Vor 200 Jahren wurde die verschollen geglaubte Königsstadt im heutigen Jordanien wiederentdeckt. Der Handel in Petra blüht noch immer.

Ein gähnender Kontrolleur verlangt am Eingang das Ticket; er sitzt schon seit sechs Uhr in dem Kabuff. Das Drehkreuz quietscht, und der Besucher steht im Archäologischen Park von Petra. Frühmorgens hat man die kleine kurze Chance, das Schatzhaus der nabatäischen Königsstadt in der Morgensonne zu sehen. Nur für wenige atemberaubende Momente zielt der Lichtstrahl auf die Fassade des Schönsten, was die antike Kultur im Süden des heutigen Jordaniens hervorgebracht hat. Zartrosa schimmert der 40 Meter hohe und 25 Meter breite Tempel des Pharaos, Khazneh al-Firaun, wie die Beduinen ihn nennen. Minuten später hat sich die Sonne wieder hinter die hohen Sandsteinwände verzogen.

Vorbei ist die biblische Ruhe, das Drehkreuz quietscht und quietscht. Pferdevermieter stürzen sich auf die Ankömmlinge, um ihnen den einen Kilometer langen Weg durch den Siq zu erleichtern, jene enge Felsenschlucht, die man von Osten her betritt, um zur Ruinenstadt zu gelangen. "20 Dinar!", ruft einer, ein anderer "18 Dinar", gut 19 Euro. Wenige wissen, dass Ritt oder Kutschfahrt im Eintrittspreis inbegriffen ist. Man gönnt sich den Komfort am besten auf dem Rückweg, wenn die Füße nach der Eroberung des 20 Quadratkilometer großen Ausgrabungsgeländes wirklich Großes geleistet haben.

Zumal die Pferde im Bab al Siq, dem Tor zum Siq, an den ersten Überresten der Nabatäerkultur gleich vorbeitraben würden. Schon das mächtige Obeliskengrab bereitet auf Umwerfendes vor. Omar, der in 31 Jahren schon 1000-mal in Petra war, erklärt zum tausendsten Mal, dass sich der Name Triklinium von den hohen Obelisken im oberen Stockwerk des Gebäudes ableitet. Während der Reiseleiter über den Totenkult spricht, hastet ein Beduinenjunge von einem Hügel herunter. "Buy Petra Postcards", ruft er noch im Lauf, hält ein Päckchen hoch und lässt ein Leporello aus Postkarten aufklappen.

Früher handelte man in Petra mit Weihrauch, Myrrhe und Gewürzen, heute mit Postkarten und Dienstleistungen. Schon um 300 v. Chr. waren die Nabatäer clevere Händler und mächtige Wüstenfürsten, die die Karawanenwege wie die Weihrauchstraße kontrollierten. Und auch ihre Nachfahren sind geschäftstüchtig. "Buy something", bittet der Junge und lächelt. Er heißt Muhammad, trägt einen Wollturban, Handschuhe, feste Stiefel und ist Postkartenverkäufer. "Acht Brüder und Schwestern", sagt er in gebrochenem Englisch, "kaufe 14 Postkarten, nur ein Dinar."

Dann wechselt der Achtjährige die Taktik: "Du bist spät dran!" Zu spät, um das Schatzhaus im Morgenlicht zu fotografieren. Schwungvoll lässt er das Leporello aufspringen und tippt mit dem Finger auf das faszinierendste Bauwerk Petras. Wenn schon kein strahlendes Foto, dann wenigstens eine Postkarte von Muhammad! Seine Sammlung enthält Ansichten vieler bedeutender Bauwerke, das Palastgrab, das Urnengrab in der Königwand, das Seidengrab mit der farbig marmorierten Gesteinsmaserung und das Klostergrab Ad Deir, das größte aller Monumente, die in Petras Sandsteinfelsen gehämmert wurden. Muhammad hat noch jeden überzeugt.

Im Siq ragen 70 Meter hohe Steilwände auf, in einer engen Schlucht, die an manchen Stellen nur zwei Meter breit ist. Inzwischen drängen sich auf dem Pflaster aus Steinquadern zweirädrige Pferdekutschen in beiden Richtungen. "Petra muss man sich erlaufen", muntert Reiseleiter Omar auf, auch wenn in der Ruinenstätte die riesige Zahl von 800 historischen Baudenkmälern aus nabatäischen, römischen und byzantinischen Zeiten wartet.

Die liegen gut 2000 Jahre zurück. Irgendwann begann der Stern von Petra zu sinken. Ein Erdbeben im Jahr 363 n. Chr. zerstörte weite Teile der Stadt, die Handelsrouten verlagerten sich. Die Einwohner verschwanden, Petra wurde vergessen, galt gar als verschollen. Erst 1812, vor 200 Jahren, entdeckte der schweizerische Orientreisende Jean-Louis Burckhardt die Felsenstadt wieder, die seit den Kreuzzügen wohl kein Europäer mehr betreten hatte.

Heute haben gewiefte Geschäftsleute am Weg zu den Felsengräbern und dem Klostergrab strategische Plätze besetzt. Sie verkaufen Töpferarbeiten, Perlen, Petroleumlampen, Wasserpfeifen, Tücher und Silberschmuck. Vor dem Zelt, das Omar wegen seiner Auswahl lobt, steht selbstbewusst der rundliche Hasan. Er habe den besten Silberschmuck im Tal, sagt er und lädt in das komfortable Zelt mit Sitzgruppe ein. In den Regalen liegt kunstvoll gearbeiteter Silberschmuck, Stücke, die Frauenherzen höher schlagen lassen. Die Kundin schlendert an den Auslagen vorbei, legt einige Ketten an und wieder zurück. Europäer sind das Feilschen nicht gewohnt, und Hasan weiß das. "220 Dinar", eröffnet er. Ein Fantasiepreis für das Collier. Die Kundin legt das Stück beiseite und will gehen. "Ein kostbarer Halsschmuck, wie für dich geschaffen, Habibati", schmeichelt der Händler. Die Frau halbiert den Preis, Hasans Schnurrbart wird grau. Das Spiel beginnt. Der Beduine jammert und klagt, gibt aber nach: 200 Dinar. Die Frau winkt ab: "Much like, but sorry, no need." Hasan säuselt und holt süßen Minztee und Datteln. Schließlich willigt die Frau bei 150 Dinar ein. Und plötzlich geht alles ganz schnell. Bargeld oder Kreditkarte, beides ist möglich. Sie ahnt, dass Hasan gut verdient hat.

In Petra wird noch immer im Sand gegraben und erschlossen. Erst im Mai 2011 fanden Archäologen der Berliner Humboldt-Universität Überreste eines Badehauses in einem nabatäischen Palast. Die Wissenschaftler werten die beheizbaren Marmorbäder auf dem Berg, das eine enorme technische Beherrschung des Wasserlaufs voraussetzte, als Luxus- und Machtdemonstration.

Womöglich kommen nun noch mehr Besucher, was der Unesco ein Dorn im Auge wäre. Zur 200-Jahr-Feier plant die Entwicklungsbehörde von Petra (PDTRA) sogar den Bau eines zweiten Ausgangs, um die Besucherströme besser lenken zu können - jedes Jahr kommen Hunderttausende. Doch die Unesco hat noch nicht entschieden, wohl weil ihr der Eingriff in das schützenswerte Welterbe zu groß erscheint. So gibt es bislang nur den einen Eingang, der zugleich Ausgang ist, weshalb die Besucher die Sehenswürdigkeiten weiter im Kreis ablaufen.