Bettenburgen und Golfplätze sind nicht zu sehen, stattdessen einsame Strände und eine faszinierende Vogelwelt. Das Gebiet ist eines der weltweit wichtigsten Feuchtgebiete. Doch eine Frucht gefährdet das Naturidyll.

Das soll Spanien sein? Der Strand ist menschenleer. Links der Atlantik, rechts die Dünen. Und dahinter? Mit dem groben Profil seiner Reifen schiebt sich der Unimog den Sandberg hinauf. Keine Bettenburgen, Villen und Golfplätze sind zu sehen, keine Straßen und keine Menschen. Nur Dünen, Weite und Rehspuren im Sand. Willkommen an einem der letzten unverbauten Abschnitte der spanischen Südküste, dem Coto de Doñana Nationalpark in Andalusien. Geschützt wird hier eines der weltweit wichtigsten Feuchtgebiete. Seine Zukunft allerdings ist bedroht - von Erdbeeren.

Nach etlichem Auf und Ab kommt der bullige Geländebus auf einer Düne zum Stehen. "Da hinten", ruft begeistert ein Mitreisender, der sich als Vogelkundler zu erkennen gibt, "da brütet der Kaiseradler." Mehr als ein Knubbel - der Adlerhorst - in einer etwa 1000 Meter entfernten Korkeiche ist beim Blick durch sein Spektiv allerdings nicht zu erkennen. Die mit einer Spannweite von bis zu zwei Metern größten Vögel von Doñana sind ausgeflogen. Besser zu sehen sind die Tiere an der Laguna de Santa Olaya im Herzen des Nationalparks: Rosa Flamingos stapfen durch das flache Wasser, daneben stehen Löffler und Reiher. An die afrikanische Savanne erinnern auch die Damhirsche, die vor der sich schirmartig ausbreitenden Krone einer Pinie auf offener Grasfläche äsen. Zu erreichen ist die Lagune auf organisierten Geländewagentouren. Auf eigene Faust dürfen Touristen den Nationalpark nur in der Nähe der Besucherzentren erkunden.

Doñana ist ein Flickenteppich unterschiedlicher Lebensräume: Hinter den Wanderdünen an der Küste wachsen Pinienwälder, Korkeichenhaine und Heide. Dann folgt sumpfiges Marschland, das regelmäßig überflutet und von offenen Lagunen unterbrochen wird. Geschaffen hat dieses Ökomosaik der Fluss Guadalquivir, der an seiner Mündung seit Jahrtausenden Sand und Schwebstoffe abgelagert hat. Wie das Wattenmeer an der Nordsee lockt Doñana zahlreiche Zugvögel an: Schätzungsweise sechs Millionen von ihnen legen hier eine Pause ein, wenn sie im Frühjahr und im Herbst ihre Lebensräume in Afrika und Europa wechseln. Viele sparen sich sogar den Sprung auf den anderen Kontinent und überwintern im äußersten Süden Europas.

Dass Doñana Spaniens touristisch bedingtem Bauboom und verschiedenen Plantagenprojekten trotzen konnte, darf sich der WWF auf die Fahnen schreiben. Auf Betreiben der Naturschutzorganisation wurde noch während der Franco-Diktatur der Schutz der Küste und des Marschlandes gesetzlich festgeschrieben. Im Oktober 1969 - also vor bald 40 Jahren - wurde Doñana zum Nationalpark erklärt. Den runden Geburtstag hat der WWF bereits Anfang Februar gefeiert, anlässlich des Weltfeuchtgebietstages. Zufrieden zurücklehnen konnten sich die Naturschützer dabei aber nicht: "Durch illegale Bohrlöcher ist die Wassermenge des Rocina um die Hälfte zurückgegangen in den vergangenen 30 Jahren", beklagt Felipe Fuentelsaz vom WWF Spanien. Der Rocina ist Doñanas wichtigster Zufluss. Weil er früher bis in den Spätsommer Wasser führte, wird er die "Mutter der Marsch" genannt. In den vergangenen Jahren versiegte der Fluss aber bereits im Juni. Vor allem für den Anbau von Früherdbeeren, die auch in Deutschland ab Februar in Supermärkten zu finden sind, wird dem Fluss das Wasser abgegraben. Als Gegenmaßnahme haben Fuentelsaz und seine Kollegen ein Pilotprojekt gestartet: Sie arbeiten mit einigen Erdbeerfarmern zusammen und zeigen diesen, wie man mit einem Viertel weniger Wasser und etwas Technik - Tröpfchenberieselung, Feuchtigkeitssensoren im Boden und Computern zur automatischen Steuerung des Ganzen - saftige Erdbeeren bekommt. Das rechnet sich, wie auch der Erdbeerfarmer José Caceres bestätigt. Damit noch mehr Farmer einsteigen, kümmert sich der WWF auch um die Vermarktung: Mit einem Panda-Logo auf dem Schälchen werden die "Weniger-Wasser-Erdbeeren" unter anderem in Deutschland angeboten - zu leicht erhöhten Preisen, versteht sich.

