Seit die Mallorquiner die Liebe zu ihren Olivenbäumen wiederentdeckt haben, wird deren Öl mit jeder Ernte besser. Genießer kosten es vor Ort - in den uralten Hainen.

Mallorca ist nicht gerade bekannt dafür, dass dort Kamele zu Hause sind. Eher vermutet man Partylöwen und Schnapsdrosseln. Dennoch, es gibt ein Kamel, das auf der Baleareninsel heimisch ist. Und das sogar schon seit einigen Hundert Jahren. Man muss es gar nicht umständlich suchen. Denn der Weg zu ihm ist in Wanderkarten eingezeichnet. Es ist auch nicht scheu. Es steht fest verwurzelt da und trotzt seit Generationen Wind und Wetter.

"Ist es nicht wunderschön?" Josep Oliver tätschelt einen Höcker des Kamels. Zumindest das, was mit ein bisschen Fantasie ein Höcker sein könnte. "Es Camell" (das Kamel) ist ein uralter, schrulliger Olivenbaum. Der Stamm ausladend, die knorrigen Äste kunstvoll verschlungen, verdreht, verwachsen. Ein Kunstwerk der Natur. Eine Naturschönheit. Wie nicht wenige Ölbäume auf Mallorca.

Da glaubt man, das meiste über die Lieblingsinsel der Deutschen schon zu wissen. Das Wichtigste irgendwann mal gehört oder gesehen zu haben. Doch den vielen charaktervollen Olivenbäumen schenkte der moderne Tourismus bislang wenig Beachtung - obwohl oder gerade weil sie einfach so in der Natur herumstehen. Wie selbstverständlich, ohne Aufhebens und ohne Eventkonzept.

Doch es lohnt sich, genauer hinzuschauen. In Sichtweite alter Pfade gibt es unzählige Exemplare, die mehr als einen hastigen Blick wert sind. Jahrhundertealte, individuelle Gewächse, nicht selten auf höchst bizarre, fantasieanregende Art gewachsen. Es gibt sie etwa links und rechts von einem der Themenwanderwege, die seit Kurzem von der Interessensgemeinschaft "Oli de Mallorca" beworben werden.

Eine dieser Routen führt durch den Westen der Insel: Der Camí de Muleta beginnt in der Nähe von Deià, an der Landstraße nach Sóller. Schon wenige Meter abseits des Asphalts beginnt die Ruhe. Nur noch der Wind ist zu hören sowie das Zirpen der Grillen. Hin und wieder durchbrechen die Laute eines Esels die Stille. Und die fast jungenhafte Begeisterung von Josep Oliver für die traditionellen Olivenhaine.

"90 Prozent der Olivenbäume auf unserer Insel sind im Durchschnitt 500 Jahre alt", erklärt Josep Oliver. Mit Gesten, die so ausladend sind wie manch Ölbaumstamm. "Ein paar von ihnen sollen sogar 1000 Jahre oder älter sein", ergänzt er. Die Spektakulärsten und Schönsten unter ihnen haben von ihren Besitzern Namen bekommen und es zu lokaler Bekanntheit geschafft. Etwa "Madona" (das bedeutet auf Deutsch nicht etwa Madonna sondern Matrone) oder "Na Flamarades" ("Die in Flammen Stehende"). Auf Mallorca kennt sie fast jedes Kind.

Schon seit einigen Hundert Metern geht es durch menschenleere Gärten mit Olivenbäumen. Auch ohne botanische Kenntnisse ist zu erkennen, dass viele von ihnen einige Jährchen auf dem nicht selten krummen Buckel haben. Beziehungsweise unter der Rinde.

Josep Oliver ist Präsident von Oli de Mallorca. Die Gesellschaft kümmert sich erst seit sieben Jahren um die Vermarktung und Zertifizierung des mallorquinischen Olivenöls. Zuvor verkam das Öl zusehends zu einem vernachlässigten Nebenprodukt. Die Tourismusindustrie magnetisierte die Arbeitskräfte von der Insel wie eine Goldader, sodass kaum noch jemand ein ernsthaftes Interesse an der eher beschwerlichen Landwirtschaft hatte.

Doch die jüngere Generation der Plantagenbesitzer steuert dieser Entwicklung entgegen. Mit Erfolg. Olivenöl aus Mallorca hat seinen ehemals ausgezeichneten Ruf fast wiederhergestellt. "Es ist zwar noch nicht wieder das Gold von Mallorca, wie es früher einmal genannt wurde", sagt Josep Oliver, "aber wir arbeiten daran."

