Ein 62-jähriges Leben mit bis jetzt drei Identitäten - die heutige “Athena“ fuhr auf den bewegten Wassern der Geschichte.

Sie zaubern ein Wellenspiel von nostalgischem Flair auf den Teppichboden im Hauptrestaurant, die doppelreihigen Bullaugen, durch deren Rund mattes Meeresglitzern hereinschimmert. Der weiße Oldie mit der weit hochgezogenen Bordwand und den elegant geschwungenen Linien eines kleinen Transatlantik-Liners trägt eine blaue Bauchbinde; darunter steht in Schreibschrift sein heutiger Name: "Athena". Nach den Maßstäben des 21. Jahrhunderts gehört sie zu den kleinsten unter den Kreuzfahrtschiffen. Doch eine Totalrenovierung in den 90er-Jahren machte sie zum Schmuckstück: modernes Schiff mit Patina. Blumen, freundliche Farben, moderne Kunstwerke dominieren an Bord, angestrahlt von Halogen-Spots, dazu raumvergrößernde Spiegel, Handläufe aus Messing über blitzblanken Marmorböden im Foyer.

Drei Identitäten hatte die "Athena" bisher. Als sie drei Jahre nach Kriegsende unter dem Namen "Stockholm" in Dienst gestellt wurde, war sie die schwedische Hoffnung auf eine Nachkriegsverbindung in die Neue Welt. Fast ein Vierteljahrhundert diente sie ab 1960 unter dem Namen "Völkerfreundschaft" der damaligen DDR als Ferienschiff des FDGB. Ihre Bullaugen haben in einem 62-jährigen Schiffsleben fast alles gesehen: Schreckverzerrte Gesichter 1956, als der Schwedenstahl der "Stockholm" sich in die Flanke der legendären "Andrea Doria" bohrte und sie zum Sinken brachte, während die "Stockholm" selbst mit eingedrückter Nase den Zielhafen New York sicher erreichte. Hoffnungsvolle Gesichter in den 60er- und 70er-Jahren, wenn die Pier in Rostock hinterm Flaggenmast zurückblieb und sich vor dem Bug ein Stück der weiten West-Welt öffnete.



Wer heute außer den klassischen Formen noch Spuren aus dieser Zeit sucht, findet sie nur im Gespräch mit den Passagieren. Mancher Nostalgiker fährt mit der "Athena" in Urlaub. An der Reling hängt Herbert Fricke seinen Erinnerungen nach. Radiohörern ist er als NDR-Moderator für Salzwasserthemen bekannt; in seinem Buch "Geständnisse an der Reling" plaudert er über interessante Reisebegegnungen. Seine großen, kräftigen Hände verraten noch den Seemann, der er in jungen Jahren war. Als er sein persönliches Relinggeständnis beginnt, ruhen sie auf dem blanken Mahagoniholz. "1971 habe ich mich als Schwede an Bord geschmuggelt, um eine Rundfunkreportage über die 'Völkerfreundschaft' zu machen", erinnert er sich. Das ging aber nur ein paar Tage gut, "dann hatten die raus, dass ich nicht so schwedisch war, wie sie dachten". Seine Befürchtung, der nächste Hafen werde sein letzter sein, verkehrte sich ins Gegenteil. "Die haben mich königlich hofiert, denn sie wollten mich für die Stasi anwerben! So ein kleiner Politoffizier, der aussah wie Goebbels, schlich selbst beim Landgang immer 20 Meter hinter mir her!" Fricke gelang es, seinen Schatten hinzuhalten, selbst noch bei einem späteren Treffen in Rostock. "Jeder gegen jeden", resümiert Herbert Fricke, "so war dieser Staat, denn als der Stasi-Mann merkte, dass er mich nicht umdrehen konnte, bat er mich unter vier Augen, einen Brief für seinen Bruder in Hamburg mitzunehmen." Fricke begegnete seiner Story später noch einmal - bei der Gauck-Behörde. "Die hatten ihre eigene Version davon."

Nicht nur hinter den Kulissen passierten damals skurrile Dinge. Nach Berufsständen "sortiert", fuhr einst ein ganzes Schiff verdienter Mähdrescherfahrer mit, im DDR-Deutsch "Erntekapitäne" genannt. Sie zehrten in wenigen Tagen sämtliche Biervorräte auf, sodass man kurzfristig nachbunkern musste. Alte Fahrensleute von der Deutschen Seereederei erinnern sich, dass bei Passagen durch den Nordostsee-Kanal oder den Bosporus nicht alle Reisenden interessiert in Landrichtung schauten. "Da sah man sofort, wer Stasi-Aufpasser war", berichtet ein Künstler, der an Bord die Passagiere unterhielt, "denn die standen mit dem Rücken zur Reling!"

Von dieser Vergangenheit ist auf der "Athena" nach der Renovierung in den 90ern nur eins geblieben: die Geschichten. Daneben der stabile Rumpf und das Gefühl, auf einem historischen Schiff zu reisen. Beim Totalumbau wurde sie zum modernsten Schiff unter den wenigen Oldies im Kreuzfahrtgeschäft. Geräumige Kabinen mit Badewanne, ein Swimmingpool auf dem Achterdeck, ein Bordkino, der Nachtklub, Beauty- und Wellness-Center, ein zusätzliches Büfett-Restaurant und das zwei Decks hohe Foyer machen sie zu einer Miniatur-Ausgabe der großen Spaßdampfer. Die Nautik liegt in der Hand seeerfahrener Portugiesen, im Service dominieren freundliche Indonesier. Auf die Teller mit dem "Athena"-Label zaubert die Küche zweimal täglich ein Fünf-Gänge-Menü, und in die Weinkelche fließen gute Tropfen zu erschwinglichen Preisen. Die Reederei Classic International Cruises aus Lissabon findet ihr Publikum in ganz Europa. Mit Horst Kilian von Hansa Touristik (Sitz in Bremen und Stuttgart) hat sie einen starken deutschen Partner, der auf ausgewählten Kreuzfahrten eine deutsche Reiseleitung an Bord bringt.

Wenn abends die große Tanz-Show "Around the World" über die Bühne in der Calypso Show Lounge wirbelt, dann zeichnet sie die Weltreisen der "Athena" nach. Die geht im Herbst wieder auf Routen mit ausschließlich deutschsprachigen Passagieren. Dann bummelt sie gemütlich die ex-jugoslawische Küste hinunter und steckt ihre Nase ins Schwarze Meer. Spurensuche nach der Weltgeschichte - oder nach der eigenen? Vielleicht ist Letzteres der Grund, dass sie die Schwarzmeerküste intensiver bereist als andere Kreuzfahrer. Neben dem touristischen Pflichtprogramm in Jalta und Odessa läuft sie noch das russische Sotschi und das georgische Batumi an, ehe sie im Winter Kurs auf Australien nimmt.

MS "Athena" : Größe: 16 144 BRZ, Länge: 160 m, Breite: 21 m, Geschwindigkeit: 17 Knoten. Platz für 550 Passagiere. Zwei Restaurants, Casino, Satelliten-TV, Bücherei, Kontakt: Tel. 0711/22 93 16 90, www.hansatouristik.de

Literatur zur "Athena": "Vom Urlauberschiff zum Luxusliner - Die Seetouristik des VEB Deutsche Seereederei Rostock" von Gerd Peters, erschienen in Koehler's Verlagsgesellschaft, ISBN-Nr. 978-3-7822-0920-5; "Geständnisse an der Reling" von Herbert Fricke, erschienen im Verlag Delius Klasing, ISBN-Nr. 978-3-7688-2632-7