Der Fremdenführer ist derjenige, der den örtlichen Teppichhändler am besten kennt und auch im Juwelen-Shop nebenan nach kurzer, stets fremdsprachlicher, gern lautstarker Verhandlung den "besten Preis" herausschlägt. Dabei ist jeweils zu klären, ob es sich um den für ihn, für den verbündeten Juwelier oder sogar für den Urlauber besten Preis handelt. Zufällig kennt der Fremdenführer auch den Wirt des "weltbesten" Restaurants, in das er die Urlaubergruppe schleppt und in dem es Stichproben zufolge dann doch nicht weltbestens schmeckt. Auffälligerweise vertreibt der Fremdenführer sich die Essenszeit am Katzentisch im Vorraum und isst etwas anderes als seine Gruppe - oder er verabschiedet sich mal eben und isst unter dem Vorwand, seinen Halbbruder zu besuchen, ganz köstlich auf der anderen Straßenseite.

Auch ist ein guter Fremdenführer daran zu erkennen, dass er noch die sinnloseste Jahreszahl und die unbedeutendste Schlacht ungefragt auswendig weiß. Macht nichts, dass manches Datum nachträglicher Überprüfung nicht standhält und selbst die Einordnung nach Jahrhunderten nur Annäherungswerte liefert.

Der Gegenbeweis ist schwer zu führen, wer schiebt schon im Urlaub eine Sackkarre Sekundärliteratur vor sich her, um Angaben des Fremdenführers zu widerlegen? Der beriefe sich sowieso auf neueste Erkenntnisse der Wissenschaftler vor Ort, mit denen er befreundet ist. Trotzdem versuchen es Reisende zur Freude der Gruppe immer wieder - unter Verweis auf ihre jahrzehntelange Tätigkeit an der Gesamtschule des Heimatortes -, dem Guide Redezeit abzujagen.

Mehrheitlich halten sich die Mitreisenden aber an diese Faustregel: lieber falsche Zahlen als doppelt so lange Vorträge aus den eigenen Reihen, denn der ganze Krempel interessiert sowieso nicht. Mit einem Vorturner ist das Risiko aber geringer, sich in der fremden Stadt zu verlaufen oder, schlimmer noch, desinteressiert zu wirken. Dem Fremdenführer sichert diese Einstellung sein Auskommen. Will er renitente Töne übrigens von vornherein verhindern, ordnet er regelmäßig den Besichtigungsbeginn zwischen 6 und 7 Uhr früh an: Denn wer müde ist, murrt nicht so schnell.