Hamburg ist doch ein Vorposten der Berge - weiß jetzt auch Abendblatt-Redakteur Dirk Steinbach. Er tauschte mal eben das Eis vor seiner Haustür gegen den Schnee auf alpinen Pisten.

Drei, zwei, eins - los geht's! Das Starthäuschen für mein Skirennen der etwas anderen Art liegt nicht auf der berühmten Streif, sondern in Eimsbüttel. Die Koffer sind gepackt, das Taxi wartet vor der Tür. Es ist Freitag, 9.45 Uhr, und ich will es wissen: Wie schnell schaffe ich es von Hamburg auf die Piste? Und was erwartet mich eigentlich am Ziel, das der örtliche Tourismusverband als Österreichs "höchstes Vergnügen" anpreist? Kühtai in Tirol ist der höchstgelegene Ferienort Österreichs, ein schneesicheres Domizil, das auch Prominente wie Bernd Hoffmann schätzen. Die Familie des HSV-Chefs nutzte jüngst die direkte Flugverbindung nach Innsbruck. Neunmal in der Woche steuern Lufthansa, Air Berlin und Transavia die Hauptstadt der Alpen an.

Auf mich wartet Flug AB 8818, der um kurz nach 11 Uhr abheben soll. Planmäßig. Im Rennen gegen die Uhr lässt sich auf dem ersten Streckenabschnitt also nichts gewinnen. Dass ein Sturz auf spiegelglattem Geläuf die Abfahrt in Richtung Abfahrt ein wenig verzögert, hat keine Auswirkungen - zeit- wie körperlich. Auch ein Plausch mit dem Taxifahrer ist drin: "So viel Gepäck? Wollen Sie in die Karibik?" - "Nein, nur übers Wochenende zum Skifahren." - "Ach so, dann brauchen Sie sich wenigstens nicht umzustellen." Stimmt. Schnee liegt an diesem Tag auch in der Hansestadt. Nur, dass diese in ein tristes Grau gehüllt ist, während auf 2020 Höhenmetern im rot-weiß-roten Österreich ein strahlend blauer Himmel warten soll.

Der Gedanke daran macht vieles erträglich: das Anstehen am Check-in, das Ausziehen der Schuhe bei der Sicherheitskontrolle, die Mitreisenden, die wie immer den Gang beim Boarding verstopfen. Immerhin hebt der Flieger pünktlich ab, um keine Stunde später mit dem Landeanflug auf Innsbruck zu beginnen. Mit sicherem Boden unter den Füßen und den Koffern vom Band, ist es Zeit für die erste Zwischenzeit: 12.45 Uhr. Nur drei Stunden sind seit dem Einstieg ins Taxi vergangen, und um mich herum erheben sich die Zweitausender. Mit dem Shuttlebus, den viele Hotels rund um Innsbruck anbieten, geht's nun weiter in Richtung Kühtai.

Es ist das am weitesten entfernte der neun Skigebiete rund um die Olympiastadt. Schneller wäre man beispielsweise am Patscherkofel, wo 1964 und 1976 die Abfahrtsrennen der Winterspiele stattfanden. Doch in Kühtai wartet quasi ein Stückchen Hamburg in den Bergen - und das nicht nur wegen Gästen wie Bernd Hoffmann. Der Hamburger Reeder und Skipionier Willy R. Rickmers wurde 1909 beauftragt, Tirol und Vorarlberg zwecks Wintersporterschließung zu bereisen. Er wurde fündig: "Kühtai mit seinen Rundhängen und lichten Zirbenwäldern ist einzig schön", schrieb Rickmers später in der "Tiroler Landeszeitung".

Mittlerweile steht ein anderer noch viel mehr für den starken Hamburg-Bezug: Christian Graf zu Stolberg-Stolberg, Ururenkel von Kaiser Franz Josef I. und Kaiserin Sisi. Ihm gehört die ehemalige fürstliche Jagdresidenz - das heutige Hotel "Jagdschloss Kühtai". 18 Jahre lebte der Graf in der Hansestadt, viele Norddeutsche zählt er zu seinen Stammgästen. Mich bislang nicht, aber das kann ja noch werden.

