Weiter Himmel, gute Typen, ein Hafen wie aus dem Bilderbuch und ein Standesamt auf dem Leuchtturm: Es gibt viele Gründe, sich in diese kleine Insel im norddeutschen Wattenmeer zu verlieben.

Pellworm. Pellworm - Insel im Atlantischen Ozean, gegenüber England, Nordkap gleich rechts ... (Detlev von Liliencron)

Manchmal, wenn ein Sturmtief aus Westen drei Tage lang wütet, wenn die inseleigene Wetterstation Böen meldet, die mit über 110 Stundenkilometern die Bäume beugt und die See in schweren Fluten gegen die Deiche rollen lässt und alles und jeder auf Pellworm die Schotten dicht macht, ja, dann kann es schon mal vorkommen, dass die Kösters sich nach Hamburg zurücksehnen, nach Theater, Kino und Shopping in den Passagen, nach Großstadt und Abwechslung.

Aber kurz darauf, wenn das Meer sich eingekräuselt hat, wenn die typische Brise des Nordens glitzernde Schaumkrönchen auf die Wellen zaubert und die Schafe kämmt und auch den Möwen wieder Auftrieb gibt, wenn die Seehunde sich draußen auf den Sandbänken wohlig in der Sonne lümmeln, wenn Insulaner und Gäste sich zum Klönschnack beim Hafenfest treffen oder wenn, wie an jedem Mittwoch im Sommer, die 300 Jahre alte Orgel in Sankt Salvator ihre Klangfülle aufbrausen lässt, die einzige von Arp Schnitger in ganz Schleswig-Holstein, dann gibt es für die Kösters keinen Zweifel, dass sie ihr Paradies auf Pellworm gefunden haben, auf der drittgrößten, aber wohl unbekanntesten unter den nordfriesischen Inseln.

Vor 20 Jahren sind Bärbel und Werner Köster ausgestiegen, sind aus Hamburg nach Pellworm gezogen: 37 Quadratkilometer grünes Land im nordfriesischen Wattenmeer, ziemlich weltfern und doch nur 35 Minuten mit der Fähre von Nordstrand oder drei Stunden von Hamburg entfernt, 1200 Einwohner, kein einziges Dorf, dafür aber stattliche Bauernhöfe auf Warften, die ein paar Meter über dem brettflachen Land thronen, und eine Geschichte, die von Sturmfluten und den Sitten und Traditionen des Nordens geprägt ist.

Ein paar Mal hatten die beiden zuvor Urlaub gemacht auf dieser Insel, die wenig gemeinsam hat mit Föhr oder Amrum und schon gar nichts mit Sylt. Und mit jedem Besuch wuchs der Gedanke, sich hier mal ein Haus zu kaufen, die Ruhe zu genießen, den Wolken und den Möwen nachzuschauen. Inzwischen ist Bärbel Köster, früher mal Marketingfachfrau bei Tchibo, die Kurdirektorin von Pellworm und plant hinterm Deich gerade so viel Programm und Abwechslung, wie die Insel verträgt, während Werner Köster, im ersten Leben Elektronikspezialist und Leiter des Versuchslabor der Firma Eppendorf, sich um das gemeinsame Refugium kümmert, den "Clausenhof", unter dessen Reetdach sie auch noch fünf kuschelige Appartements vermieten.

Osterschütting, wo die Schutzstation Wattenmeer liegt, dann die Badestelle an der Hooger Fähre, die zu einem der acht grünen Deichstrände gehört, der Bupheverkoog am Pellwormer Nordkap, erst vor 70 Jahren eingedeicht und nach einem Ort benannt, der 1634 vom Meer weggespült worden war, die Turmruine der Alten Kirche, deren Grundstein vor 900 Jahren gelegt wurde, die stolzen Friesenhöfe, das idyllische Lehrerhaus von 1851, neben der Neuen Kirche, in der die Muttergottes in friesischer Tracht, Rot, Gold und Blau, dargestellt ist ... Von dieser Art sind die Sehenswürdigkeiten, die Bärbel Köster besonders gern zeigt.

