Die trockene Kalahari in Botswana ist reich an Leben. Wohldosierter Tourismus macht die einstige Heimat der Buschleute für Urlauber interessant

Ein blasser Vollmond leuchtet am hellen Himmel. Dunkelrot steigt die Sonne über den Horizont. Springböcke hüpfen über die Ebene, grau-weiß-schwarz gezeichnete Oryx-Antilopen mit knapp meterlangen Hörnern zupfen am spärlichen Grün. Giraffen schauen neugierig über Büsche. Es ist ein Morgen wie im Bilderbuch. Dabei hatte er dramatisch begonnen: mit Löwengebrüll, das um halb vier durch die dünnen Zeltwände deutlich zu hören war. "Mal schauen, ob wir sie finden", sagte Guide Russell, als wir aufbrachen. Nun dreht er den Zündschlüssel um, der Landrover kommt zum Stehen. Mitten auf dem Weg hat sich eine Löwin ausgestreckt. Wir wagen kaum zu atmen. Ein paar Meter weiter lümmeln sich fünf junge, riesig wirkende Kalahari-Löwen mit dunklen Mähnen. Einer rollt sich auf den Rücken und streckt alle Viere von sich. Nichts ist zu hören außer dem Klicken der Kameras. Eine Löwin steht auf und kommt langsam auf uns zu. Dann dreht sie ab und lässt sich wieder fallen. Vor zwei Tagen hat das Rudel eine Oryx-Antilope gerissen. Noch immer sind die Tiere satt und erschöpft.

Das Central Kalahari Game Reserve birgt den ganzen Zauber Afrikas. Mit einer Fläche von knapp 53 000 Quadratkilometern hat es etwa die Größe der Niederlande. Als zweitgrößtes Schutzgebiet der Welt ist es eine Art Gedächtnis der Erde: eine Erinnerung daran, wie Afrika war, bevor die Menschen Landschaften in Städte verwandelten - und daran, wie unvergleichlich schön dieser Kontinent noch immer ist. Im Park gibt es nur zwei kleine Camps, die 2008 und 2009 eröffneten.

Dafür ist die scheinbar karge Natur überaus präsent: mit einer berauschenden Artenvielfalt, aber auch mit einem extremen, geradezu brutalen Klima. Als Andrea Whitten, eine junge Buschpilotin aus Mexiko, die neuen Gäste am Tag zuvor am Camp Kalahari Plains absetzte, glühte die Kabine in der Mittagshitze. Das Land um uns lag in gleißendem Licht. So hell war es, dass trotz Sonnenbrille die Augen tränten.

Extrem sind auch die Temperaturunterschiede in der Halbwüste. Um sechs Uhr, zu Beginn der Morgenpirsch, frieren wir trotz Fleecehemd und Schal erbärmlich. Als Russell um neun Uhr auf der Motorhaube eine Kaffeetafel mit Blick auf gelbes Buschgras und immergrüne Akazien anrichtet, ist uns nicht nur infolge der Adrenalinzufuhr durch die Begegnung mit dem Löwenrudel warm geworden. Um halb elf sind wir zurück im Camp, um elf Uhr wird dort ein Brunch serviert. Die Zeiten erinnern ein wenig an den Alltag in einer Pflegeeinrichtung, doch diktiert werden sie vom Klima. Nach der mehrstündigen Mittagspause, während der die Sonne vom Himmel brennt und alles Leben im Busch erlahmen lässt, zeigt das Thermometer auf der Veranda des Camps noch immer eindrucksvolle 46 Grad Celsius an.

Doch trotz des unbarmherzigen Klimas steckt die Kalahari voller Leben. Nicht umsonst rät Russell Crossey, der freundliche Guide aus Johannesburg, auch bei Tag nicht alleine durchs Camp zu laufen. Von der Abend- bis zur Morgendämmerung ist das sogar verboten; um halb fünf macht er zum Wecken die Runde von Zelt zu Zelt, um fünf sammelt er uns zum Frühstück ein. Sicher ist sicher. Denn zu dieser Zeit sind die großen Katzen aktiv. Und sogar bei Tag lassen sich immer mal wieder Löwen blicken. Von den fünf Leoparden, die rund ums Camp leben, gar nicht zu reden. Schließlich gibt es hier keine Zäune, keine Stege, die ein wenig Distanz schaffen würden - nur echte, unmittelbare Wildnis.

