Ein robustes Traditionsschiff, ein sturmerprobter Wikinger auf der Brücke und ein Hamburger Reiseleiter, der das Farbenschauspiel am Himmel erklärt.

Kurz vor Mitternacht im Hafen von Ålesund, auf halbem Seeweg zwischen Trondheim und Bergen. Es ist bitterkalt und ziemlich finster. Mit uns starrt eine Handvoll Menschen, eingepackt in Daunenjacken und Pudelmützen, in die Dunkelheit. Ein Schiff wird kommen, so viel ist sicher. Und dann geht auf einmal alles ganz schnell: Um 24 Uhr schälen sich die Konturen aus der Dunkelheit, fünf Minuten später macht das Motorschiff "Lofoten" fest. Das Häuflein, das in der Kälte gewartet hat, schnappt sich sein Gepäck und klettert an Bord. In den stählernen Gängen und in der holzgetäfelten Bar, die noch ein schnelles Bier rausrückt, bevor Schluss ist für diese Nacht, beschlagen die Brillen. Es ist bullig warm und sehr gemütlich auf dem Schiff.

MS "Lofoten", 87 Meter lang, 1964 in Dienst gestellt, ist der zweitälteste Schnelldampfer der Hurtigruten, jener legendären Linie, die jeden Tag die norwegische Küste abfährt, dabei 34 Häfen zwischen Bergen im Süden und Kirkenes im hohen Norden anläuft und umgekehrt jeden Tag vom Wendepunkt Kirkenes nach Bergen startet, hin und zurück 2800 Seemeilen zurücklegt, knapp 5200 Kilometer. Mit dem Golfstrom schwimmt die Flotte der insgesamt zwölf Schiffe auch im Winter eisfrei gegen den Wind, weit über den Polarkreis hinaus, durchs Inselmeer der Lofoten und Vesterålen, um das Nordkap herum, und nur an der russischen Grenze kann die raue Barentssee schon mal ein paar Eisschollen in die Fjorde drücken.

Im Sommer 1893 fing die Geschichte der legendären Postschiffe an. Zunächst verkehrten sie nur zwischen Trondheim und Hammerfest, im Winter darauf auch zwischen Trondheim und Tromsø. Fünf Jahre später wurde der Liniendienst nach Süden bis Bergen und 1911 im Norden bis Kirkenes erweitert. Es waren über Jahrzehnte nichts als brave Packesel zur See, sehnsüchtig erwartet in den kleinen Häfen auf den Inseln und an den abgelegenen Küsten. Die Norweger nennen die Route bis heute die "Reichsstraße 1".

Sie werden noch immer gern Postschiffe genannt, die Dampfer, die einst die Briefzustellung zwischen Trondheim und Hammerfest von drei Wochen, im Winter gar von drei Monaten auf ein paar Tage reduzierten. Die Post hat sich längst andere Wege gesucht, doch noch immer bringen die Dampfer Ladung in winzige Häfen wie Brønnøysund, Finnsnes oder Kjøllefjord. Viel Zeit an Land bleibt nicht, selten mehr als drei Stunden, oft nur 30 Minuten. Ladung löschen, Ladung aufnehmen, Passagiere ein- und aussteigen lassen, alles geht flott, hurtig eben. Und wer so reizvolle Städte wie Tromsø oder Ålesund, wo wir auf der letzten Etappe nach Bergen um Mitternacht zugestiegen sind, nicht verpassen will, muss hin- und zurückfahren. Dann erlebt er jene Häfen, die auf dem einen Weg nachts angesteuert werden, auf der Rückreise am Tag - aber der ist im Winter kaum heller als die Nacht.

Manche reisen zu so einem Wintertörn mit drei, vier dicken Büchern an. Aber wenn dann, zum Beispiel im Tysfjord, die Wale im Zwielicht des Spätherbstes ihre Fontänen aufschießen lassen, wenn Seeadler vor dem Trollfjord über das Schiff gleiten, und wenn die ersten flackernden Lichtstreifen am dunklen Himmel Aurora borealis ankündigen, das Phänomen des Polarlichts, kommt niemand mehr zum Lesen. Dann stehen die Passagiere dick eingemummelt an Deck und werden von den Reiseleitern der Hurtigschiffe, zum Beispiel auf der "Lofoten" vom Hamburger Harald Weinreich, anschaulich informiert, welche magnetischen Kräfte auf die Atmosphäre und welche magischen auf ihr Gemüt wirken.

