Eine Pflanzenwelt aus fünf Kontinenten verteilt sich über das fruchtbare Eiland. An den Fensterläden, Mauersteinen und Hausfassaden - überall wuchern hier Jasmin, Hibiskus und Kamelien.

Funchal. José Fernandes kennt jede Blume. Er ist Gärtner und kein Mann vieler Worte. Schließlich sprechen auch Blumen still. So geht er stumm die Kamelienallee hinauf, wo ohnehin nur zwei Spezies stehen: Kamelien und Pappeln. Erst im großen Landschaftspark spricht er wieder, im Versunkenen Garten und dem Garten der Dame, wo er alle Rosen, Arum- und Belladonnalilien, Mimosen, Magnolien, Königsproteas, Agapanthus und all die anderen, die dort wachsen, benennt.

Überhaupt kennt er alle Pflanzen, auch die exotischsten, die im prächtigen Palheiro Garden am östlichen Stadtrand von Funchal wachsen. Senhor José ist ein vom Alter und Jäten gebeugter Mann. Doch in seinen Augen wohnt das Lächeln wie ein innerer Frieden. Sein Glück liegt im Blütenmeer und im Triumph über Blattlausbanden, Unkrauthorden und unbeugsame Rasenränder. Seit seinem 12. Lebensjahr arbeitet er im Garten der Blandys, einer alteingesessenen Weinhändlerfamilie auf Madeira. Sie kaufte das 200 Hektar große Anwesen mit Herrenhaus und altem Baumbestand 1884 vom Grafen Carvalhal, der es als Jagdsitz genutzt hatte. Mildred Blandy übernahm den Landschaftspark 1950, legte Themengärten an, führte ganze Pflanzensammlungen aus aller Welt ein. "Sie war eine große Pflanzenliebhaberin", sagt Senhor José bewundernd. Was er über Botanik weiß, weiß er von ihr und seiner jetzigen Chefin Cristina Blandy. Ohne die Insel je verlassen zu haben, liegt dem 65-Jährigen auf Madeira die Welt zu Füßen, eine Pflanzenwelt aus fünf Kontinenten.

Die Gartenleidenschaft auf Madeira muss eine Art Nationalfieber sein. Allein im Hauptort Funchal gibt es 13 öffentliche oder öffentlich zugängliche Parks. Nicht eingerechnet die Privatgärten der vielen Quintas, wie die Herrenhäuser hier genannt werden, und die Gärten in anderen Regionen. Zwei Drittel der Insel steht als Parque Natural da Madeira unter Natur- und Unescoschutz. Was stört es den Blumenfreund schon, wenn der Himmel mal grau ist? Es ist mild wie immer, und Frühling gibt es auf der 742 Quadratkilometer großen Atlantikinsel zu jeder Jahreszeit. Natürlich auch mal Regen. Nicht umsonst ist alles so grün.

Beim Flanieren durch Funchals Straßen sorgt irgendeine Blüte immer für die städtische Dekoration. An Hausfassaden, Fenstern und Grundstücksmauern wuchern rosaroter Hibiskus, schneeweißer Jasmin, sahniger Frangipani, flammenrote Kamelien, ziegelrote Azaleen, Oleander von Weiß bis Pink. In der Avenida Arriaga, der belebten Hauptschlagader, verbreiten Jacarandas von April bis Juni violetten Glanz. In den Parks Jardim de São Francisco, Jardim de Santa Catarina, der Quinta das Cruzes oder dem Jardim Orchídea machen Orchideen ihre Toilette, putzen sich farbenprächtige Geranien und Gladiolen zu Prachtexemplaren heraus. Blütenmäßig erfüllen sich Träume. Eine ständige Farbenpracht darf man jedoch nicht erwarten. Jede Blüte hat ihre Zeit. Aber es blüht zu jeder Zeit garantiert irgendetwas.

Alles begann vor gut 250 Jahren. Auf der Fahrt in ihre Kolonien legten Engländer auf halber Strecke nach Afrika bei der Vulkaninsel einen Zwischenstopp ein, um sich zu akklimatisieren. Bei der Rückkehr hatten sie fremde Setzlinge und Samen im Gepäck, nicht nur für ihre Heimat, sondern auch für Madeira. Das aufgeklärte Europa von damals schwärmte für Naturwissenschaften. Unter Aristokraten herrschte ein richtiges Gartenfieber. Fürsten und Könige schickten Sammler um den Globus, um neue Pflanzen zu entdecken.

Auch die Strelitzie, die fälschlicherweise für das Wahrzeichen Madeiras gehalten wird, kam so auf die Insel, wohl 1778. Der Pflanzenjäger Francis Masson hatte das orange-gelb-blau leuchtende Paradiesvogelgewächs am Kap von Südafrika gefunden. Eine botanische Kostbarkeit, die er 1773 seinem Auftraggeber Joseph Banks, Direktor der Royal Botanic Gardens in Kew, schickte. Banks war von der auffälligen Blüte überwältigt. Zu Ehren seiner Königin, der gebürtigen Prinzessin Sophie Charlotte von Mecklenburg-Strelitz, die mit König George III. verheiratet war, nannte er sie Strelitzia reginae.

Auf Madeira erlebte die Strelitzie eine fantastische Karriere zum Synonym für die exotische Blütenwelt. Wie sie wurden zahlreiche andere Pflanzen von Reisenden, bald auch von Händlern eingeführt und heimisch gemacht. "Madeira verfügt über rund 2000 Spezies, und bei uns haben wir von praktisch jeder einen Vertreter", sagt Roberto Jardim, der Leiter des Botanischen Gartens in Funchal. Aber er sieht noch einen wichtigen Pflanzenstrom: "Die Not der Landbevölkerung zwang viele zum Auswandern nach Südafrika, Amerika und Australien." Wenn sie zum Familienbesuch kamen, so Jardim, brachten sie unbekannte Pflanzen als Geschenk mit. So entstand auf Madeira eine internationale Pflanzengemeinschaft.

Trotz der übermächtigen Vielfalt ist die Strelitzie die Symbolhafteste. Jedes Jahr nehmen Millionen die Paradiesvogelblume als Souvenir mit nach Hause. Im Mercado dos Lavradores, dem Bauernmarkt in Funchal, springen einem ihre satten Farben wie Leuchtfeuer ins Gesicht. Sie füllen die vielen hohen Wasserkübel, die die Pracht der Blütenstiele bündeln. "Die Strelitzie ist wie Madeira, exotisch und bunt", lockt die zum Stand gehörige Blumenfrau, die die typische rote Tracht trägt. Vorsichtig zupft sie einige Stiele heraus und legt ein Blütenmeer aus Orange, Gelb und Blau in ihren Arm. Bestechend schön! Obwohl daneben noch einige andere Schönheiten aus dem insularen Fundus stehen. Doch nichts währt ewig. Ein Streit um die Strelitzie als Symbol entbrannte. Ihre Widersacher führten an, dass eine Blume aus Südafrika nicht das Wahrzeichen Madeiras sein könne. "Eine offizielle Inselblume hat es nie gegeben", sagt auch Roberto Jardim über den Ruhm der Strelitzie. "Wenn wir eine wählen, muss es eine einheimische Pflanze sein." Eine aussichtsreiche Ersatzkandidatin scheint schon gefunden. Die Blume ist ein endemisches Natternkopfgewächs, das nur auf Madeira vorkommt. Ihr lateinischer Name lautet Echium candicans, im Portugiesischen heißt sie Massaroco und im Deutschen: Stolz von Madeira.