Auch die Schwarze Mamba gehört zu den Tieren, die man idealerweise nur vom Jeep aus sehen sollte. Schließlich ist sie die einzige Schlange, von der die Guides zugeben, dass sie aggressiv ist. "Wenn ihr eine Mamba seht, rennt, so schnell ihr könnt - aber nicht durchs Gras, da ist sie auf jeden Fall schneller", sagt Russell mit einem Grinsen. Ihm bereitet die Fauna kein Kopfzerbrechen: "Ich weiß, dass ich im Busch sicherer bin als zu Hause in Johannesburg", erklärt er. Seit seiner Schulzeit arbeitet er als Guide. Obwohl seitdem 25 Jahre vergangen sind, ist die Natur des südlichen Afrikas für ihn noch immer das Spannendste, was das Leben zu bieten hat.

Wenn man sich an die Gesetze der Wildnis halte, habe man hier wenig zu befürchten, meint Russell - was aber weder ihn noch seine Kollegen daran hindert, abends, als wir am Lagerfeuer essen, äußerst unterhaltsame Anekdoten von ihrer Arbeit zu erzählen. Kaum einer, der nie vor einem Löwen auf einen Baum geflohen ist oder von einer Oryx-Antilope umgerannt wurde. Einzige Ausnahme sind die im Camp beschäftigten San, die an diesem Abend unter Lärm und Lachen ihre traditionellen Tänze demonstrieren.

Die San bringen es seit Jahrtausenden fertig, in der kargen Kalahari als Jäger und Sammler zu überleben. Abgeschnitten vom Rest der Welt, ohne eine Vorstellung von Geld, Handel und jeder anderen Eigenheit moderner Zivilisation, gehörten sie wohl zu den wenigen Menschen auf der Welt, die mit der Natur leben, ohne in sie einzugreifen. Deshalb wurde ihnen dieser Teil der Halbwüste 1961 von der englischen Protektoratsverwaltung Botswanas zur Verfügung gestellt - und für die Öffentlichkeit verriegelt.

Als in den 1990er-Jahren ein zarter Tourismus zu erblühen begann, verschoben sich die Prioritäten. Botswana setzte auf Artenschutz und hochpreisigen Tourismus, um die Besucherströme im Rahmen zu halten. Heute heißt das Gebiet Kalahari Game Reserve. Geschützt werden Fauna und Flora, Jagen heißt Wildern und ist verboten. Schon deshalb können die San ihre traditionelle Lebensform nicht mehr pflegen. Ihre Zukunft liegt außerhalb der Parkgrenzen. In neuen Dörfern sollen sie sesshaft werden, Schulen besuchen und medizinisch versorgt werden. Diese zivilisatorischen Errungenschaften hatte Seretse Khama, der erste Präsident Botswanas, allen Bürgern Botswanas versprochen. Heute werden die Rechte auch als Bürgerpflicht interpretiert.

Viele San nahmen das Angebot der Regierung zur Umsiedlung an - doch rund 1000 von ihnen kehrten zurück. 2006 erklärte ein Gericht die Umsiedlung für widerrechtlich. Seither schwelt der Konflikt zwischen Buschleuten und Regierung, zwischen dem Wunsch, ein uraltes Erbe zu bewahren, und einer Realität, in der für die Lebensweise der San kein Platz mehr ist. Für die Besucher ist das Kalahari Game Reserve dank seiner Tierwelt und des kaum entwickelten Tourismus hingegen ein Traum. Bald schon heben wir für Giraffen, Springböcke und andere Vertreter der Arten, die Russell großzügig als "General Kalahari Wildlife" zusammenfasst, kaum noch die Kameras.

Am Nachmittag haben sich schwere Wolken am Horizont aufgetürmt. Bald beginnt die Regenzeit. Schon die ersten Regenfälle - etwa 175 Millimeter Niederschlag gibt es im Jahr - verwandeln die Brauntöne der trockenen Landschaft in alle Schattierungen von Grün. Doch noch bleibt der Wind aus, der erst Staub aufwirbelt und dann Regen bringt. Auf der verlassenen Landebahn des Camps sehen wir eine Braune Hyäne. Das an einen Wolf erinnernde Tier gehört zu den seltensten Spezies Afrikas. Als wir gerade anfangen, uns auf den Sundowner zu freuen, hebt Russell die Hand und deutet nach vorne. Rechts von uns erscheint eine Gepardin. Langsam quert sie die Sandpiste, wirft uns einen langen Blick zu und verschwindet im Gebüsch.