Auf den Lakkadiven im Indischen Ozean sind alle irgendwie gleich. Nach Autogrammen wird selbst ein Star wie Richard Gere nicht gefragt

Plötzlich ist sie da. Lautlos kam sie angesegelt, hat in ungeahnter Geschwindigkeit elegante Schleifen gedreht, das alte Holzboot in einem Meter Tiefe immer wieder umzirkelt und ihre Flossen wie Flügel geschwungen. "Sie fliegt durch den glasklaren Ozean. Sie tut es, als wäre sie leicht wie ein Vogel. Unser Wasser ist ihr Himmel", sagt Faruk.

Langsam gibt er Gas, und das Boot nimmt wieder Fahrt auf. "Sie macht es seit Jahrmillionen. Und sie kann beruhigt sein. Denn hier hat sich seit Ewigkeiten nichts verändert. Unsere Inseln wurden schon immer übersehen. Das ist bis heute so." Er freut sich, scheint in sich hineinzulächeln - und schweigt nach diesem Gefühlsausbruch für den Rest der Fahrt. Denn normalerweise ist Faruk ein wortkarger Mann. Ein Kopfnicken, ein Fingerzeig - das ist viel bei ihm, und Reden nicht seine Sache. Aber für die Riesenschildkröten kann er sich begeistern, ihnen fühlt er sich verbunden. Und diese hat er als erster gesehen. Er hat einen Blick dafür. Seine Augen tasten den schillernden Ozean ab, und so wie Spaziergänger bei uns schon früh Raben am Rand eines Feldes bemerken, nimmt er wahr, was immer unter Wasser los ist und für Ungeübte noch einen Moment länger unsichtbar bleibt.

Der Mann mit dem Strohhut hockt auf einem schorfigen Brett am äußersten Ende seines schmalen blauen Bootes mit der gelb getünchten Reling, steuert das Dhoni mit dem Außenborder durch den Indischen Ozean - diesen Vormittag von der Insel Bangaram über Parali hinüber nach Thinnakara.

Mit diesen Namen kann kaum ein Fremder etwas anfangen - außer vielleicht er heißt Richard Gere, denn der war schon ein paar Mal auf Urlaub hier. Oder Lara Dutta, die mal Miss Universe war, heute ein Bollywood-Superstar ist und immer gerne hierher zurückkommt. Oder Vijali Mallya, Milliardär und einer der reichsten Inder, der hier nur zu gerne investieren möchte und daran bis jetzt durch die zögerliche Haltung der Einheimischen in seinem Tatendrang gebremst wird. Sie alle haben die Lakkadiven für sich entdeckt - lange bevor andere es tun werden, eine Ewigkeit, bevor der große Tourismus im Paradies angekommen sein wird.

36 Palmen-Eilande im Nirgendwo des Indischen Ozeans umfasst diese Inselgruppe eineinhalb Flugstunden westlich der südindischen Küstenstadt Kochi, gut eine Flugstunde nördlich der Malediven.

Es sind grüne Stecknadelköpfe im endlosen Türkis des Meeres, und jede ist umgeben von einem schneeweißen Ring aus Sand. Nur neun der Eilande sind dauerhaft bewohnt, nur auf vieren davon gibt es Hotels, die für Ausländer zugänglich sind. Auf zwei weiteren stehen kleine Ferienanlagen, die ausschließlich Inder beherbergen.

Um den Archipel bereisen zu dürfen, der politisch als indisches Sonder-Territorium gilt und aus Neu-Delhi verwaltet wird, ist ein Zusatzvisum erforderlich. Wirklich schwer zu bekommen ist es nicht, denn das jeweilige Hotel übernimmt stets alle Formalitäten. Dieses so genannte Lakkadiven-"Permit" ist die persönliche Eintrittskarte zum Paradies.

