Die Gesamtfläche ist nur etwas größer als Niedersachsen. Dennoch bietet Costa Rica dem Besucher die geballte Ladung Natur und Abenteuer.

Wer den Himmel über Costa Rica vom Sonnenaufgang rot eingefärbt sehen will, sollte vor dem Schlafengehen die Klimaanlage im Hotel ausschalten und das Fenster öffnen. Denn wenn zwischen 5 und 6 Uhr morgens die ersten Sonnenstrahlen die Hügel des Landes treffen, beginnt das Dschungelkonzert. Wie ein Weckruf holt es den Reisenden aus seinen Träumen. Das gleichmäßige Meeresrauschen des Pazifiks wird begleitet von exotischen Vogelstimmen und dem Rufen der Brüllaffen. Ins Zimmer strömt der nussige Geruch des Regenwaldbodens, und der Morgen wird abgerundet durch den Biss in eine perfekte Banane - eine Geschmacksexplosion, die jede Import-Banane in Deutschland ab jetzt wie ein aromatisiertes Handtuch schmecken lässt.

Intensiv sind diese ersten Eindrücke des kleinen Landes zwischen Panama und Nicaragua, dem Pazifik und dem Karibischen Meer. Die 15 Stunden Flug am Tag zuvor sind sofort vergessen. Und auch die erste Moskito-Attacke auf dem Flughafen von Liberia wird als verschmerzbare Begleiterscheinung ad acta gelegt, wenn die Fahrt zum Hotel einer Dschungelsafari gleicht. Schon hier wird klar: Costa Rica ist eine wahre Naturschönheit. Die Landschaft ist so grün und saftig wie ein knackiger Apfel, in den man sofort hineinbeißen will.

Costa Rica ist aber schon lange kein Geheimtipp mehr. So ist es auch kein Wunder, dass der Tourismus der wichtigste Wirtschaftsfaktor und Devisenbringer des Landes ist. Mehr als zwei Millionen Urlauber aus der ganzen Welt kamen 2010 in das Land, das nur eine etwas größere Fläche hat als Niedersachsen. Zwar machte sich mit einem Besucher-Rückgang von acht Prozent 2009 auch in der Republik die Wirtschaftskrise bemerkbar, dennoch lockt der bewusste Tourismus naturverbundene Reisende weiterhin an. Schon seit den 80er-Jahren setzen Hoteliers und Veranstalter auf Ökotourismus, der abenteuerlustige Nordamerikaner und Europäer anzieht. Denn die Regenwälder Costa Ricas sind nicht nur zum Anschauen da. Beim "Canopy" ist der mutige Urlauber mit sicherem Hüftgurt an einem Stahlseil aufgehängt und rauscht durch die grünen Schluchten vom Nationalpark Rincón de la Vieja. Die Stahlseile sind über Baumplattformen miteinander verbunden und führen viele Meter über dem Regenwaldboden an Vogelschwärmen und dicht belaubten Tropen-Bäumen vorbei. Abwechselnd wird während der berauschenden Abfahrt der Ausblick auf die Pazifikküste oder fruchtbare Vulkanlandschaften frei. Für weniger Waghalsige ist der Gang über Hängebrücken eine Alternative. Hier haben Tierfreunde mehr Zeit, um die verschiedenen Tukan- und Affenarten zu beobachten.

Neben dem Tourismus ist die Landwirtschaft nach wie vor ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in Costa Rica. Die Exportschlager des Landes sind zwar Computerchips, die das amerikanische Unternehmen Intel in seiner modernsten Produktionsstätte in der Hauptstadt San José herstellt. Aber auch Bananen, Ananas und Kaffee aus Costa Rica landen in deutschen Supermärkten im Einkaufswagen. Einige Kaffee-Plantagen in den Höhenlagen bieten Touren an, bei denen der Reisende die Produktion der Bohnen für das Brühgetränk von der Ernte über die Fermentation bis zur Röstung verfolgen kann.

Das romantisch verklärte Bild des Kaffeebauern wird allerdings jäh zerstört, trifft man auf den Plantagen auch Kinder an, die die roten Kaffeebohnen in Handarbeit von den Sträuchern pflücken. Zwölf bis 13 Kilo wiegt ein Erntekorb, wenn er voll ist. Dafür benötigen gute Pflücker etwa 20 Minuten und erhalten zwei bis drei US-Dollar. Unter Beobachtung des Plantagenführers José sagt der 14-jährige Rudi, dass ihm die Arbeit Spaß mache. Er komme aus Nicaragua, zur Schule gehe er nicht. Der Führer José versucht kritisch Fragende zu beschwichtigen: "Ich habe schon mit sieben Jahren Kaffee gepflückt. Das gehört zu unserer Kultur." Kinderarbeit ist auch in Costa Rica illegal, doch wird gerade bei Migranten wohl öfter einmal das eine oder andere Auge zugedrückt. Beim Kaffeekauf in Deutschland fällt die Wahl nach einem Plantagenbesuch in Costa Rica nun vielleicht schneller auf Fairtrade-Kaffee.