Mit einer Leidenschaft, als gehöre sie in sechster Generation zu den Alteingesessenen, erklärt sie Tiefs, Pütten und Priele, die Wasserlöcher und die Reste der Wasseradern, über die einst die Bauern in ihren flachen Kähnen zum Hafen im Westen der Insel ruderten. Es ist ein sonniger Vormittag und der Wind frischt wieder auf, bewegt Heckenrosen, Holunderbüsche und die großen Eschen.

Gute Freunde und die Pellworm-Neulinge unter den Kurgästen schickt Bärbel Köster auch zu Menschen, die heute die Insel prägen: zum "Holzwurm" Hans-Hermann Ohrt, einen Ur-Pellwormer, der Tischler und Zimmermann gewesen ist und jetzt, am Schardeich, schönes Spielzeug macht; zur Gold- und Silberkünstlerin Frauke Poche, die nach Umwegen über London und Hamburg auf die Insel ihrer Vorväter zurückgekehrt ist und im Atelier Sonnenmond, einem ehemaligen Schweinestall am Ostersiel, unter anderem Trauringe schmiedet. Vor zwei Monaten hat sie den Insulaner Gerd Nommsen geheiratet, natürlich auf dem alten Leuchtturm, wie das seit gut zehn Jahren üblich ist.

Bis 1977 wurde das Lampenhaus in 38 Meter Höhe von einem Wärter gehütet, der neben dem Turm wohnte. Und noch immer strahlen das Haupt- und zwei Nebenfeuer weit ins Fahrwasser hinein, längst automatisch gesteuert. Herr im Turm aber ist seit Langem Kapitän Wilfried Eberhardt. Nach fast 40 Jahren Fahrenszeit über alle Weltmeere, organisiert er nun stimmungsvolle Hochzeiten auf dem rot-weißen Leuchtturm. Nahezu täglich klettert er die 139 Stufen zum "Deck 9" hinauf, wo sich schon mehr als 2600 Paare aus 40 Ländern das Ja-Wort gegeben haben. Mindestens zehnmal war Eberhardt, jedenfalls nach eigener Umrechnung, schon auf dem Mount Everest. Er ist ein Seebär, wie er im Buche steht und ein Inseloriginal wie Hellmuth Bahnsen eines ist.

Auch der lebt ein zweites Leben, war früher Fischer und passionierter Wattwanderer. Heute ist er Hobby-Archäologe und Besitzer des mit Abstand spannendsten Museums der Insel. Es heißt "Rungholt", wie der legendäre Ort, der vor allem durch ein Gedicht von Detlev von Liliencron berühmt geworden ist (von ihm und seiner intimen Pellworm-Beziehung wird noch die Rede sein müssen). Bahnsen also: ein knuffiger Typ, einer, der erst im zweiten Anlauf auftaut, aber dann Geschichten erzählt, alle kaum zu glauben, aber wahr.

Immer wieder stromert er, Jahrgang 1941, durchs Wattenmeer, oft mit Kurgästen, gern auch allein. Und immer bringt er Schätze mit in sein Museum der eine Million Fundstücke: Scherben aus der Zeit der großen "Mandränken" (Sturmfluten) von 1362 und 1634, Weinflaschen aus Frankreich, fast 400 Jahre alt, schönes Geschirr aus dem 17. Jahrhundert und, tatsächlich, Tintenfässer aus seiner eigenen Schulzeit.

Es ist Nachmittag geworden . Hohe Sommerwolken türmen sich über dem Meer. Stille liegt über der Insel. Am Busstopp Hooger Fähre hocken zwei Nordmänner auf einer Bank, genießen ihr Bier und schauen zum Strand hinunter, schweigend, versteht sich, wie in der Werbung für das Bier aus der Region. Dieser Strand ist grün bis an die Wasserkante. Im Sand buddeln oder gar Burgen bauen, das geht nicht auf dieser Insel. Hier klammern sich die Strandkörbe schräg an den Deich. Darin sitzen Urlauber, die gern stundenlang zuschauen, wie direkt neben ihnen die Schafe mit ihren Trippelschritten das Gras festklopfen. Ideale Lektüre für solche Stunden ist "De Pellwormer". In diesem Monatsblatt wird viel von früher erzählt. Es inserieren Handwerker wie Paul Petersen, der Reetdachdecker, und Geschäfte wie Beate's Wollkiste und Hansi Koopmann, bei dem es Wattschuhe gibt, oder die "Seekiste", in der Schafmilchschokolade verkauft wird und eine "Himalaja-Kollektion", auf einer Insel, die so platt wie eine Flunder ist.

