Das Farbschauspiel der Wüste Namib aus der Vogelperspektive erleben ist nicht gerade billig, aber großartig und unvergesslich.

Es kann sehr kalt sein in der Wüste. Noch ist die Sonne nicht über die Dünen von Sossusvlei geklettert. Vor zwei Stunden, fast mitten in der Nacht, sind wir aus unserer Lodge im Süden Namibias zum Abenteuer Ballonfahrt aufgebrochen. Jetzt kuscheln wir uns in Pullover und Anoraks, wärmen die Hände an der Kaffeetasse und schauen zu, wie vier Helfer die große Seidenhülle auseinanderfalten.

Eine halbe Stunde dauert es, bis Leinen und Seile festgezurrt sind. Die Windrichtung wird mit Hightech-Geräten gemessen - und zur Sicherheit zusätzlich wie vor Jahrzehnten: Moses, ein schon am frühen Morgen lachender Schwarzer aus der Namib-Sky-Truppe, wirft eine Handvoll Sand dicht am Boden hoch. Das Ergebnis stellt seinen Chef Eric, den Piloten, zufrieden. Noch einmal zehn Minuten, bis der Gasbrenner genügend heiße Luft in das bunte Tuch gepustet hat. Dann muss es schnell gehen: Eric "lupft" mit ein paar Fauchern den Weidenkorb an, wir klettern in die Gondel, vier Passagiere.

In Fahrt gebracht von einem kräftigen, angenehmen Wind, gewinnt der Ballon rasch an Höhe, mit der Morgensonne quasi um die Wette. 100 Meter, 200 Meter, der Horizont verschiebt sich immer schneller. Unsere anfängliche Aufregung legt sich. Eric Hesemans strahlt Ruhe und Vertrauen aus. Er ist Belgier, aber eigentlich ist er ein Afrikaner, ein weißer Afrikaner, im Kongo aufgewachsen, seit 20 Jahren in Namibia zu Hause. Mit seiner Frau Nancy hat er, der schon vorher leidenschaftlicher Ballonfahrer war, 1991 in Windhoek sein eigenes Unternehmen, Namib Sky, gegründet. Seither hat er ein paar Tausend Fahrgäste in maximal 600 Meter Höhe die einzigartige Urlandschaft zwischen der Namibwüste und den Naukluftbergen aus der Vogelperspektive erleben lassen.

Atemlos staunen wir nach unten, in eine schrundige Sand-, Kies- und Felsebene. Gerade war sie noch unter einem diffusen Dunkelgrau versteckt, jetzt leuchtet sie orangerot in der Sonne des Südens. Die Wüste wirkt aus dieser Perspektive wie mit Elefantenhaut ausgelegt. Oryx-Antilopen hetzen in großen Sprüngen davon, aufgeschreckt vom Schatten, den unser Ballon wirft. Auch Springböcke sind zwischen den Felsen mit dem Glas gut auszumachen.

Mit höchstens fünf Stundenkilometern gleiten wir über die Wildnis, sie lebt jetzt vor allem im Rausch der Farben. In der Ferne, im Nordosten, scheinen sich die Berge zu bewegen und zu flimmern. Luftspiegelungen narren uns. Die Stille wird nur unterbrochen, wenn Eric den Brenner zum Fauchen bringt. Dann allerdings könnte man meinen, dass der plötzliche Lärm die Welt da unten aus einem vieltausendjährigen Schlaf weckt.

Es ist warm geworden. Keiner mag sprechen. Wer es dennoch tut und womöglich auch noch sagt, dass er "fliegt", bekommt von Eric Hesemans die gelbe Karte. Mit dem Ballon schwebt, gleitet und - das vor allem - fährt man. Niemals aber fliegt man mit so einem Heißluftgerät. Von Zeit zu Zeit zieht Eric an seinen Leinen und presst dabei Butan-Gas in den Ballon. Dann wiederum verständigt er sich über Sprechfunk mit dem Unimog, der etwa zehn Meilen im Voraus die "Landebahn" erkundet.

Knapp 500 Meter unter dem Ballon preschen wieder Antilopen, diesmal durch ein ausgetrocknetes Flussbett. Rillen und Streifen haben sich seit Urzeiten in den Boden der Wüste Namib gefräst, die dem Land ihren Namen gab. Der Nationalpark Namib-Naukluft, mit etwa 50 000 Quadratkilometern größer als Hamburg, Niedersachsen und Bremen zusammen, ist das weiträumigste Naturschutzgebiet Afrikas.

Vor etwas über hundert Jahren, in der Zeit der deutschen Kolonialherrschaft, wurde in dieser Region mit dem "Tierreservat Nr. 3" die Grundlage für die großen Nationalparks gelegt, die heute so viele Touristen anziehen. Die berühmten Dünen von Sossusvlei, die höchsten der Welt, gehören zu diesem Park. Über 200 Meter ragen sie aus der Salz- und Tonpfanne, dem sogenannten Vlei. Auch sie wechseln, vor allem am Morgen und am späten Nachmittag, alle halbe Stunde ihre Farbe.

Sossus ist ein Begriff aus der Sprache der Nama, jenes Volkes, das von den Deutschen in der Kolonialzeit als Hottentotten verspottet und diskriminiert worden war; er bedeutet "blinder Fluss". Gemeint ist der Tsauchab River, der nach Meinung vieler Wissenschaftler in alten Zeiten noch gut 50 Kilometer weiter bis in den Atlantik floss. Längst ist er hier im Nichts versandet. Nur selten, wenn es im Februar oder März mal besonders lange und heftig geregnet hat, bilden sich in den Wüstentälern seeähnliche Lachen. Dort, wo Kameldornbäume aus dem Sand ragen, dürfen Wasseradern vermutet werden.

Eric gibt über Sprechfunk unserene Koordinaten an das Begleitfahrzeug, das wir noch nicht sehen können. Erst nach fast einer Stunde nahezu atemloser Spannung bedeutet uns der Pilot, in die Hocke zu gehen und uns auf die Landung vorzubereiten. Ziemlich rasch senkt er den Ballon ab, von 500 auf 300, dann auf 150 Meter, noch tiefer. Jetzt wirbelt der Unimog ganz in unserer Nähe Staub auf. Minuten später setzt der Korb punktgenau auf der Ladefläche des Lastwagens auf, so sanft, als ob von ganz oben jemand die Hand geführt hätte.

Der Ballon schlafft ab, 200 Liter Gas sind verbraucht. Wir fühlen uns, als hätte sich gerade für einen Moment der Vorhang zu einem der letzten Geheimnisse der Erde gehoben. Dann nippen wir, um etwa 350 Euro ärmer, aber um ein unvergessliches Erlebnis reicher, am Champagner, der zum Ritual nach fast jeder Ballonfahrt gehört. Moses bittet zum Klapptisch. Der ist mit Früchten und frischen Brötchen, mit Marmelade, Käse und Wurst reich gedeckt. Wie zur Bestätigung, dass die Erde uns wieder hat, jubiliert eine Namiblerche in der flirrenden Luft über der Wüste.