Grün, gelb, rot, blauviolett fluoreszieren die elektrisch geladenen Teilchen, vorwiegend Elektronen, aber auch Protonen und Sauerstoff-Ionen, und lösen aus, was bis heute so empfunden wird, als ob zauberische Mächte den Nordhimmel ausleuchten. Harald Weinreich, seit elf Jahren für Hurtig im Einsatz, seit vier Jahren als Reiseleiter auf MS "Lofoten", teilt sich sein Büro mit der blonden Zahlmeisterin Judith Eide aus Ålesund. Sie ist mit uns in der letzten Nacht zugestiegen. Drei Wochen wird sie an Bord bleiben, dann hat sie wieder drei Wochen frei. Dieser Dienstplan gilt für alle fahrenden Mitarbeiter, auch für Kapitän Truls Bruland, der schon oft so hypermoderne Hurtigriesen wie die "Midnatsol" oder die "Trollfjord", fast 140 Meter lang, mit je tausend Passagieren durch die Klippen zwischen Bergen und Kirkenes manövriert hat. Bruland ist ein Wikinger aus dem Bilderbuch, ein Kapitän, wie ihn eingefleischte Hurtigfans lieben: hochgewachsen, in sich ruhend, ein Seemann, dem man sich ohne Wenn und Aber anvertraut. Er redet nicht viel, aber wenn er von seiner Familie spricht, von seiner "hytte" in der norwegischen Wildnis, von dem See, an dem er sich beim Angeln entspannt, dann zeigt er Temperament. Und er macht kein Hehl daraus, dass er die gute alte "Lofoten" liebt, die kein Bugstrahlruder hat und keine Stabilisatoren und die doch "so wunderbar auf dem Wasser liegt".

Man wohnt spartanisch auf der "Lofoten" , zwei Kojen, zwei Stühle, ein Bullauge, Gemeinschaftstoilette auf dem Flur (es gibt auch Kabinen mit Dusche und WC). Aber hier wie auf der "Norstjernen" entschädigen die Nähe zu den Elementen und das nostalgische Ambiente für fehlenden Komfort. Alle Postschiffe sind mit höchstens 15 Knoten Geschwindigkeit unterwegs, weil sie ja denselben Fahrplan einhalten müssen.

Letztes Mittagessen an Bord. Das Lunchbüfett ist wieder appetitlich angerichtet, mit viel Fisch, mit Salaten, mit Roastbeef und Frikadellen. Gespräche über die Höhepunkte der Reise: die nicht erwartete Jugendstilpracht in Ålesund, Trondheim, wo genug Zeit war, um durch das Altstadtviertel Møllenberg zu schlendern, ein Konzert in der Eismeerkathedrale von Tromsø, die kabbelige See nördlich von Hammerfest, bei der ein Ehepaar so viele Tabletten gegen Seekrankheit geschluckt hat, dass es beinahe das Nordkap verschlafen hätte.

Chefkoch Bård Almaas hat die Gäste jeden Tag aufs Neue überrascht - und manchmal auch verwirrt: lutefisk zum Beispiel, der gewässerte Stockfisch, ist wirklich gewöhnungsbedürftig, muss aber auf einer Norwegenreise einfach mal probiert werden.

Gut möglich, dass diese Spezialität, norwegischer Tradition zuliebe, auch wieder zu den Festtagen angeboten wird. Niemand müsse übrigens befürchten, so erzählt Harald Weinreich, ausgerechnet an Heiligabend seekrank zu werden: "Jedes Jahr an diesem Tag bleiben nämlich alle Hurtigschiffe für 24 Stunden dort liegen, wo der Fahrplan sie gerade hingeschickt hat. Das ganze Schiff ist dann liebevoll geschmückt. Und noch jedes Mal haben sich Passagiere und Mannschaft zum gemeinsamen Singen an Deck getroffen. Kälte hin oder her, das wärmt allemal die Herzen."