Ein rustikales Refugium mit modernem Komfort und nette Leute - mehr braucht man nicht für einen wunderbaren Urlaub am Wasser, meint Ekkehart Eichler.

"Hi, ich bin Ray und 100 Prozent Irish", stellt sich ein merkwürdiges Wesen vor, kaum dass wir ausgestiegen sind. Graue Haarbüschel wuseln ihm wirr um den Kopf, Schlappen und Shorts an kalkweißen Stockbeinen kontrastieren enorm mit einer knallroten Wetterjacke, die bei dem böigen Wind aber viel besser passt. Der skurrile Typ entpuppt sich als Nachbar, der keine zehn Meter entfernt wohnt, "am schönsten Platz der Welt, ihr werdet schon sehen". Und ganz und gar übergangslos lädt er uns ein für später "auf ein, zwei Flaschen Roten". Den schüchternen Einwand, Wein weiche aber deutlich ab vom hiesigen Klischee, kontert Ray souverän. Egal, was man trinke, Hauptsache, man tue es. Am besten in Gesellschaft und mit jeder Menge Craic: Darunter verstehe man im gälischen Westen Irlands gute Unterhaltung, Spaß und Witz. Wir ahnen: Mit Ray könnte es mehr als genug davon geben.

Fünf Minuten später biegt das nächste Frohgemut ums Eck: Majella O'Donnell. Hier im Süden der Region Connemara, eine Autostunde westlich von Galway und fast vis-à-vis der berühmten Aran Islands, vermietet sie zwei Reetdach-Cottages an Feriengäste, im kleineren werden wir eine Woche zu Gast sein. Eines von 350 Häusern im Katalog von Shamrock Irland Reisen, das Chefin Nadja König aus Hamburg persönlich getestet und für gut befunden hat. Mit ihrem Familienunternehmen setzt die Irland-Spezialistin seit vielen Jahren auf jede Art von individuellem und persönlichem Urlaub auf der Grünen Insel - nur wer diese und andere Kriterien erfüllt, kommt als Partner für König in Frage.

"Das Haus hat fast 200 Jahre auf dem Buckel", plaudert Majella, während sie ein Torffeuer im Kamin entzündet, "und bis weit nach dem letzten Weltkrieg wohnten hier noch Menschen und Vieh unter einem Dach." Als sie und ihr Mann es vor acht Jahren kauften, standen nur noch die Wände, "aber wir fanden den Platz ganz himmlisch und wie geschaffen für erholsame Ferien".

Also packten sie an, ließen Altes beim Alten, erneuerten Dächer, Böden, Türen und Fenster, bauten Kamin, Heizung, Küche und Dusche ein und schufen so ein rustikales Refugium mit modernem Komfort. Die originalen Wände wurden lediglich frisch gekalkt und zeigen sich als faszinierende Landschaften mit Beulen und Kratern, mit Furunkeln und Narben, mit Riefen und Rissen. Der frühere Stall wurde zum Wohnraum umfunktioniert mit Couch und Kaminwand auf der einen, Esstisch und Geschirrschrank auf der anderen Seite. In den Nischen der vier schmalen Fenster stecken maritime Accessoires, an der Stirnseite hängt ein Fischernetz von den Deckenbalken. Auf dem Kamin stehen vergilbte Fotografien, darüber schummern schmiedeeiserne Laternen. Eine schmale Tür führt zu den beiden kleinen Schlafzimmern. Die geräumige Küche und das winzige Bad befinden sich direkt hinter dem Eingang.

