Hier kann man sehen - und gesehen oder übersehen werden. Ein Ortstermin am Yachthafen mit den begehrtesten Liegeplätzen des Mittelmeers.

Der Schönste ist er wirklich nicht. Aber das scheint ihn nicht zu scheren. Hauptsache, er wird gesehen, fotografiert, bewundert, wenn seine 40 Meter lange Yacht im alten Hafen von St. Tropez direkt vor den Restaurants festmacht. Mit nacktem Oberkörper, kurzer Schlabberhose und ein paar Kilo zu viel auf den Hüften lehnt Ex-Formel-1-Magnat Flavio Briatore diesen Nachmittag auf dem Achterdeck über der Reling und sieht seinen Matrosinnen beim Festmachen zu.

Von den Schaulustigen am Kai aber wird nur er fotografiert: Ihn haben sie erkannt, über ihn tuscheln sie. Und sie werden immer mehr. Das bestätigt seinen Promi-Status. Er scheint genau das zu brauchen - und zu genießen, fährt sich mit der Hand über den nackten Bauch, kratzt sich am Kinn und wirft sich nach eingeholter Bestätigung wieder aufs Sofa an Deck, wo ein paar attraktive Frauen ihn schon vermissen. Irgendwie ein ganz normaler Nachmittag am Vieux Port.

Wer nach St. Tropez kommt, will sehen - oder gesehen werden. Sonst wäre er nicht hier. Spätestens seit Brigitte Bardot und Curd Jürgens hier 1956 "Und immer lockt das Weib" gedreht haben, seit Louis de Funès als hyperaktiver Gendarm gleich mehrfach abendfüllend Nudisten über die Kinoleinwände jagte, ist das so. Seit halb Hollywood hierher in Urlaub fährt. Und viele, viele mehr.

Sie kommen, weil St. Tropez diesen ganz besonderen Klang hat: nach Sonne und Meer, nach leben und leben lassen, nach gewissem Stil und in dessen völliger Ermangelung. Sie kommen, weil es in dem nur 5200 Einwohner starken Städtchen alles gibt, vom Edel-Juwelier bis zum Fischverkäufer, vom Fachgeschäft für handgemachte Leder-Sandalen bis zu den Pracht-Boutiquen internationaler Nobelmarken in der Rue Sibili. Und vor allem, weil St. Tropez wirklich schön ist, frei von den anderswo an der Cote d'Azur so weit verbreiteten Hochhaus-Bausünden. Weil die Altstadt mit ihren engen Gassen erhalten ist. Und weil es ein Stück abseits sogar Beach-Clubs gibt, wo Champagner aus Sechs-Liter-Flaschen ausgeschenkt wird.

Wer es sich leisten kann, kommt mit dem Schiff - wie Flavio Briatore. Wer schnell seekrank wird oder gerade keine Zehn-Millionen-Euro-Yacht zur Hand hat, nimmt das Auto, geht Schiffe gucken - und wundert sich, wie diskret dann doch mancher Bootsbesitzer lebt. Nicht jeder trägt seine Haut zur Schau, im Gegenteil: Den Distinguierteren kommt es gelegen, wenn das Schiff lang und hoch genug ist, dass sie nicht gezwungen sind, auf Augenhöhe der Passanten an Deck auf ihren Sofas zu lümmeln. Sie wechseln aufs Vorschiff oder auf das von Land aus kaum einsehbare Freideck zwei Etagen höher. Dort haben sie ihre Millionärsruhe, selbst im größten Kai-Trubel. Oder sie bitten Hervé le Fauconnier im Voraus, ihnen einen Liegeplatz etwas abseits vom ganz großen Rummel zuzuweisen. Er schaut dann, was er tun kann - und meistens findet er einen Weg: "Manchmal", sagt der Adlige aus der Normandie, "ist der Mann, der den gefärbten Pudel ausführt, der Eigner. Aber manchmal ist es auch der, der den Müllsack an Land bringt. Diese Bandbreite ist das, was unseren Hafen ausmacht: Fischer neben Superreichem neben Supernormalem. Sie mögen das. Und die Flaneure an Land lieben es."

