Der Naturpark Altmühltal ist eine wahre Fundgrube für Fossiliensammler. In manchen Steinbrüchen gibt es sogar eine Erfolgsgarantie

Vorsichtig stellt Michael die Steinplatte zwischen seine Beine, setzt den Meißel an der schmalen Oberseite an und treibt ihn mit sanften Schlägen hinein. Eine dünne Scheibe spaltet sich ab. Er mustert sie aufmerksam: Keine Unebenheit, keine Erhebung, die darauf hindeuten würde, dass sich darunter eine versteinerte Garnele verbergen könnte, das Häutchen einer Libelle oder auch nur die Ausscheidungen eines Tintenfisches? Nichts, wieder nichts.

Es ist die dritte Urlaubswoche des Rettungssanitäters aus Westfalen. Jeden Tag verbrachte er hier draußen im Besuchersteinbruch Blumenberg bei Eichstätt: Schutt wegschaufeln, Steinlagen herauslösen, Platten spalten. Eine schöne Holzwespe hat er gefunden, die Kriechspur eines Pfeilschwanzkrebses sowie einen 55 Zentimeter langen Fisch, einen Knochenschmelzschupper.

Fossilien und Solnhofen, Versteinerungen aus der Urzeit und das Altmühltal, das sind Begriffe, die untrennbar zusammengehören. Rund 150 Millionen Jahre ist es her, da schien die Sonne ohne Unterlass auf die heutige Jura-Hochebene südlich von Nürnberg. Die warmen Wellen des Urzeitmittelmeers schwappten hier an die Küste, im Uferbereich wechselten seichte Lagunen mit Inseln und Riffen. Das Wasser war enorm salzig - enthielt aber wenig Sauerstoff: Fische, die sich aus dem offenen Meer hierher verirrten oder Saurier, die auf der Jagd abstürzten, überlebten nicht lange. Sie sanken zu Boden in den Kalkschlamm, Sediment deckte sie Schicht um Schicht zu und ließ ihre Körper zu Stein erstarren.

Hervorragendes Baumaterial, dieser Kalk, fand der Evolutionssieger namens Mensch später. Schon die Römer holten den Stein platten- und blockweise aus der Erde, für Fensterbänke, Treppenstufen und Bodenbeläge. Dabei stießen sie immer wieder auf die Spuren ihrer plumpen Vorfahren - Funde, die den Ort auch heute für Besucher interessant machen: Der Fossilientourismus blüht.

Da sind drei wunderbare Museen, jedes mit seinem ganz eigenen Schwerpunkt. Das Michael-Müller-Museum in Solnhofen dokumentiert die Vielfalt der Funde im Solnhofener Archipel zwischen Langenaltheim und Regensburg, Beilngries und Ingolstadt. Ein 1,65 Meter langer Rochen hängt neben der Schildkröte mit Seeigelresten im Magen und dem 25 Zentimeter langen Landkrokodil, das auf zwei Beinen lief.

Der perfekte Mondfisch dagegen ist ein "Fossilien-Wolpertinger": Sein Schwanz wurde ihm von einem anderen Fund anpräpariert - eine Art "Schönheitsoperation", die früher gang und gäbe war. Nicht die wissenschaftliche Ausführlichkeit zählt in Solnhofen, sondern die "Nachrichten aus der Urzeit": "Zerbissen - Ausgespuckt - Verschlungen - Steckengeblieben" etwa zeigt Fische, die beim Fressen zusammen mit ihrer Beute den Tod fanden.

Im Jura-Museum in Eichstätt widmet sich ein ganzer Saal der Evolution des Fliegens rund um den berühmten "Urvogel" Archaeopteryx. Der neue Star unter den Objekten aber ist der Juravenator, Europas besterhaltener Raubsaurier, erst seit 2006 ausgestellt. Und in den Aquarien tummeln sich lebende Fossilien wie Pfeilschwanz, Nautilus und Knochenhecht neben ihren erstarrten Ahnen.

Georg Bergér wiederum sammelt in seiner Ausstellung, die sein Vater vor 40 Jahren begann, nur Fossilien aus den eigenen Brüchen. Fantastisch ist die Parade der Insekten: Riesenzikaden, Wasserwanzen, Schaben, Eintagsfliegen. Gern zeigt der gelernte Goldschmied in der Werkstatt auch die Kunst des Präparierens. Kein Panzerkrebs, kein Seestern bricht so plastisch vorzeigbar aus dem Kalk, wie sie später in der Ausstellung hängen. Immer kommen da erst Bürstchen, Skalpelle und Pressluft zum Einsatz, endlos wird unterm Stereomikroskop gefräst und gekratzt. Pino Völkl etwa, der Präparator des Jura-Museums, saß rund 700 Stunden an den Kalkbruchstücken, um den Juravenator mit all seinen Krallen und Zähnen in die heutige Form zu bringen.

Der Stein bestimmte auf der Jura-Hochebene immer das Leben - das zeigt ein Rundgang durch Eichstätt: der berühmte Pappenheimer Altar im Dom, die Barockfassaden des dreieckigen Residenzplatzes, die Dächer der Jura-Häuser. Rund ein Dutzend Firmen bauen heute noch Kalkstein ab. Bei einer Betriebsbesichtigung in der "Solenhofener Aktiengesellschaft" kann man zusehen, wie die Blöcke zugeschnitten und auf einer wasserdampfumsprühten Maschinenstraße auf gleiche Dicke geschliffen werden. Markus Vogg, gelernter Naturwerksteinmechaniker, zeigt, wie er zwei Lithographiesteine zusammenklebt oder die Ränder einer großen Platte mit dem Hackhämmerchen präzise zurechtschlägt. Doch die Geschäfte gehen nicht gut. In der Grube der Langenaltheimer Haardt ruht die Arbeit größtenteils. Die Läger sind voll, billiger Stein aus China ruiniert die Preise.

Der Tourismus aber läuft. Der neun Kilometer lange Fossilienpfad rund um Eichstätt führt nicht nur an Museen und dem noch genutzten Steinbruch Schöpfel vorbei, sondern auch an einer alten Abraumhalde. Ausgebeutete Brüche werden heute nicht mehr zugeschoben, sondern offen der Natur überlassen: Hier siedelt sich Weißer Mauerpfeffer an, und in der Folge der seltene Apollo-Falter, dessen Raupen auf genau diese Pflanze angewiesen sind.

In den Hobby-Steinbrüchen herrscht vor allem an Wochenenden reges Treiben. In Mörsheim gibt es sogar eine Fundgarantie: In den Kieselplattenkalken sind so viele Tintenfische, Ammoniten und Krebse eingeschlossen, dass kein Besucher glücklos nach Hause geht. Und stets ist ein wissenschaftlicher Betreuer vor Ort, der die Funde erklärt. Am Blumenberg schwingt heute nur Michael die Schaufel. Vor ein paar Wochen, tuscheln Experten, habe hier ein arbeitsloser Steinbrecher Überreste eines Geosaurus entdeckt. Selten, ganz selten, so ein Meereskrokodil, möglicherweise eine Sensation, wenn erst mal die Kalkdecke entfernt ist. Natürlich ist da immer die Hoffnung, auf ein solches Prachtstück zu stoßen, gibt Michael zu. Aber was ihn Tag für Tag hier heraustreibt, ist etwas anderes: "Wenn ich eine Platte aufbreche, und da taucht ein Ammonit auf, den ich nach 150 Millionen Jahren als erster Mensch zu Gesicht bekomme - das ist den Dreck und die zerschlagenen Finger doch allemal wert."