Der See Bolagen in Härjedalen in Mittelschweden ist wie geschaffen für das Eisangeln. Einheimische wie Urlauber lieben es, ein Loch zu bohren, die Angel hineinzuhalten und wenig später dicke Forellen herauszuziehen.

Eislochangeln? "Das nervt mich ziemlich", sagt Anita Sjöström. Zu Hause in Kungsängen bei Stockholm ist die Sportart für sie ein alltägliches Ärgernis: Die Angler stehen auf dem zugefrorenen See vor ihrem Fenster und glotzen öfter in die Wohnung als in die frisch gebohrten Eislöcher zu ihren Füßen.

Anita und ihr Mann Pär fühlen sich beobachtet. "Viele verstehen das 'Jedermannsrecht' falsch und beachten nicht den Höflichkeitsabstand zum Haus", sagt Pär. Nur einmal sei es lustig gewesen einer Gruppe zuzusehen. Einer nach dem anderen plumpste ins eiskalte Wasser. Erst war das ein kleiner Schreck, doch dann sah das Ehepaar, dass es sich um ein organisiertes Überlebenstraining handelte. Dabei kam kaum jemand ohne fremde Hilfe wieder aus dem Eisloch.

Jetzt sitzen Anita und Pär im warmen Outdoor-Pool des Wellness-Hotels in Fjällnäs, 700 Kilometer entfernt von den heimatlichen Spannern, schauen auf die schneebedeckten Berge und genießen die warmen Strahlen der untergehenden Sonne. Diesen Morgen sind sie von ihrer Ferienhütte in den Bergen mit Skiern aufgebrochen und herübergewandert, um hier einen Tag zu entspannen. Es ist das älteste Berghotel Schwedens und liegt acht Kilometer von der norwegischen Grenze entfernt in der Provinz Härjedalen mitten in der Wildnis. In der Umgebung gibt es neben Elchen noch Bären, Luchse und acht Moschusochsen, die sich in den Wäldern verstecken. Die meisten Berge sind um die 1000 Meter hoch und eignen sich ideal zum Skiwandern. Direkt am Hotel ist der Einstieg in eines der längsten, zusammenhängenden Loipensysteme der Welt, das sich 300 Kilometer durch die Landschaft zieht.

Bereits 1882 kamen die ersten "Luftgäster", um hier zu kuren. Im Wald hängen überall Bartflechten an den Kiefern, die ein Zeichen für besonders reine Luft sind. Ende 2008 wurde das Hotel renoviert und als Luxusresort neu eröffnet. Von außen unterscheidet es sich kaum von den bescheidenen Ferienhäusern, die sich Einheimische in der Gegend gebaut haben. Doch drinnen findet der Gast handbestickte Wollkissen, Designerlampen und Flachbildschirm. Mit dem Konzept der "Sophisticated Solitude" - der kultivierten Einsamkeit, schaffte es das Hotel auf Platz 6 der "New York Times"- Liste der "44 places to go". Geschäftsführer Johan liest seinen Gästen jeden Wunsch von den Augen ab. Darf es Skilanglauf sein? Eine Hundeschlittentour? Eisklettern? Oder einfach nur die absolute Stille genießen?

Der neue Gast möchte gern Eislochangeln. Johan zeigt auf die andere Seite des Sees. "Im Bolagen hinter diesem Hügel gibt es besonders viele Forellen." Im Winter ist der See nur mit Skiern oder mit dem Scooter erreichbar. Fünfzehn Minuten dauert die Fahrt auf Johans Feuerstuhl, der fast so groß ist wie ein Kleinwagen und den Eindruck erweckt, als hätte er eine eingebaute Lizenz zum Rasen. Johan donnert mit dem Gefährt über den See, dröhnt den Berg hinauf, springt über Bodenwellen und ignoriert dabei Grasnarben, die mancherorts aus dem Schnee lugen. Scooterfahren macht den Schweden riesigen Spaß, fast jede Familie hat einen.

Der See Bolagen liegt in einer Senke. Bis zum Horizont ist kein Haus zu sehen, durch deren Fensterscheiben man die Bewohner beobachten könnte. Nur eine verlassene Fischerhütte liegt am südlichen Ufer. Johan bremst seinen PS-Koloss mitten auf dem See. "Keine Sorge, das Eis ist mindestens 80 Zentimeter dick. Da könnte ein Lastwagen drüberfahren", meint er. Dann steigt er ab und kramt einen Eisbohrer aus dem Kofferraum hervor.

Die Schraube des Handbohrers windet sich ins Eis. Wasser spritzt auf, als Johann die Decke durchbricht. Er bückt sich und schaufelt mit bloßer Hand die restlichen Eisbrocken aus dem Loch, das den Durchmesser eines größeren Schneeballs hat. Dann spießt er Würmer auf den Haken und lässt ihn in die eiskalte Tiefe hinabgleiten. Keine zehn Sekunden später zuckt die Rute und er zieht eine dicke Forelle hoch. "So ein schneller Fang!", freut er sich und hofft inständig, dass sein Gast auch Glück hat. Zehn Minuten später hat der eine Mahlzeit an seiner Angel baumeln. Fastfood in Fjällnäs! Johans Rekord liegt bei 30 Fischen am Tag, erzählt er. Doch man behält nur das, was man selbst essen kann. Also reicht die Beute für diesen Tag. Am Himmel ziehen dunkle Wolken auf, und ein scharfer Wind beißt in die Wangen. Zeit zurückzufahren.

Am Abend serviert der Koch den Fang mit Butter-Schnittlauchsauce, Salzkartoffeln und gerösteten Champignons. Das Hotel-Restaurant zählt zu den besten in Schweden. Für Anita und Pär gibt es diesen Abend fremdgefangenen Lachs. Am nächsten Tag kehren sie in ihre Hütte nach Ramund Berget zurück. Dort wollen sie bleiben, bis sich das Eis auf dem See vor ihrer Haustür in Stockholm aufgelöst hat und sie wieder unbeobachtet ihren Alltag leben können.