Früher oder später treffen sich alle am gemütlichen kleinen Kutterhafen, Seeleute und Sehleute, die Stammgäste vom Pub, die Urlauber, die nun endlich, beim zehnten Pellworm-Besuch, das kleine Schifffahrtsmuseum besuchen wollen, wo "das maritime Erbe der Insel" ausgestellt und erklärt wird. Eine Walfänger- oder Großsegler-Tradition, wie auf Amrum oder Föhr, hat es allerdings auf Pellworm nie gegeben. "Pelle", wie die Stammgäste ihr zweite Heimat liebevoll nennen, war immer eine Insel der Bauern und Fischer.

Die Ohrts sind seit alten Zeiten Fischer auf Pellworm: Allein drei von den sieben verbliebenen Kuttern der Inselflotte gehören dieser Familie: Jens, der Senior, und die Söhne Jan und Hermann fahren jeden Tag auf Krabbenfang hinaus, bis Windstärke sechs. Wenn es gut läuft, kommen sie mit 1200 Kilo zurück, ein paar Seezungen, Steinbutt und Klieschen bleiben im Beifang hängen. Die Zeiten, sagen sie, sind schwieriger geworden, viele Vorschriften, "die meisten davon unsinnig und am grünen Tisch ausgeheckt", aber die Fischerei, auch auf Pellworm, hat trotzdem Zukunft, daran zweifelt kein Ohrt.

Von Liliencron muss nun endlich gesprochen werden. Er war 1882 und 1883 so eine Art Inselvogt, hat hier viel gedichtet, getrunken und geliebt, hat "zwischen Mine und Stine" gesessen, "den hellblonden hübschen Friesenmädchen" und reichlich Grog getrunken. Auf einem schönen Warfthof hat er gewohnt, der heute nach ihm benannt ist und seinerzeit dem Urgroßvater von Hermann Petersen gehört hat.

Dieser Hermann Petersen lebt auf dem Liliencron-Hof, er ist ein sehr guter Töpfer und auch ein wunderbarer Liliencron-Rezitator. Prall und norddeutsch-verschmitzt trägt er die Gedichte des impressionistischen Lyrikers vor, so kraftvoll, wie sie der lebenslustige "Dansbaron", so haben sie Liliencron auf der Insel genannt, wohl auch gemeint hat " ...die Welt ist das Tal der Küsse... noch ein Glas Grog ...". Schluss jetzt, die Tassen, die Petersen eben gedreht hat, müssen in den Brennofen.

Hundert Meter weiter sitzen Bärbel und Werner Küster im Garten vor dem "Clausenhof" und machen genau das, was sie immer wollten, sie schauen den Möwen und den Wolken nach und hören ihren Schafen zu, die ihnen im Garten den Rasenmäher sparen: "Grenzenlose Einsamkeit! Herrlich!", hat Liliencron damals geschwärmt.

Aber die Kösters sind sich einig: Es hat sich Gott sei Dank nicht alles, aber eben manches doch verändert. Denn genau genommen ist auf der grünen Insel inzwischen richtig was los: noch bis Ende des Monats die Nordfriesischen Lammtage, demnächst der Bootskorso, dann das Hafenfest, Ende August die literarische Sommerakademie. Und danach ...

Ach, fahren Sie doch selber hin, lassen Sie sich den rauen Wind von Pellworm um die Nase wehen und entdecken Sie, wie seinerzeit der alte Liliencron, "eine neue, liebe, schöne Welt".