächsten drei Monate jeweils nach dem Abendläuten der St.-Jakobs-Kirche auftreten. "Wir haben zwar ständig leere Kassen, aber den schönsten Gong der Welt", sagt Klatte.

Die 1485 eingeweihte Kirche bezeugt den früheren Reichtum Rothenburgs, das zu den zehn größten Städten des Heiligen Römischen Reiches zählte. Die Jakobs-Kirche besitzt gleich zwei bedeutende Altäre mit Werken von Tilman Riemenschneider und eine Orgel mit 69 Registern und 5500 Pfeifen.

Wenn der begeisterte Musiker Klatte dort in die Tasten haut, kann einem Hören und Stehen vergehen. Also setzt man sich in die Bänke, bis hinter einer Säule Pfarrer Oliver Gussmann auftaucht und fragt, ob man nicht an einem Rundgang durch das jüdische Viertel teilnehmen wolle. Natürlich, denn Rothenburg ob der Tauber erlebte eine Hochblüte der jüdischen Kultur, als der berühmte Talmud-Gelehrte Rabbi Meir ben Baruch in der Mitte des 13. Jahrhunderts hier lehrte. Die Klugheit des Mannes war damals so bekannt, dass er Briefe mit Fragen zu unterschiedlichsten Problemen aus der ganzen Welt erhielt. Lange bevor es Sammelmails gab, verschickte der Rabbi seine weisen Antworten mit Tausenden von Abschriften schon in die ganze Welt. Heute wäre er wahrscheinlich ein Twitter-Star und hätte Millionen Freunde bei Facebook.

"Leider wurde alle Juden durch den Rassenhass vertrieben", erzählt Gussmann, der ein Jahr in Jerusalem lebte und sich deshalb intensiv mit der jüdischen Geschichte beschäftigt. "Geblieben ist jedoch die letzte noch erhaltene spätmittelalterliche Judengasse Europas." Die Fachwerkhäuser zeichnen sich durch kleine Besonderheiten aus. Die geschwungenen Türeingänge vor Haus Nr. 15/17 sehen aus wie die zehn Gebotstafeln, und in Nummer 10 befindet sich eine Mikwe, ein jüdisches Tauchbad, das zur rituellen Reinigung diente. "Fränkisches Jerusalem" lautet daher ein altes Synonym für Rothenburg.

Ein paar Gehminuten weiter steht man dann schon wieder vor den "Stereotypen der Schnuckeligkeit", wie der Pfarrer das gotische Rathaus und die Ratstrinkstube nennt. Markant an diesem Gebäude sind die große Stadtuhr aus dem Jahre 1683 mit Datumsanzeige und die etwas jüngere Sonnenuhr sowie die beiden Fenster mit Figuren, die sich stündlich öffnen, um die legendäre Geschichte des Meistertrunks zu zeigen. Hierbei handelt es sich um eine Legende, die nie belegt, aber zum größten Marketinginstrument der Stadt wurde. Sie spielt im Jahr 1631: Katholische Truppen greifen das protestantische Rothenburg an und wollen gerade so richtig loslegen mit dem Plündern und Brandschatzen, als ihrem General Tilly eine Idee zu seiner Unterhaltung kommt. Er verspricht, die Stadt zu verschonen, wenn ein Ratsherr es schaffe, 13 Shoppen, also dreieinviertel Liter Wein, auf einen Zug zu leeren.

Ob der Frankenwein damals schon so gut war, darf bezweifelt werden. Heute genießt man hier vor allem Silvaner (typischerweise aus dem Bocksbeutel), für den die Region bekannt ist. Auf dem Weg nach Rothenburg empfiehlt sich unbedingt ein Stopp bei einem der bekannten Winzer. Nicht nur sensorisch, sondern auch architektonisch interessant sind das Weingut Brennfleck in Sulzfeld sowie das Weingut am Stein. Bei einer Verkostung dort sieht alles schön aus - was nicht am Alkohol liegt, sondern an der besonderen Gebäudegestaltung. Das Auge trinkt mit.

Aber zurück ins Jahr 1631: Tatsächlich findet sich ein mutiger Durstiger. Bürgermeister Nusch höchstpersönlich trinkt den Humpen leer, fällt anschließend in ein dreitägiges Koma, rettet aber die Stadt. "Warum sie wirklich verschont wurde, weiß niemand", gibt Stadtführer Lothar Schmidt zu. "Aber aus der Legende haben wir unser größtes Fest entwickelt." Jedes Jahr zu Pfingsten spielen die Rothenburger den 30-jährigen Krieg nach. In den Gassen wüten die verfeindeten Heere, und Tausende von Besuchern schauen zu. "Der Meistertrunk" gehört zu den populärsten Volksschauspielen des Landes.

In Rothenburg konzentriert sich deutsches Heimatgefühl, das besonders Ausländer zu schätzen scheinen. Die Touristen suchen nach Entschleunigung und sehnen sich nach einer geordneten Epoche, die sie hier hübsch zurechtgemacht finden. Aber sie bringen auch etwas mit. "Der Reiz liegt darin, dass es innerhalb dieser kleinen Stadtmauern plötzlich zugeht wie in Florenz oder Venedig. Ab Ostern kommen die Italiener, Amerikaner und Japaner und geben uns Rothenburgern das Gefühl, Weltreisende zu sein", sagt Schmidt.

Wem bei so viel Wohlgefühl nach einer Dosis Dunklem verlangt, besucht das mittelalterliche Kriminalmuseum. Dort wird schnell klar, dass es in der Vergangenheit alles andere als schön und gerecht zuging. Die Dokumente über Gesetze und Strafen der letzten 1000 Jahre sind in der Johanniterscheune untergebracht. Bis vor ein paar Jahren jedoch waren die bizarren Folterinstrumente (etwa ein Halsgeigen für zänkische Frauen) dort zu begutachten, wo heute Fitnessgeräte stehen: im Keller des Burghotels. Wer das weiß, kommt hier beim Sport ganz von allein ins Schwitzen. Ein paar Stockwerke höher geht es romantischer zu. Vom Himmelbett aus blickt man je nach Lage des Zimmers entweder auf einen verwunschenen Klostergarten oder auf einen weißen Turm, das Topplerschlösschen.

Heinrich Toppler (1340-1408) war der berühmteste Bürgermeister der Stadt, er wurde von den Rothenburgern wie ein König behandelt. Unter ihm blühte die Stadt auf und erreichte ihren politischen Höhepunkt. "Der Mann besaß eine Macht und ein Ansehen wie heute Angela Merkel", sagt der Stadtführer. Das rief jedoch viele Neider auf den Plan, die Toppler schließlich des Hochverrats anklagten und ihn in den Kerker verbannten.

Manchmal scheint es doch besser zu sein, in der eigenen Heimat nicht zu prominent zu werden.