Dennoch ist Costa Rica im Vergleich zu anderen mittel- und südamerikanischen Ländern quasi die Schweiz des Kontinents. 1949 ließ Präsident José Figueres Ferrer die Armee abschaffen. Die nun zur Verfügung stehenden Mittel wurden fortan in das Bildungs- und Gesundheitssystem gesteckt. Das macht sich auch heute noch bezahlt, denn die 4,7 Millionen Einwohner Costa Ricas gehören mit 96 Prozent Alphabetisierungsgrad zu den am besten ausgebildeten Völkern der Welt. Auch die Lebenserwartung ist hoch. Mit durchschnittlich 78,3 Jahren lebt der Costa Ricaner statistisch gesehen nur etwa eineinhalb Jahre kürzer als der Deutsche - und womöglich glücklicher. Laut einer Untersuchung der New Economic Foundation wird die Liste der "glücklichsten Länder der Welt" von Costa Rica angeführt. Ausschlaggebend für den sogenannten Glücksindex sind Lebenserwartung, allgemeine Zufriedenheit und ökologischer Fußabdruck. So erklärt sich vielleicht das Lebensmotto der Costa Ricaner: "Pura Vida!", zu Deutsch "das pure Leben", beschreibt die hohe Zufrieden- und Gelassenheit der Einwohner, aber auch die artenreiche Tier- und Pflanzenwelt des Landes. Auf der vergleichsweise kleinen Fläche konzentrieren sich fünf Prozent der weltweit verbreiteten Tier- und Pflanzenarten.

Und so gibt es für Touristen natürlich viele Angebote, die Flora und Fauna des mittelamerikanischen Staates kennenzulernen. Bootstouren sind eine gute Möglichkeit, Tiere vom Wasser aus zu beobachten. Auf dem Bebedero-Fluss in der Provinz Guanacaste schippert das wegen plötzlicher Regengüsse überdachte Motorboot ruhig übers Wasser. "Schnellboote sind hier verboten", erklärt Reiseführer Ronnie. Die scheuen Tiere würden sonst in ihrem Lebensraum gestört. Langsames Fahren ist zum Beobachten der Tiere auch unbedingt nötig. Während die Touristengruppe sich suchend umschaut, filtern die geübten Augen des Reiseführers mühelos ein exotisches Tier nach dem anderen aus dem grün-braun gefärbten Dschungeldickicht am Flussufer. Da sonnen sich Krokodile auf Sandbänken und flitzen grün schillernde Eisvögel kopfüber ins Wasser, um Fischen nachzustellen. Auch der Kahnschnabel, eine in Südamerika weit verbreitete Reiherart, fällt mit seinem namensgebenden breiten Schnabel erst auf den zweiten Blick auf. Die knallgrünen Leguane sind im Uferschlamm oder auf den Bäumen kaum zu übersehen. Die Männchen, erkennbar am orangefarbenen Kamm, beginnen beim Näherkommen des Bootes sogleich mit kräftigem Kopfnicken. Dieses drückt allerdings weniger ihre Zustimmung zum eifrigen Fotografieren der Touristen aus. Es ist eine Drohgebärde, um potenzielle Konkurrenten zu vertreiben.

Der Wasserstand des Bebedero-Flusses ist um diese Zeit des Jahres relativ hoch. Denn wenn in manchen Gegenden Deutschlands im Januar Schnee geschaufelt wird, ist in Costa Rica gerade die Regenzeit zu Ende. Bis Mai herrscht dann Trockenzeit - die vier klassischen Jahreszeiten gibt es nicht. Für den deutschen Touristen bedarf die hohe Luftfeuchtigkeit in Kombination mit dauerhaften Temperaturen um 30 Grad einer Umstellung. Aus dem klimatisierten Flugzeug steigend, erwartet den Reisenden die sprichwörtliche "Wand" aus Hitze und Feuchtigkeit. Dafür herrscht das ganze Jahr über Sandalen-Wetter. Ein Traum für kältegewöhnte Deutsche. Umgekehrt haben die Ticos, wie die Einwohner sich selbst nennen, von Deutschland nur ein Bild im Kopf: Schnee und Eis. "Für die Costa Ricaner ist es ein Traum, einmal im Leben Schnee zu erleben", so Reiseführer Ronnie. Wenn es die Costa Ricaner also einmal nach Deutschland verschlage, dann garantiert in der Winterzeit.

Etwas kühler ist es auch rund um den Vulkan Rincón de la Vieja. Neben den Canopy-Touren sind hier, auf 800 Meter Höhe, auch Reitausflüge möglich. Die geländeerprobten Pferde bringen Anfänger wie Reit-Profis sicher über abschüssige Schotterpisten und seichte Bäche, die durch Bodensenken strömen. Wenn die Sonne brennt, ist im Anschluss eine Körpermaske aus Vulkanschlamm in einer der heißen Quellen eine Wohltat. Während sich beim Trocknen eine heilende Kruste auf der Haut bildet, zeigt sich auch der Brüllaffe vom Morgen wieder. Ruhig sitzen die Tiere in kleinen Gruppen in den umstehenden Bäumen und werfen ein Auge auf die schlammbedeckten Menschen.

Reiseführer Ronnie warnt jedoch, den Tieren zu nahe zu kommen. "Wenn sich die Brüllaffen bedroht fühlen, werfen sie manchmal mit ihrem Kot. Bevorzugt auf Touristen!" Da ist ein abschließendes Bad im heißen Quellwasser mit Blick auf den Regenwald die bessere Alternative. Ausklingen kann ein solcher Tag dann in einer der Lodges, die sich in den Nationalparks etabliert haben. Hier wird besonders darauf geachtet, ökologisch verträglichen Tourismus zu betreiben - und ihn weiterzuentwickeln. So wird der Pferdedung in selbst konstruierten Anlagen zur Erzeugung von Dünger und auch Methangas genutzt. Vom Schwefelgeruch befreit, dient es manchen Betrieben schon als Gas zum Kochen und zur Warmwassererzeugung. Ein Konzept, das zu dem der Regierung passt: Bis 2021 will das kleine Land klimaneutral sein. So könnte das vielfältige und artenreiche Ökosystem Costa Ricas erhalten werden. Und auch der morgendliche Weckruf der Brüllaffen würde noch lange durch den Regenwald hallen.