Le Mans ist wieder Schauplatz des berühmten 24-Stunden-Rennens. Die Region Sarthe hat aber noch viel mehr zu bieten - vor allem kulinarisch.

Ein wenig fahrig und doch fast liebevoll zerpflückt Eric Bucquet dal Molin eine Rose und streut die roten Blätter über den Holztisch. "Was soll ich erzählen?", fragt der 50-Jährige, der mit seinen tiefen Stirnfalten, dem Bartschatten und der Aura unwirscher Einsamkeit an den Schauspieler Jean Reno erinnert. Und erzählt dann sehr viel: Wie er im Sommer täglich die Blüten seiner 500 Rosenstöcke schneidet, sie lagenweise mit Zucker in Eimer schichtet, nach fünf Jahren den Inhalt in Edelstahltanks mit Alkohol mischt, zwei Monate wartet, filtriert, umlagert und nach neun Monaten seinen berühmten Rosenlikör endlich auf Flaschen ziehen kann. Blüten von 2002 verarbeitet er in diesen Tagen zu rund 1400 Liter Likör, der süße Schwüle und Schärfe zugleich auf der Zunge entfaltet: Ein Geschmack nach Mandel, Ingwer, Zitronat, Gras ...

Eigenwillige Köpfe sind in der Sarthe, dem Gebiet um Le Mans, in der Region Loiretal-Atlantik südwestlich von Paris zu finden. Menschen wie Jean Claude Evrard etwa. Der Bäcker hat in diesem Jahr den Titel "Champion de France" in Sachen Brioche errungen. "Gutes Mehl, Butter aus der Normandie und viele Eier. Dann", sagt der Mann mit der ausdrucksvollen Mimik eines Charles Aznavour, "wird der Teig so weich wie ein Busen." Und drückt fast zärtlich seinen aufgeplusterten Weizenlaib.

Seine Heimat, das Städtchen Le Mans mit rund 140 000 Einwohnern, ist meist nur als Kulisse des berühmten 24-Stunden-Rennens bekannt. Doch es bietet viel mehr: Wer vermutet dort schon eine der schönsten Kathedralen Frankreichs, die besterhaltene römische Stadtmauer Europas, reich verziert mit Rauten und Kreisen, ein Ensemble großartiger Fachwerkhäuser aus dem 15. Jahrhundert und tolle Schlösser in der Nähe?

Ebenfalls eine Touristenattraktion ist der Biogarten, den der Pariser Drei-Sterne-Koch Alain Passard im nahen Fillé-sur-Sarthe vor fünf Jahren auf einem alten Landgut hat anlegen lassen. Eben laden zwei Frauen die tägliche Lieferung für das "L'Arpège" in den Renault: Kistenweise Staudensellerie, Paprika und Mangold. Weiße, gelbe, rosa und rot-weiß geringelte Rote Bete. Büschel von Salbei, Pfefferminze und Koriander. Sylvain Picard, der Gärtner, kontrolliert die Ladung: Wo bleiben die Rettiche, die das Restaurant angefordert hat? Und was ist mit den fünf Gläsern Honig für die berühmten Mille-feuilles? Der sonnenverbrannte 33-Jährige mit den warmen Augen ist gelernter Landschaftsgestalter und hat die Aufgabe seines Lebens gefunden: Vier Hektar Biogarten, auf denen er pro Jahr 20 Tonnen Gemüse produziert. Allein 13 Spargelsorten weist der Garten auf, unter Folie reifen neben armenischen Gurken und Zitronella aus Madagaskar 60 Varianten von Tomaten heran. Für schwere Arbeiten spannt Sylvain einen Kaltblütler vor den Pflug, er säht nach dem Mondkalender, gespritzt wird überhaupt nicht. Und was passiert, wenn ein Gemüse ganz ausfällt? "Das kommt vor", gibt der Gärtner gelassen zu. "Dieses Jahr war ein schlechtes Kartoffeljahr. Deshalb gibt es im "L'Arpège" nur selten Kartoffeln. Steinbutt steht ja auch nicht dauernd zur Verfügung."

