Vom “Cafe Wichtig“ bis zur Räucherei am Niendorfer Hafen: Alle sind auf den ersten Ansturm vorbereitet, und die Strandkörbe wurden bereits aufgestellt.

Es ist ein heller Sonnabendmorgen, und es riecht nach Frühling. Optiker Zapletal am Timmendorfer Platz schiebt seinen Sonnenbrillenständer vors Geschäft, nebenan werden die Postkarten und in der Niederegger-Filiale die Marzipaneier ins richtige Licht gerückt. Gegenüber, im "Engel's Eck" und bei "Fitz", den berühmtesten Cafés der Lübecker Bucht, legen die Kellner zwar noch Wolldecken auf die Stühle, aber in ein, zwei Stunden werden die Gäste sie nicht mehr brauchen. Sie werden ein bisschen blinzeln, als könnten sie noch nicht so recht glauben, dass der Winter wirklich vorbei ist. Und dann werden sie nur noch genießen wollen, den Latte macchiato, das erste Eis des Jahres und, in diesem Ort wichtiger als anderswo, den Blick auf alles, was da vor ihnen flaniert und nach einem Platz an der Sonne Ausschau hält.

So ist das in Timmendorf. Kaum hat die Saison richtig angefangen, macht sich Hamburg auf, um im nobelsten aller schleswig-holsteinischen Ostseebäder in der ersten Reihe zu sitzen: auf dem "Platz", wie das Zentrum allgemein abgekürzt wird, auf der Promenade, am blitzblank gefegten Strand, auf den Veranden, Balkonen und Terrassen der Hotels und Restaurants und nicht zuletzt am Hafen von Niendorf, der, optisch Welten entfernt vom feinen Seebad, nur drei Kilometer weiter weg den anderen, den bodenständigen Pol der Gemeinde Timmendorfer Strand markiert.

Ostern beginnt überall an den Küsten die Saison. Timmendorf treibt es besonders bunt und begrüßt seine Gäste mit dem wohl größten Frühlingsstrauß weit und breit, auf drei Meter Durchmesser in den Betonbrunnen zwischen den Nobelcafés und dem so genannten Weißen Haus gepflanzt. In diesem Prachtbau, früher einmal das Rathaus von Timmendorf, residiert die Informationsstelle des Kurbades. Aus seinem Büro im zweiten Stock hat dort Christian Jaletzke, Geschäftsführer der Tourismus-Gesellschaft, den Überblick: zum Beispiel auf die Blütenpracht im Zentrum und auf gut hundert neue Strandkörbe. Der kostenlose Spaß, Blumen und Körbe auf dem Platz und auf der Promenade, stimmen auf die neue Saison ein. Und die soll so anspruchsvoll wie gemütlich, so schrill wie spektakulär werden.

Jaletzke, eine Frohnatur aus der Pfalz, hat in jungen Jahren ein Dutzend Mal Urlaub an diesem Teil der Ostsee gemacht. Seit 2005 belebt er Timmendorfs Ruf als einerseits schicken, andererseits familiären Ferienort mit immer neuen Ideen. So wird Ende April wieder die Elite der Beach-Polo-Reiter den Sand vor der großen Seebrücke aufwirbeln. Bis vor vier Jahren war dieses Event auf Orte wie Dubai, Miami und Monte Carlo beschränkt. Inzwischen hat sich, deutlich nach Timmendorf, auch Sylt eingereiht. Festivals für die Liebhaber feiner Küche und teurer Sportwagen sind weitere Highlights für Gäste, die nicht zuletzt zum Sehen und Gesehenwerden nach Timmendorf kommen.

Sie sitzen bei "Fitz" und erst recht nebenan im "Café Wichtig", wie das "Engel's Eck" genannt wird, das einem Amerikaner namens Casagrande gehört. Wichtig, wichtig sind oder waren sie alle, die da demnächst wieder aufschlagen - und sich im Lichte ihrer (zum Teil verblassten) Popularität bewundern lassen: Otto Waalkes und Dieter Wedel, Wladimir Klitschko und Karl-Heinz Rummenigge, Ingrid van Bergen und Dagmar Berghoff, Mike Krüger und Marcel Reich-Ranicki. Auch Dietrich Genscher und Frankfurts Bürgermeisterin Petra Roth sind Timmendorf-Fans, ebenso die alten Fußball-Haudegen Beckenbauer und "Uns Uwe" Seeler, die sich hier gern zum Golfen treffen, nur drei Kilometer vom Strand entfernt.

Timmendorf ist einerseits, wie es ein italienisches Restaurant in seiner Werbung formuliert, ein "mondäner Weltstrand", mit exklusiven Sportangeboten, vielfach besternten Hotels und Köchen und einer Shopping Mall, die hochkarätige Ansprüche befriedigt. Aber es ist auch ein Urlaubsziel, wo sich Familien auf vielfältige Weise amüsieren können, im Vogelpark Niendorf, bei Radtouren rund um den Hemmelsdorfer See, bei Bonny und Clyde, den Zwergottern im "Sea Life"-Aquarium, das allein jedes Jahr 300 000 Besucher anzieht.

Timmendorf spiegelt die Geschichte der feinen Ostseebäder wider, vor allem im Ortskern und am fast acht Kilometer langen Strand. Dort stehen bis heute die Villen und Gästehäuser aus der Gründerzeit, liebevoll renoviert und mit dem Komfort unserer Tage ausgestattet. Aber zur Gemeinde Timmendorfer Strand gehört seit 1945 auch der alte Fischerort Niendorf. In diesem Jahr feiert das Dorf seinen 625. Geburtstag, am heutigen Ostersonnabend schon mal mit heißer Luft, die sechs Ballons in den Ostseehimmel heben soll, und heißen Rhythmen von den "Rattles", die so legendär sind wie Timmendorf und Niendorf zusammen. Zwar machen im Hafen schon lange mehr Sportboote als Kutter fest. Aber trotz zahlreicher Umbauten hat sich das Dorf ein authentisches Flair bewahren können, willkommener Kontrast zum Ambiente im Hauptort.

In Niendorf hocken sie irgendwann alle, die A- und B-Promis, die Urlauberfamilien und die Tagesausflügler, auf Holzbänken vor der Räucherei, lassen sich Fischbrötchen und gebratene Rotbarschfilets schmecken und schauen den Möwen zu, die sich um die Reste streiten. Morgens wird mit Alfred Hauswald, einem von noch zehn Haupterwerbsfischern, vor seiner "Robbe 1" geklönt, dann macht er zu gern seinem Herzen Luft - über die Brüsseler und Berliner Bürokraten. Oder man trifft Stephan Muuss, Hotelier in der vierten Generation, Feuerwehrmann und Niendorfer mit Leib und Seele. Was er nicht weiß, wen er nicht kennt, ist nicht passiert oder nicht wirklich wichtig. Und abends in der "Fischkiste" von Jonny und Tommy Röger, ein Muss wie die Cafés auf dem Platz vor dem Weißen Haus, wird zum Beispiel Dorsch bestellt, in der Küche von Claudia Röger, geborene Hering, lecker zubereitet und am Tisch von dem stets fröhlichen Kellner namens Hecht serviert.