Wie sehr die intensive Landwirtschaft dem Fluss zusetzt, ist im Frühjahr bei "La Rocina" für Besucher nicht erkennbar. Hinter dem Gebäude des Informationszentrums führen Wanderwege durch den Pinienwald entlang des Flusses, der hier mit seinen zahlreichen flachen Buchten und Inseln kaum als solcher zu erkennen ist. Unterstände am Ufer laden zur Rast ein. Mit etwas Glück können dort Ibisse, Krickenten und Graugänse ohne Fernglas betrachtet werden. Etwas flussabwärts liegt El Rocio. Unbefestigte Straßen und weite sandige Plätze, die eingerahmt werden von zweigeschossigen weißen Häusern mit Geländern zum Festbinden von Pferden: El Rocio wirkt wie der perfekte Ort für einen Westernfilm - kulissenhaft und tot. Denn hier wohnen kaum 1000 Menschen. Die meisten Häuser, die christlichen Bruderschaften gehören, stehen 50 Wochen im Jahr leer. Nur zu Pfingsten ist alles anders: Dann verlässt die Heilige Jungfrau von El Rocío - eine goldene Marienfigur - bei einer Prozession die Wallfahrtskirche, und der Ort platzt aus allen Nähten: Eine Million Pilger kommen, viele hoch zu Ross.

Nach der Pfingstsause wird es aber wieder still. Am Ufer des Rocina haben die Vogelfans dann genug Platz, die raumgreifenden Beine ihrer Stative auszubreiten. Die tierischen Stars von Doñana sind in El Acebuche zu finden - und es sind nicht die Weißstörche, die sich auf dem Dach des Besucherzentrums eingerichtet haben. "Wir arbeiten daran, dass der Iberische Luchs zu einer gefährdeten Art wird", erklärt Astrid Vargas, die für das Nachzuchtprogramm verantwortliche Biologin. "Momentan wird die Art als ,stark gefährdet' eingestuft." Seit dem Aussterben des Säbelzahntigers vor gut 10 000 Jahren könnte der Pardelluchs, wie die spanischen Pinselohren auch genannt werden, die erste Katzenart sein, die für immer verschwindet. Laut Schätzungen gibt es nur noch maximal 45 geschlechtsreife wilde Luchsweibchen in Spanien und Portugal.

Die Anlage für das Nachzuchtprogramm liegt abseits im Buschland und ist mit mehreren Reihen blickdichter Zäune gesichert. Die Luchse sollen möglichst wenig Kontakt zu Menschen bekommen, damit sie nach der Auswilderung nicht schnurrend ankommen, wenn sie der Hunger quält. Seit 2005 kamen 24 Junge zur Welt. Das Zuchtprogramm sei aber "definitiv nicht der Weg, Luchse vor dem Aussterben zu bewahren", sagt die Biologin. Es sei nur ein Puzzleteil eines größeren Plans: "Unsere Aufmerksamkeit sollte dem Schutz ihres Lebensraums gelten." Womit die Besucher von Doñana wieder bei den Erdbeeren wären. Für Plantagen in der Umgebung wurden Wälder illegal gerodet. Die großen Flächen aus sterilen Plastikfolien-Gewächshäusern zerschneiden die Wanderrouten vieler Tiere. Doñana wird so zu einer "Insel" auf dem Land. Die Folge ist, dass Tiere wie Otter und Luchs genetisch verarmen, weil die notwendige Blutauffrischung durch Neuankömmlinge unterbleibt. Das mindert langfristig ihre Überlebenschancen. "Wir wollen die Zerstückelung der Landschaft rückgängig und die Flussläufe wieder zu Wanderkorridoren machen", erläutert Felipe Fuentelsaz. "Das bedeutet auch, dass einige Farmen verlegt werden müssen." Das sei nicht viel und auch "keine verrückte Idee", pflichtet ihm sein Kollege Charlie Avis bei.

Bis es so weit ist, wird aber noch viel Wasser am Rocina abgezweigt werden. Denn der WWF darf auf Unterstützung der Regionalregierung nicht unbedingt bauen. Diese hat gerade ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof verloren, das die Naturschützer angestrengt hatten. Dabei ging es um die Schließung einer 2004 illegal asphaltierten alten Forststraße inmitten des Schutzgebiets. Neben anderen Tieren wurden dort auch schon zwei Luchse überfahren. Die Straße muss nun zurückgebaut werden - doch nach WWF-Einschätzung ist es noch unklar, ob und wann es tatsächlich dazu kommen wird.