Stromschnellen und Nebelbänke, goldene Tempel und Dörfer, die wie aus der Zeit gefallen wirken. Bernd Schiller begab sich auf eine Reise zurück ins alte Asien.

Es riecht nach Sandelholz und Kokosöl, nach dem Fett der Garküchen, dem Benzingemisch der dreirädrigen Tuk-Tuks und dem Diesel der Schiffsmotoren. Dunst liegt über den Palmen am Ufer, über dem breiten Strom und jetzt auch vor der Sonne, die noch vor einer Stunde hellgelb und klar aus dem Fluss gestiegen ist. Es ist genau diese süßlich-morbide Geruchsmelange der Tropen, die Asienliebhaber aus aller Welt immer wieder nach Hinterindien, in die Länder am legendären Mekongfluss reisen lässt.

Vientiane am frühen Morgen. Dies ist die Hauptstadt von Laos, direkt am Mekong gelegen, aber einen Hafen gibt es nicht, auch keinen Anleger, keine Pier. Lastwagen und Ochsenkarren schieben sich rückwärts an die steile Böschung. Schmalhüftige Träger schleppen Säcke und Körbe in Kolonnen zu den Frachtkähnen hinunter. Im graubraunen Wasser seifen sich die Alten ein, putzen sich Scharen kleiner Kinder die Zähne, waschen Frauen ihre Wäsche.

Die "Mekong Sun", der Kabinenkreuzer aus Teakholz, der für die nächsten Tage unser Zuhause sein wird, ist nur durch eine Art Rutschpartie zu erreichen. Starke Hände aus der Mannschaft stützen die Passagiere und balancieren mit ihnen über ein Brett, das die Gangway ersetzt. An Bord werden kühle Tücher und frisch gepresster Mangosaft gereicht, das Abenteuer Mekong beginnt ebenso zünftig wie stilvoll.

Vientiane ist die Metropole eines Landes, das ungefähr so groß wie Großbritannien ist, aber nur knapp sieben Millionen Einwohner hat. Südostasiens einziger Binnenstaat liegt eingeklemmt zwischen China, Burma, Thailand, Vietnam und Kambodscha. Es ist ein fast vergessenes Land. Über Jahrzehnte war es von der Landkarte nahezu verschwunden, abgeschirmt vom sogenannten Bambusvorhang. Erst als in Osteuropa die Diktaturen kollabierten, als sich selbst in den kommunistisch gebliebenen Nachbarländern China und Vietnam die Wirtschaft den Märkten öffnete, suchte auch Laos wieder den Anschluss an die Welt.

Vor zwanzig Jahren war ich schon einmal in diesem Land, in dieser Stadt, die damals gerade aus einer Art Narkose zu erwachen schien. Über die löchrigen und in der Regenzeit hoffnungslos verschlammten Wege rollten nur Fahrräder, Motorrikschas und ein paar russische Lastwagen. Ihr Tempo schien dem Rhythmus der Stadt wie des ganzen Landes angemessen. Nicht einmal die Straßenlaternen funktionierten seinerzeit. Dafür vermittelten noch zahlreiche Häuser den Charme der französischen Provinz. Doch die grünen Fensterläden, wie man sie aus dem Midi kennt, waren vom Moder unzähliger Monsunmonate zerfressen.

Auch Firmenschilder wie "Tailleur" und "Salon de Thé" waren verblichen, aber noch zu lesen. In den Bars, die so französisch wie asiatisch eingerichtet waren, hatten Patrone überlebt und mit ihnen Kunden, die allesamt aussahen, als seien sie Büchern von Graham Greene oder Somerset Maugham entsprungen: Schieber, Spione, Missionare, abgewrackte Fremdenlegionäre. Lane Xang, das "Reich der eine Million Elefanten", wie sich Laos in alter Zeit genannt hat, war über fünfzig Jahre lang, bis 1945, Teil von Französisch-Indochina.

Noch immer werden am Straßenrand knusprige Baguettes verkauft, noch immer hocken alte Männer vor den Bistros, die bei einem Pastis und hinter vorgehaltener Hand von vergangenen Zeiten reden, die so schlecht nicht gewesen seien ... Aber an ihnen rollt längst eine neue Zeit vorbei, mit japanischen Kleinwagen und modernen Reisebussen, mit Handys und Fernsehantennen über fast jeder Hütte.

Laos mag in der Hauptstadt und auch in Luang Prabang, der alten Königstadt, die unser Ziel auf dieser Reise ist, moderner geworden sein, ein wenig westlicher. Aber der Zauber des alten Asiens lebt gleichwohl fort, in den Seitenstraßen der Städte, erst recht in den Dörfern im Hinterland. Und der Mekong ist jener lange, ruhige Fluss geblieben, von dem die Reisenden vor hundert und noch viel mehr Jahren erzählt und geschwärmt haben, voller Überraschungen, voller Mythen, voller Gefahren.

Was für ein Fluss: 4350 Kilometer lang, die Lebensader Südostasiens. Aus dem tibetischen Hochland mäandert er in die chinesische Provinz Yünnan, weiter ins Goldene Dreieck zwischen Burma, Laos und Thailand. Über eine lange Strecke bildet er danach die Grenze zwischen Laos und Thailand, bevor er, nach Überwindung hoher Wasserfälle, durch Kambodscha fließt, um sich schließlich vielarmig in Vietnam ins Südchinesische Meer zu ergießen.