Le Fauconnier ist Hafenkapitän von St. Tropez, oberste Autorität, absoluter Herrscher über Poller, Stege und Kaimauern - über Liegeplätze, die mit Geld kaum zu bezahlen sind und von denen es zwischen Mai und Oktober immer zu wenige gibt. Meistens sind seine knapp 800 Plätze Monate im Voraus vergeben, und am liebsten gibt er sich erst ein wenig schroff, um möglichst nicht zu viel gebeten zu werden. "Bei 30-Meter-Schiffen können wir manchmal was machen, wenn die Warteliste nicht zu lang ist. Bei 75 Metern ist das schwieriger. Für solche Schiffe haben wir nur zwei Plätze." Er angelt nach seinem Handy, das in der Brusttasche steckt, murmelt nicht sonderlich interessiert: "Ah, Flavio, buon giorno. Bene, bene." Und kurz darauf auf Französisch ungefähr so etwas wie "tut mir leid, nein, nur diese Nacht. Morgen sind wir schon voll." Nur einen Platz auf der langen Warteliste habe er anzubieten - und drückt das Gespräch kurz darauf weg.

Ziel ist es, den Hafen ständig in Bewegung zu halten: "Er ist der wichtigste Wirtschaftsfaktor für die Gemeinde - denn er lockt die Schaulustigen an, die ihr Geld im Ort ausgeben. Die aber kommen nur, wenn Betrieb ist, wenn den ganzen Tag Boote an- und ablegen, große und kleine. Wenn es ordentlich was zu Gucken gibt."

Cathy Bruno muss sich um die Liegeplätze keine Sorge machen, und Yachten gucken interessiert sie längst nicht mehr. Sie macht sich jeden Morgen auf den Weg zum selben Boot am selben Steg ganz außen nahe der Mole des Vieux Port. Anschließend schiebt sie ihre Sackkarre mit den Kisten 200 Meter weit zu ihrem Verkaufsstand auf dem Markt von St. Tropez: Frische St. Pierres und Doraden hat sie diesmal direkt beim Fischer erstanden, um sie einen halben Tag lang auf Eis gebettet an ihrem Stand anzubieten. "Wäre nicht schlecht, wenn heute zwei Doraden übrig blieben", hofft sie - damit sie sie zu Hause mit Tomaten und Zwiebeln im Backofen zubereiten kann. Das ist das Schöne an St. Tropez: Mag der Café au Lait in den Hafenblick-Cafés noch so teuer sein - 100 Meter weiter beginnt der ganz normale südfranzösische Alltag. Einheimische kaufen bei Cathy genauso wie Ferienhaus-Mieter, Köche ebenso wie Yacht-Besitzer. Neulich erst war einer da, so ein schlaksiger jungenhafter Typ, der aussah wie Bill Gates. Und kurz darauf wollte U2-Sänger Bono zwei Hummer haben: "Fast hätte ich ihn nicht erkannt!" Und wenn nicht? Sie zögert keine Sekunde und lacht: "Dann wäre das auch egal gewesen!"

Auch Alain Rondini zählt zu den Stillen. Sein Großvater hat die typischen "Sandales Tropéziennes" erfunden, die Ledersandalen aus dünnen Riemchen, die Brigitte Bardot berühmt gemacht hat. Heute betreibt er die Schuhmacherei im Stadtzentrum. "Wissen Sie", sagt er, "wahrscheinlich stimmt die Geschichte gar nicht. Wenn sie in St. Tropez war, lief Brigitte Bardot eigentlich immer barfuß." Er lächelt. Seinem Geschäft tut die Ehrlichkeit keinen Abbruch. Der Laden in der Rue Georges Clémenceau floriert, und noch immer werden die Schuhe im Hinterzimmer von Hand gefertigt. Warum es so gut läuft? "Wahrscheinlich weil unsere Sandalen so bequem sind."

Neulich erst war Penélope Cruz da. Den ersten Tag kam sie mit dem Auto, parkte am Altstadtrand, kaufte Sandalen, spazierte zu Fuß durch die Gassen, wurde bald erkannt, musste auf Schritt und Tritt Autogramme geben. "Den nächsten Tag", erzählt Hafenmeister Hervé le Fauconnier, "kam sie mit der Yacht. Keine riesige, aber eine schöne. Sie war an Deck, trug eine Sonnenbrille, genoss das Leben - und wurde nicht erkannt." Warum? Weil sie sich so normal gab. Weil sie die Mülltüte an Land brachte. Und vielleicht auch wegen dieser Sonnenbrille: "Ein Hafen kann sehr diskret sein, ganz ohne dass man sich verstecken muss." Sogar dieser. Und vielleicht sogar gerade dieser.