Einst war Mallorca einer der Hauptlieferanten des Öls, als in Italien oder Südfrankreich noch mit dem Anbau experimentiert wurde. Mallorquinisches Olivenöl wurde in den gesamten Mittelmeerraum verschifft. Etwa vom Port de Sóller aus, dem Zielpunkt der Wanderung.

Zum Wiederaufblühen der mallorquinischen Ölkultur trägt auch die Symbiose der Landwirte mit den ambitionierten Köchen der Insel bei. Einer von ihnen ist Guillermo Méndez, Chefkoch im Restaurant "El Olivo" in Deià. "Der Geschmack des Olivenöls erinnert uns an die Einfachheit und gleichzeitig an die Wunder des Lebens", erklärt er beinahe poetisch, "ich liebe es, damit zu arbeiten." Erst recht, seit Olivenöl aus Mallorca wieder runtergeht wie Öl. Das "El Olivo" gehört zum Hotel "La Residencia" und ist stilgerecht in einer ehemaligen Olivenölmühle aus dem 16. Jahrhundert untergebracht.

Die Karthager weihten die Bewohner der Insel im 5. Jahrhundert vor Christus in die Kunst des Ölbaumanbaus ein. Vieles war damals bekannt über die vielfältige Wirkung des Olivenöls als Mittel für Gesundheit, Schönheit und Wohlbefinden. Zu noch früheren Zeiten wurde das Öl in Ägypten sogar bei Bauarbeiten eingesetzt. Etwa als Gleitmittel beim Transport von Obelisken und Steinblöcken.

Auch ohne Olivenöl flutscht die Wanderung heute auf dem Camí de Muleta. Die bezaubernde Landschaft beschwingt Seele und Sohlen. An vielen Stellen bieten sich herrliche Ausblicke auf die Gipfel und Höhenzüge der Serra de Tramuntana.

Nach einem kurzen Bergaufmarsch und nach bislang knapp drei Kilometern Wegstrecke ist Es Camell erreicht. Von dort sind es nur noch wenige Hundert Meter zu einem historischen Landsitz, dem Muleta de Ca S'Hereu. Im Erdgeschoss des Steinhauses steht eine wuchtige und bestens erhalten Olivenmühle samt Mühlstein. Und auf der Terrasse warten frisch gedeckte Tische auf die Wanderer. Nach wenigen Minuten kommt die Inselspezialität auf die Teller: "Pa amb Oli" (Brot mit Öl). Natürlich mit hauseigenem Olivenöl. Das Anbaugebiet vor Augen und dessen mediterrane Gerüche in der Nase, schmeckt das Öl einfach köstlich. Dazu werden eingelegte Oliven verzehrt, Schinken, Salami und Käse.

Die Abendsonne hüllt die Landschaft in ein weiches Licht - man könnte es stundenlang auf der Terrasse aushalten. Doch es wartet noch ein letzter kleiner Fußmarsch zum Ziel in Port de Sóller. Und auf diesem Wegstück erneut endlose Haine mit beeindruckenden Ölbäumen. Alles Unikate, die jahrhundertelang wachsen durften, wie sie wollten, und sich schon gar nicht um Normen oder Einheitsgrößen scheren mussten. "Wir ernten sowieso von Hand, da ist es egal, wie krumm die Bäume sind", sagt Josep Oliver. Maschinen kommen hier nicht zum Einsatz.

Es geht vorbei an mannshohen Gräsern und üppigen Rosmarinbüschen, die vor meterlangen Natursteinmauern bestens gedeihen. "Wir nennen sie Trancas", erklärt Josep Oliver. Der Bau dieser auf Mallorca allgegenwärtigen Umrandungen ist wahre Handwerkskunst. Sie wird neuerdings wieder in einer eigenen Berufsschule gelehrt - seit es Geld von der Europäischen Union für den Erhalt dieser Art Mauern gibt. Die Auszubildenden erfahren, wie man ohne Mörtel Mauern aufschichtet, die viele Jahrhunderte überdauern werden.

Im Gegensatz zu den wackeligen Gattern, die der Wanderer auf dem Camí de Muleta hin und wieder öffnen muss. Diese Gatter, offensichtlich aus allerlei Sperrmüll zusammengefriemelt, sollen Schafe oder Esel am Ausbüxen hindern. Sie fühlen sich ausnahmslos alle an, als ob sie augenblicklich in alle Einzelteile zerfallen würden. Josep Oliver lächelt etwas verlegen: "Das mit den Bäumen haben wir wirklich besser im Griff."

Sie stehen da, fest verwurzelt, wie selbstverständlich. Und sie bleiben Naturschönheiten - bei Wind und Wetter.