Straßburg ist eine Stadt mit Käsemeistern, Sauerkrautkennern und Spätzlespezialisten. Als Europapolitiker lässt es sich hier gut aushalten

Man muss ihm nur zwei, drei Minuten zuhören, diesem charmanten Lebenskünstler mit der gepflegten Barttracht, und schon läuft einem das Wasser im Munde zusammen - vorausgesetzt, man hat etwas übrig für Käse, Wein, Baguette, für einen Teil dessen, was die Franzosen "savoir vivre" nennen. Denn Yves Jourquin ist Maître fromager, Käsemeister, Mitglied einer Gilde von Spezialisten, die ihre Partner auf dem Lande besuchen, um zu schauen, was Schafe, Ziegen und Kühe, die Rohstofflieferanten also, den Tag über so fressen, wie sie untergebracht sind und ob die Bauern, kleine Landwirte mit Hang zur Perfektion, ab und zu mit den Tieren sprechen.

Klingt übertrieben? Ist aber so. Machen Sie es wie Birgit Schnieber-Jastram, Europa-Abgeordnete der Hamburger CDU, und besuchen Sie Monsieur Yves an der kleinen Rue des Tonneliers, fast direkt neben der Kathedrale, dem Straßburger Weltwunder. Dort nämlich, in der unscheinbaren Gasse, plaudert er in der Boutique "La Cloche à Fromage" nur zu gern über Käse und französische Lebensart. Der Name des Geschäfts deutet übrigens auf die Käseglocke hin, die nebenan im Restaurant steht und, laut Guiness-Buch der Rekorde, die größte der Welt sein soll.

Yves Jourquin ist ein herrlicher Klischee-Franzose, also nicht ganz frei von Arroganz. Vom "Münster" auch Munster geschrieben, dem Lieblingsstinker der Touristen, hält er nicht allzu viel. Wenn sich seine Gilde zum Erfahrungsaustausch trifft, meistens in Paris, spielt diese Sorte jedenfalls keine Rolle. Der 50-Jährige begründet, warum zum Beispiel ein echter Langres ihm weitaus wichtiger ist: "Er ist für mich der kräftigste, der feinste Weichkäse überhaupt ... mit Champagner-Trester gewaschen, manchmal auch mit Calvados, dazu einen Weißwein, am besten einen Klevner, einen Weißburgunder aus dem Unterelsass, oh là là, Monsieur ..."

Viel Zeit zwischen ihren Sitzungen haben die Abgeordneten des Europa-Parlaments nicht. Für Straßburg-Besucher zählt der spektakuläre Glaspalast am Illufer übrigens zu den absoluten Muss-Sehenswürdigkeiten, nicht zuletzt als Kontrast zu den Pfefferkuchenhäusern des Altstadtviertels Petit France oder dem Deutschen Viertel mit seinen Prachtbauten aus der Gründerzeit. Aber dann entdecken die Parlamentarier, wie Birgit Schnieber-Jastram, denn doch peu à peu die Besonderheiten und Geheimnisse der Plätze, Gassen, Innenhöfe und Märkte. Und natürlich die Kunstschätze, so bekannte wie die Astronomische Uhr in der Kathedrale, die meistens Münster genannt wird, so überraschende wie das Museum, das seit knapp drei Jahren dem Zeichner Tomi Ungerer gewidmet ist.

Seine Kinderbücher, seine bissigen und subversiven Zeichnungen, sein Weltschmerz, all das spiegelt sich in diesem neuen Museum an der Avenue de la Marseillaise. Ebenso seine nicht immer einfache Beziehung zur Heimatstadt Straßburg, in der einst sein Vater für die Pflege und den Lauf eben dieser weltberühmten Astronomischen Uhr verantwortlich war. Auch ein Museum für moderne und zeitgenössische Kunst steht ganz oben auf der Entdecker-Agenda 2010 der CDU-Politikerin, die allerdings, wie viele andere Europa-Abgeordnete, durchaus auch die Straßburger Gourmetszene zu den Kunstschätzen der Stadt zählt.