Er ist ein rätselhafter Strom, dieser Mekong. Die Wissenschaftler nennen ihn den Fluss der tausend Arten, weil er zu den fischreichsten der Welt gehört. Die Menschen an seinen Ufern hingegen nennen ihn die "Mutter aller Wasser" und vor allem "Buddhas eigenen Fluss", denn von der Quelle bis zur Mündung ist er geprägt von Tempeln, Klöstern und Pagoden, die alle dem Erleuchteten gewidmet sind und deren goldene Spitzen aus dem Grün des Urwalds leuchten.

Unser Schiff, so viel Komfort es im Innern auch bietet, passt zum Bild und zum Rhythmus dieses Landes und seines großen Stromes. Es wirkt zwischen den Kähnen und Schleppzügen, die Gemüse, Reis, Sand oder Wasserbüffel und manchmal auch zwei, drei Autos transportieren, nicht wie ein Fremdkörper. Es muss sich so behutsam wie alle anderen seinen Weg zwischen den vielen Felsen, Stromschnellen und Sandbänken suchen. Nachts kann es gar nicht fahren, an manchen Tagen muss es über Stunden irgendwo am Dschungelufer festmachen, weil sich der Nebel erst am späten Vormittag lichtet.

Der Kapitän heißt Khampet. Er ist vor 50 Jahren auf einem Holzfrachter geboren, der seinem Vater gehörte, mitten auf dem Strom. Barfuß hockt er im Ruderhaus auf einem Stuhl, neben ihm der Lotse, der auch bis jetzt sein Leben auf diesem Fluss verbracht hat. Ein Echolot gibt es nicht; es würde nichts nützen, sagen die beiden Navigatoren, weil sich der Untergrund sowieso alle paar Meter ändert. Höchstens acht Knoten, 13 bis 14 Kilometer pro Stunde, legt die "Mekong Sun" zurück, wenn die Sicht klar ist.

Das Schiff hat nur zwölf Kabinen, verteilt auf zwei Decks. Höchstens also zwei Dutzend Passagiere, vorwiegend Deutsche, teilen sich das Erlebnis. Die einen lassen sich von Houmphan, dem genialen Barmann, Kellner und Spaßvogel, einen tropischen Cocktail mixen, die anderen lesen sich schläfrig, und zwischendurch winken alle immer wieder gern den Kindern an Land zu und den Menschen auf Booten, die so gemächlich südwärts an uns vorbeituckern, wie wir, im wahrsten Sinne des Wortes, beschaulich nach Norden bummeln.

Si, der Koch, in dessen Körper Mann und Frau wohnen, bringt frischen Fisch und weißes Fleisch auf den Tisch, mittags am Büfett, abends liebevoll angerichtet auf Bananenblättern, dazu viele Früchte und Süßes aus der Kokosnuss. Auch Kai Pen wird mit Genuss probiert, gebratenes und gut gewürztes Flussgras, wie sie es auch in den Siedlungen essen, die wir auf unseren Landgängen besuchen und die auf uns wirken, als seien sie aus der Zeit gefallen.

Zum Beispiel Ba Don Sai Nam, das "Dorf der schönen Sandinsel". Etwa 50 Familien leben hier, ärmlich, friedlich und, wie es scheint: fröhlich. Jugendliche spielen Ka Tor, sie kicken dabei auf staubigen Wegen einen Rattanball mit Fuß, Knie und Kopf. Hunde jagen Hühner unter die Pfahlhäuser. Der Rat der Ältesten stellt sich vor, auch zwei Frauenbeauftragte, Mutter und Tochter. Es ist höllisch heiß, eine Kinderschar eskortiert uns auf einer Wanderung zu karstigen Zuckerhutbergen, vorbei an gewaltigen Baumriesen und mächtigen Bambuswäldern.

Zwei Tage noch bis Luang Prabang. Die "Mekong Sun hat an einer Sandbank festgemacht. Matrosen, Zimmerjungen, sogar Khampet, der Kapitän, und natürlich Houmphan, der Bordclown, machen Musik. Es wird ausgelassen getanzt, und mit jedem Gläschen Reisschnaps rücken die Leute aus dem nächsten Dorf, die mit ihren Booten herübergekommen sind, näher ans Feuer. Die Neugierde überwiegt schon bald die Scheu der ersten Begegnung.

Ziel und Höhepunkt dieser langsamen Annäherung an Land und Leute, Luang Prabang, ist Weltkulturerbe und die schönste Stadt im ehemaligen Indochina. Auch sie hat sich, wie Vientiane, stark verändert. Aus vielen Kolonialvillen und den Palästen der alten Elite sind Hotels und Reisebüros, Bars und Boutiquen geworden.

Wer diese magische Stadt von früher kennt, wird sie womöglich nicht wiedererkennen. Und doch: Wer in der blauen Morgendämmerung Hunderten von Mönchen zuschaut, die mit ihren Bettelschalen durch die Stadt laufen und den Gläubigen Gelegenheit zur guten Tat bieten, und wer am Nachmittag vom Berg Phu Si, hoch über den 33 Klöstern von Luang Prabang, den Tempelglocken lauscht, deren sanfter Klang wie von Libellen getragen nach oben dringt, wird nicht mehr wissen wollen, ob es früher wirklich noch beschaulicher, noch stiller, noch harmonischer gewesen ist.