Das Haus liegt ganze drei Meter vom Atlantik entfernt und wird durch einen dichten Baumbestand im Rücken perfekt vor dem Nordwestwind geschützt. 30 Meter vorgelagert trotzt eine uralte meterdicke Mauer mit flechtenbewachsenen Steinen stoisch dem ewigen Wechsel der Gezeiten - bei Ebbe ragt sie anderthalb Meter aus einem Meer von gelbbraunem Tang, bei Flut verschwindet sie fast, bei Springflut sogar ganz im Wasser. Eine ideale Outdoor-Spielwiese für die kleinen Jungs der Urlauberfamilie aus dem Nachbar-Cottage. "Fangt uns einen schönen dicken Fisch zum Mittag", scherzt Papa Rory, wenn John und Sean bei voller Wanne mit ihren Keschern anrücken und eifrig im klaren Wasser herumrühren. Bei Ebbe wiederum gehen sie regelmäßig und erfolgreich auf Jagd nach Krabben und Muscheln. Oder Seehunde gucken, die sich manchmal auf den Felsen in der Nähe sonnen, "das ist für meine Kids das Größte und sogar noch schöner als der Korallenstrand im benachbarten Carraroe". Rory wird wiederkommen nächstes Jahr, soviel ist sicher. "Die drei Häuser von Majella und mir wurden seinerzeit hier gebaut, weil dies früher mal ein enorm wichtiger Ankerplatz war", erzählt Nachbar Ray, als wir in der Abendsonne auf der Piermauer die Beine baumeln lassen. "Hier nämlich kamen die berühmten Galway-Hooker mit ihren roten Segeln vorbei, die Torf vom Festland auf die Aran-Islands transportierten und auf dem Rückweg Fisch und allerlei illegale Getränke mitbrachten." Das erklärt zugleich, warum Gebäude Nummer vier im Bunde "The Hooker" heißt - ein nur 20 Meter entfernter Pub, den es auch schon konstant seit 1845 gibt.

1893 allerdings war es mit diesem schwungvollen Seehandel leider vorbei, als vier einsame Inseln in der Kilkieran-Bay durch Dämme mit dem Festland verbunden wurden und Brücken die Passage größerer Schiffe verhinderten. Seither rollen Menschen wie Waren über teils immer noch einspurige Dammstraßen vom Festland bis ans Ende der Welt ins zwölf Kilometer entfernte Lettermullen.

Auf diesem Weg ist Eanach Mheáin der erste und bei Weitem kleinste Inselzwerg. So winzig, dass es neben unserem Wohnensemble gerade mal Platz gibt für zwei Straßen mit ein paar Dutzend Häusern, einen alten Friedhof mit zwei Dutzend Gräbern samt Keltenkreuzen sowie ein fabelhaft gelegenes Neun-Loch-Golfareal. Der nächste Supermarkt liegt in Sichtweite auf dem Festland, der auf Lettermore aber auch nur fünf Autominuten entfernt. Hier treffen wir mit dem Kaufmann wiederum einen überaus freundlichen und kontaktfreudigen Iren, der uns im Handumdrehen in ein längeres Gespräch verstrickt - über Fußball und Bier, über Irland und die EU, über Gott und die Welt.

Ein neuer Abend, die alte Runde. Wieder sitzen wir an der Schnittstelle zwischen Wasser und Land und sehen der Flut entgegen. Erst leckt sie vorsichtig am rauen Gestein, dann frisst sie lautlos Felsen um Felsen, bis sie endlich gesättigt innehält, einen Hauch von unseren Füßen entfernt.

Wir schauen den zwei Reiherpärchen zu, die hinterm Haus nisten und heute eine synchrone Flugshow in jeweils streng monogamer Zweisamkeit vollführen. "Das Meer, die Faszination der Gezeiten und diese unglaubliche Stille, das hat mich von Anfang an an diesem Platz begeistert", schwärmt Ray, der unter der Woche Psychologie an der Uni Dublin lehrt und immer donnerstags zurückkommt, um hier kluge Bücher zu schreiben. Nirgendwo sonst jedenfalls fühle er sich so wohl und inspiriert wie an diesem einmaligen Fleck. "Was er stets vergisst zu erwähnen", lacht Majella, "meine Gäste braucht er auch immer ein bisschen zum Glücklichsein."