Für ihren Hamburger Kollegen, den SPD-Abgeordneten Knut Fleckenstein, ist zum Beispiel das Spätzlerestaurant "La corde à linge" - zu deutsch: Die Wäscheleine - ein solcher Kunstgenuss: "Klein, bescheiden, urkomisch und sehr gemütlich", findet Fleckenstein dieses Lokal in einem Fachwerkhaus aus dem 16. Jahrhundert, "im Sommer werden die Tische auf den kleinen Platz vor der Tür gestellt, und immer finden sich dann ein paar Musikanten ein, die den politischen Alltag für ein paar Stunden vergessen lassen." Serviert werden Spätzle in allen Variationen: mit Käse, Pilzen, Lachs, Tomaten und Kräutern. Unterm Gebälk hängen Hemden und Handtücher, und in den Regalen finden sich Waschutensilien aus Zeiten noch vor Klementine und Meister Proper. Auch ins "Strissel", eine urige Mischung aus Winstub und Brasserie, zieht es den Abgeordneten Fleckenstein nur zu gern. Er schätzt dort die authentische Elsass-Küche und Dessert-Spezialitäten wie das Mirabelleneis. Alles wird dort von Hand gemacht, die Gänsestopfleber, der Lachs selber geräuchert, der Flammkuchen frisch gebacken und nicht aus der Tiefkühltruhe geholt, wie Nathalie, die sympathische Tages-Chefin des Restaurants betont. Die Renner auf der Karte sind Geflügelfrikassee mit Champignon-Spätzle und natürlich die Sauerkrautplatte, die Mutter aller elsässisch-deftigen Traditionsgerichte.

Straßburg lässt sich, wie jede Großstadt von Bedeutung, so und so und noch ganz anders entdecken: im Schlepptau einer Stadtführerin, eventuell noch zusätzlich mit dem Baedeker gewappnet. Mit einer kleinen Straßenbahn, der Mini-Tram, wobei Gerüche und Geräusche eher ausgeklammert bleiben. Mit dem Fahrrad, wie es zum Beispiel Helga Trüpel, die Bremer Abgeordnete der Grünen-Fraktion, gern macht. Oder zu Fuß, sich ganz bewusst in den Gassen hinterm Münster verlierend. Dabei hat die Bremerin das Viertel um den Marché Gayot entdeckt: "Ein lauschiger Innenhof mit kleinen Restaurants, wo es sich besonders entspannt draußen sitzen lässt, Salat mit Ziegenkäse und dazu einen trockenen Rotwein genießen."

Wir hingegen, die wir das Wasser lieben, haben diese Varianten auch ausprobiert, fahren zur Einstimmung aber immer wieder gern mit den gläsernen Booten der "Batorama"-Flotte auf der Ill rund um die Altstadt, vorbei am alten Gerberviertel, das einmal so anrüchig war wie St. Pauli in seinen besten Zeiten und heute, als "La Petit France", ein Lieblingsquartier der Touristen, Abgeordneten und wohl auch Straßburger ist. Nach mehr als zwanzig Brücken, vorbei auch an der Nationalen Verwaltungsschule ENA, dem früheren Stadtgefängnis, nimmt das Schiffchen Kurs aufs Europa-Viertel, mit seinem imposanten Parlament und dem Europäischen Gerichtshof. Nach anderthalb Stunden Straßburg aus dieser besonderen Perspektive endet die Tour am Palais Rohan, der ehemaligen Residenz der Fürstbischöfe von Straßburg.

Und dann ? Setzen wir uns unter unsere Lieblingsplatane, schauen aufs Flüsschen, bestellen unseren Lieblingswein und vorweg unseren Lieblingskäse, danach unsere ganz spezielle Sauerkrautplatte, und leben halt ... genau: wie Gott in Straßburg.

Wo dieses Plätzchen ist, wollen Sie wissen? Ja, ein bisschen Spielraum fürs Selber-Entdecken wollen wir Ihnen doch gönnen, oder?