Im mondänen St. Moritz ist so gut wie alles teuer, doch ein prickelndes Heilwasser und das trockene Champagnerklima gibt es für jeden gratis.

Herr Valerio würde gern ein bisschen flotter fahren, "aber auf der Autobahn darf man in der Schweiz nicht schneller als 120 sein, sonst wird es sehr teuer". Eine Woche vor uns habe er den Präsidenten aus Aserbaidschan von Zürich nach St. Moritz gebracht, sagt Valerio und fügt lächelnd hinzu: "Da hatten wir eine Polizeieskorte, und es ging mal richtig schnell."

Aber auch in beschaulichem Tempo ist der Shuttle-Service vom Flughafen Zürich ins Engadin sehr bequem. Und schließlich kann nicht jeder mit dem Privatjet einfliegen, um hier Urlaub zu machen, so wie unzählige Prominente. Allein die Landegebühren auf dem Flughafen Samedan im Engadin sind so hoch, dass andere Familien davon einen ganzen Urlaub bestreiten können.

Sobald die Autobahn hinter uns liegt, geht es merklich bergan. Die Route in den Kanton Graubünden führt über den Julier-Pass. Bis auf 2284 Meter über dem Meeresspiegel windet sich die verschneite Straße hoch - ein Glück, dass Herr Valerio Allrad fährt. Denn immer wieder passiert man stecken gebliebene Autofahrer, die sich mit steifen Fingern an ihren Schneeketten abarbeiten. "Es wäre eben immer besser, das Montieren zu Hause einmal vorher auszuprobieren", meint unser Chauffeur.

Der Italiener vom Comer See fährt seit vielen Jahren Taxi. Ihn schreckt der Winter nicht, denn dann läuft das Geschäft. Das Engadin, allen Orten voran St. Moritz, ist schließlich berühmt für den Wintersport.

Die touristische Geschichte fing sehr früh an. Schon Paracelsus erwähnte den Ort 1535 als Heilbad. Im Kurhaus plätschert immer noch der Brunnen mit dem Heilwasser. Es enthält natürliche Kohlensäure und ist sehr eisenhaltig. Man kann es (mit viel Überwindung) trinken oder äußerlich anwenden - als Kohlensäurebad. "Es soll sich anfühlen wie ein Champagnerbad", sagt Susi Wiprächtiger, "aber ich habe noch nie in Champagner gebadet." Die Schweizerin, die als Gästeführerin in St. Moritz arbeitet, vor allem aber seit 35 Jahren als Skilehrerin, verhehlt nicht, dass sie dergleichen etwas dekadent fände.

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In St. Moritz ist so gut wie alles teuer, nur das Heilwasser nicht - das könnten sich die Gäste kistenweise kostenlos abfüllen, wenn sie das möchten, sagt die Gästeführerin. Auch für das sogenannte Champagnerklima wird kein Geld extra verlangt, jene extrem trockene, klare Höhenluft, die einen daran erinnert, dass man dem Himmel hier näher ist als in Norddeutschland - und das bei 320 Sonnentagen im Jahr. Jedenfalls steht das so in jeder Broschüre.

St. Moritz, bis 1860 der kleinste Ort im Engadin, war immer schon sehr fortschrittlich. Es war der erste Ort in der Eidgenossenschaft, in dem es Strom gab, und auch die erste Straßenbahn der Schweiz fuhr hier, um die Gäste vom Ortsteil Dorf in den Ortsteil Bad zu bringen. Heute parkt man idealerweise im Parkhaus. Sauber und gepflegt ist es, denn hier wird regelmäßig geputzt. Mit einer Rolltreppe, die 50 Höhenmeter überwindet, geht es vom Parkhaus nach oben ins Zentrum.

Wer heute durch das mondäne Dorf mit seinen 39 Hotels, davon fünf Fünf-Sterne-Häuser, schlendert, vernimmt mit Verwunderung die Geschichte, dass die ersten Wintergäste fast bestochen werden mussten, um hier Urlaub zu machen.

Der Hotelier Johannes Badrutt schloss im Herbst 1864 mit vier britischen Sommergästen eine Wette ab. Sie sollten doch einmal im Winter kommen, bat er sie. Falls es ihnen nicht gefalle, zahle er ihre Reisekosten ab London, wenn es ihnen gefalle, könnten sie kostenlos seine Gäste sein. Die Briten nahmen die Wette an und den langen Weg per Pferdekutsche auf sich. "Denen hat es so gut gefallen, dass sie bis Ostern geblieben sind", sagt Susi Wiprächtiger. Das sei die Geburtsstunde des Wintersports in den Alpen gewesen. Heute zählt St. Moritz in der Hochsaison etwa 30 000 Menschen.

Viele Prominente besitzen Häuser in der einstmals bäuerlichen Region. "Zwei Bauern gibt es noch in St. Moritz", sagt Susi Wiprächtiger und zeigt auf den Suvretta-Hang, an den sich die Ferienhäuser schmiegen. Immerhin hätten deren Tiere die gleiche prächtige Aussicht ins Tal wie die prominenten Gäste.

Es ist schwer auszumachen, welches Hotel die größte Prominentendichte vorweisen kann, ob das Badrutt's Palace, das Kulm Hotel oder etwa das Carlton Hotel - aber alle kaufen bei Glattfelder ein. In dem alteingesessenen, recht unscheinbaren Geschäft werden Tee, Kaffee und Kaviar offeriert. "Etwa 500 Kilo Kaviar verkaufen wir im Winter", sagt Geschäftsführer Thomas Josi. Vom Beluga aus dem Iran werden für 500 Gramm 6300 Schweizer Franken (5200 Euro) fällig. Kaviar aus chinesischer Zucht sei inzwischen hervorragend und deutlich preiswerter, sagt Josi, der nach eigenen Angaben alle Top-Hotels beliefert. Aber auch dort wird gespart. "Die nehmen nur noch den chinesischen Kaviar für ihre Büffets." Die ehemalige Kolonialwarenhandlung, die auch in Hamburg eine Niederlassung hat und vom Norden aus Kaviar in den gesamten europäischen Raum verschickt, serviert die edlen Fischeier im Kaviarstübchen auch zum sofortigen Verzehr - klassischerweise mit Champagner oder Wodka.