Die historische Verbindung zur Habsburger Dynastie ist auch der Grund, warum Kühtai als Skiort mit aristokratischer Seele beworben wird. Dass nach knapp 40 Minuten Fahrtzeit ausgerechnet ein Fast-Food-Restaurant am Ortseingang auftaucht, passt nicht so recht in die majestätische Bergwelt. Man kann den Imbiss aber als einen Beleg für das Selbstverständnis der Gemeinde deuten, die Familien vor allem eines bieten möchte: Vielfalt. Kulinarisch erstreckt sich diese eben vom Kaiserschmarren bis zum Burgertum, auch bei den Unterkünften ist für jeden etwas dabei: Von der bunt gestalteten "Alpenresidenz Mooshaus" mit 150 Betten bis zum Zimmer in einer kleinen Gaststätte oder Pension.

Nach einem kurzen Stopp an der Skipassausgabe hält der Kleinbus vor dem "Jagdschloss" mit seinen charakteristischen rot-weißen Fensterläden. Es ist kurz vor halb zwei. Graf Christian, der die Leitung des Anwesens vor sieben Jahren von seinem Vater übernahm, kommt zur Begrüßung eigens aus seinem Büro. Es ist die persönliche und geschichtsträchtige Atmosphäre, die sein im Jahr 1260 erstmals urkundlich erwähntes Vier-Sterne-Haus von denen unterscheidet, die noble Nostalgie nur imitieren. Dies ist auf Anhieb zu erkennen. Der Graf scheint besonderes Gespür für seine Gäste zu haben, merkt, dass der Berg ruft. "Sie wollen sicher noch den Nachmittag auf der Piste verbringen? Skipässe, Material, alles vorhanden? Na dann viel Spaß!"

Also rein in eines der so genannten Grafenzimmer, umziehen, stärken und rauf auf die Bretter. Direkt vor der Hoteltür beginnen die auf zwei gegenüberliegende Hänge verteilten 40 Kilometer Pisten. Bei strahlendem Sonnenschein spüre ich die Geschwindigkeit, höre das Knarzen des Schnees. Gut vier Stunden habe ich von Hamburg in die Skiidylle gebraucht. Eine neue Bestzeit ist das nicht, seit es Schauspieler Till Demtrøder vom "Großstadtrevier" zur Saisoneröffnung in unter zwei Stunden nach Kühtai schaffte. Wohlgemerkt ohne Blaulicht, dafür mit Garderobenwechsel im Taxi und vom Abheben des Flugzeugs an gestoppt.

"Man muss es ja auch nicht übertreiben", denke ich, während mich die neue, 7,5 Millionen Euro teure Kaiserbahn wohlig warm zur nächsten Abfahrt chauffiert. Der Kabinenlift wurde 2009 anlässlich des 100. Geburtstags des örtlichen Wintertourismus in Betrieb genommen. "Kühtai hat sich gemütlich entwickelt", erklärt Bergbahn-Geschäftsführer Philip Haslwanter. "So soll es auch bleiben." Zur aktuellen Saison wurde eine Busverbindung ins benachbarte Hochötz eingerichtet. 13 Minuten dauert die Fahrt. Mehrtages-Skipässe gelten nun für beide Regionen, sorgen für noch mehr Vielfalt. Ihr nächstes Projekt haben die Kühtaier schon im Blick. Es ist der Bau eines Sport-Leistungszentrums. Dies wiederum dürfte auch für Bernd Hoffmann von Interesse sein, könnte der HSV hier doch in Zukunft seine Trainingslager abhalten.

Dass die Höhenluft zehrt, merke ich spätestens nach dem deliziösen Abendessen im "Jagdschloss". Es ist Zeit für die Nachtruhe. Drei, zwei, eins ...