Oft nur einmal am Tag schwebt eine Propellermaschine aus der Festland-Metropole Kochi auf dem Airport von Agatti Island ein, wo die Insel kaum wesentlich breiter ist als die Piste. Das Linien-Boot fährt sie meistens weiter nach Bangaram Island mit Quartieren für maximal 60 Gäste. Das dauert nochmal gut zwei Stunden, und vor der Reling zieht derweil auf den ersten zwei Kilometern der archaische Alltag der lang gestreckten Insel Agatti vorbei. Familien hocken dort am Strand unter gewaltigen Kokospalmen wie aus der Bacardi-Werbung und den kühnsten Urlaubsträumen. Sie flechten aus Palmwedelfasern sperrige Matten, die einmal die Wände neuer Hütten sein werden. Andere landen derweil mit ihren Dhonis an, laden den Fang ihres Fischzugs aus und verkaufen die Ausbeute noch am Strand: Marlin, Red Snapper und Grouper sind diesen Mittag dabei. Es sind Boote wie aus der Zeit, bevor Noah seine Arche gebaut hat. Es sind Hütten wie aus den Jahren, bevor Adam und Eva sich Gedanken um Äpfel, Schlangen oder gar Nachwuchs gemacht haben.

Am Alltag auf den Lakkadiven soll sich so schnell nichts Grundlegendes ändern - hat die Regierung beschlossen und deshalb schon vor Jahrzehnten das Sondervisum eingeführt, um das fragile Ökosystem ebenso wie die Sozialstrukturen der zu fast hundert Prozent moslemischen Bevölkerung der Inselgruppe zu schützen und den Tourismus im Rahmen zu halten. "Bei uns ist es wie auf den Malediven vor 30 Jahren", erklärt Radhakrishna Shenoi, der auf Bangaram lebt: "Und es wird wohl noch eine ganze Zeit lang so bleiben."

Die Abgeschiedenheit ist hier der Luxus, die Robinson-Atmosphäre der Genuss. Um Sterne-Klassifizierung hat sich sein Hotel auf dem anderthalb Kilometer langen und maximal 500 Meter breiten Eiland nie bemüht, und wahrscheinlich würde es auch keine bekommen: weil viele Wände nur aus geflochtenen Kokosmatten bestehen, die Fenster aus Mückengitter und weißen Vorhängen. Weil es keinen Room Service gibt und statt Klimaanlagen nur Deckenventilatoren. Nichts davon vermisst man wirklich. Dass die Tarife trotzdem einem Fünf-Sterne-Haus entsprechen, nehmen alle hin: weil die Location eben ihren Preis hat. Sie hat ihn zu Recht.

Abends wiegt sich der Kokospalmenwald auf Bangaram im sanften Wind, und Kellner haben Holztische im Sand eingedeckt, nachdem irgendwer den Mond gehisst und die Sterne angeknipst hat. Kitschig? Übertrieben? Nicht hier. Es duftet nach Red-Snapper-Curry mit Tamarindengewürz, nach gegrilltem Hummer mit Mango-Scheiben, nach Kokosraspel und ferner Welt. Kühler Chardonnay schwappt im Glas. Fünf Meter weiter rollen die Wellen des Indischen Ozeans auf dem Strandsand aus, und von weiter draußen klingen die Stimmen von zwei Fischern herüber, die mit ihrem Boot in der Lagune liegen und an Deck leise ihre Lieder singen.

Ähnlich ist es gewesen, als Richard Gere hier war: Am Ankunftsabend war er für ein paar Momente die Attraktion und zog Blicke selbst im Schein der Öllampen beim Abendessen auf sich. Am nächsten Morgen war er Alltag. Denn ob jemand prominent ist, interessiert die anderen Gäste seltsam wenig und die Einheimischen rein gar nicht. Niemand fragt nach Autogrammen, alle sind irgendwie gleich. Es gibt keine Berührungsängste, keinen Kult, aber auch keine Verbrüderung. Sie alle eint, entspannen und dabei möglichst viel Ruhe haben zu wollen. "Für Paparazzi", freut sich Hoteldirektor Shenoi, "ist der Weg zu weit. Es war noch keiner hier."