Aber es muss nicht immer Kaviar sein. Es gibt viele andere nette Besonderheiten. "Beim Znüni beispielsweise, einer kleinen Pause zwischen 9 und 9.15 Uhr kann man eine Zwischenmahlzeit essen", sagt Susi Wiprächtiger, "und Zvieri ist der kleine Imbiss um 16 Uhr." Und ganz wichtig ist der Apéro, ein kleiner Umtrunk, meist ein Glas Weißwein mit ein paar Häppchen, dem nicht unbedingt ein gemeinsames Abendessen folgt. Der Apéro heißt im Engadin auch Apéröle, das Brötchen Weckli oder Brötli - wenn man aus Norddeutschland kommt, hat man seine wahre Freude an diesen Ausdrücken. Essen nimmt in den Bergen einen wichtigen Platz ein, die winterliche Bergluft macht hungrig.

Das neue Hotel Nira Alpina in Silvaplana, einem Nachbarort von St. Moritz, profitiert davon. Man kann von der Skipiste ohne Umwege einen Einkehrschwung in die gemütliche hoteleigene Bäckerei oder ins Bistro machen. Oder gleich bis ins Hotelzimmer. "Wenn man mit viel Schwung um die Ecke kommt, schafft man es mit den Skiern fast bis ins Zimmer", sagt Marketing-Chefin Stephanie Fischer. Das neue Vier-Sterne-Hotel, das Ende November eröffnet wurde, bezeichnet sich als "Ski-in - Ski-out"-Hotel, denn direkt gegenüber dem Hotel ist die Talstation der Bergbahn auf den Corvatsch im Ortsteil Surlej. Die Hotelgäste sind schneller und müheloser als alle anderen an der Gondel und brauchen den Skibus, der Silvaplana mit St. Moritz verbindet, nicht.

Das terrassenförmig angelegte Hotel und die Bergbahnstation sind die beiden letzten Gebäude am Berg, kein Durchgangsverkehr stört die Nachtruhe, und der Schnee dämpft auch noch das letzte Geräusch von der Straße. Alle 70 Zimmer des stylischen Hotels mit einer Fassade aus Lärchenholz und Naturstein haben eine Terrasse mit Blick ins Tal - auf den zugefrorenen Silvaplanasee, der im Winter als Langlaufloipe genutzt wird.

Wegen des späten Frühstücks fällt für uns das Znüni aus, stattdessen steigen wir auf die Skier und probieren am Hang neben dem Hotel die ersten Schwünge. Klappt noch hervorragend, also geht es mit der Seilbahn hinauf auf den 3303 Meter hohen Corvatsch. Susi Wiprächtiger macht mit ihrem roten Skilehreranorak eine hervorragende Figur auf den Brettern. Die 56-Jährige unterrichtet nur selten Gruppen, häufig hat sie Skischüler, die sie privat buchen. "Für viele gehört es zum guten Ton, dass man einen Privatskilehrer hat", sagt die Schweizerin, die auch im Gemeinderat von St. Moritz sitzt.

Manchen Familien bringt sie schon in der dritten Generation den weißen Sport bei. Zimperlich dürfen sie und ihre Kollegen nicht sein. Viele betuchte Gäste betrachten Skilehrer als Mädchen für alles. Wer sich einen Privatlehrer leistet, erwartet beispielsweise auch, dass der einen Platz in der Almhütte klarmacht, in der man einen Einkehrschwung plant. "Natürlich kriege ich das hin", sagt die blonde Susi und lächelt. Auch bei Spezialanliegen der Gäste ist hilfreich, dass sie schon lange im Geschäft ist. Die quirlige Skilehrerin erzählt von einem kleinen arabischen Prinzen, der darauf bestand, nach Betriebsschluss der Bergbahn noch auf den Gipfel transportiert zu werden. Susi orderte eine Helikopter. Den Wunsch des Kunden zu erfüllen, ist oberste Priorität. Sieben Tage die Woche.

Für uns muss es kein Hubschrauber sein. Wir sind mit der Gondel zufrieden, die langsam dem Berg entgegenschwebt. Sonne und Wolken wechseln sich ab, die Pisten sind bestens präpariert, bei der Abfahrt staubt der glitzernde Schnee nach allen Seiten. Die Höhenluft macht hungrig und durstig. An den Pisten laden glücklicherweise gleich mehrere Hütten zur Mittagsrast ein. Die deftige Engadiner Küche schmeckt nach der Anstrengung gleich noch viel besser. Wir starten mit einem Gletschlerplättli (Speck, Bündner Fleisch und Gebirgssalami). Darauf folgt die Graupensuppe, eine Spezialität der Region. Danach werden noch Capuns serviert - Spätzleteig und Bündnerfleisch, die in ein Mangoldblatt gewickelt sind und in Milchwasser (Milch mit Bouillon) auf den Teller kommen. Köstlich. Auf den Nachtisch verzichten wir, schnallen die Skier an und carven ins Tal. Denn jetzt wollen wir zur Corviglia, dem benachbarten Berg. 350 Pistenkilometer in dem großen Skigebiet wollen erobert werden.