Es sind Menschen wie Sylvain, die eine kulinarische Reise durch das flache Land der Sarthe so interessant machen. Ob ihre "Seele" in den Produkten steckt, wie es manchmal heißt, sei dahingestellt. Auf jeden Fall steht handwerkliches Können dahinter, der dauernde Zweifel am Erreichten. Und eine kleine Besessenheit, alles noch eine Spur perfekter hinzukriegen.

Da sind die köstlichen Pralinés eines Jaques Bellanger. In seiner Chocolaterie Béline basteln Arbeiter Kuvertüre aus Kuba und Caracas mit selbst eingelegten Kirschen, Birnenschnaps und Meersalz zu süßen Sünden namens "Schubert", "Malgache" oder "Camille" zusammen. Da ist die geschmorte Schulter vom Bioschwein, die die rührige Nadége Boulai in ihrem Bauernhof den Übernachtungsgästen vorsetzt. Da gibt es das Putenrillette und die Hasenterrine, die die Bouins in ihrem Hofladen in Gläser füllen - und die köstliche Entenleber. Die freilich schmeckt nur so lange, bis man mit angesehen hat, wie der freundliche Pierre Bouin einer eingesperrten Ente gleichmütig den Metalltrichter in den Schlund schiebt und Mais hinuntergleiten lässt. Das war es dann mit Entenleber - au revoir, délicieux Foie Gras!

In La-Chartre-sur-le-Loir hat sich Ludovic Gigou dem Wein verschrieben. Das Städtchen am Loir, dem kleinen Bruder der Loire, kommt geradezu bilderbuch-französisch daher. Bäcker, Schlachter und Friseur gruppieren sich um die dreieckige Place de la Republique, morgens um acht gehen die hohen Lamellenläden auf und bei "Chez Miguel" nehmen Maurer ihren ersten Kaffee. Bis 1982 führte das Rennen von Le Mans durch den Ort, und in der fotogeschmückten Bar des "Hotel France" erzählt so mancher gern, wie er 1969 geholfen hat, Jackie Ickx die Reifen zu wechseln.

Monsieur Gigou, mit grauem Pferdeschwanz und dem Gesicht des jungen Mimen Jean Marais, passt geradezu ideal hierher. 1974 kaufte er zwölf Hektar Weinberge samt dem dazugehörigen Tuffkeller und begann als Autodidakt zu keltern. Jasnière heißt der Weiße, von dem er es in guten Jahren auf 35 000 Flaschen bringt: Ein blassgrüner Wein mit mineralischem Grundton. Den Coteaux du Loir gibt es als Rosé, mit kräftigen Zitronenaromen und einer leichten Pfeffernote, während der Rote von 2006 aus Pineau d'Aunis noch recht ungestüm und rau auftritt. Charaktervolle, ungewöhnliche Weine sind es - nicht jedermann sofort gefällig.

Zu dem Essen, das Xavier Seuffert in der "Auberge de Matfeux" auf den Tisch bringt, würden sie passen. Ein Koch ganz in Schwarz, das ist ungewöhnlich genug. Vor 15 Jahren übernahm der 44-Jährige das Restaurant von seinem Vater. Eine blaue Decke, zimmerhohe Fenster, rot gemusterter Teppichboden - und es passt doch zusammen. Ohnehin rückt alles Ambiente in den Hintergrund, sobald das feine Essen auf den Tisch kommt: Cappuccino von Champignons mit pochierten Austern - und die nicht zu knapp bemessen. Gaumenschmeichelnde Ravioli, mit Langustinen gefüllt. Kalbsnierchen mit Kräutern an weißen Bohnen mit Kürbispüree - fünf tolle Gänge für 38 Euro.

Den ganzen Nachmittag möchte man am Tisch residieren und sich im Viertelstundentakt verzücken lassen. Aber die Kellner haben bereits ihr feierliches Schwarz-Weiß mit Jeans und T-Shirt getauscht und rücken lachend auf den Mofas ab. Der Chef nimmt sich noch einen Moment Zeit. "Gute Produkte, und die nicht allzusehr verändert" seien seine Philosophie, erklärt er. Nun ja, das behaupten sie alle. Hier in der Sarthe aber halten sich einige endlich mal daran.