Christoph Schreiner hat sich und seiner Familie ein ungewöhnliches Abenteuer ermöglicht. Ein Jahr lang will er mit seiner Frau Elke, Tochter Marie (6) und Sohn Julius (4) um die Welt reisen.

Als wir vor sieben Monaten in einem Hotel in Taschkent aufs Bett fielen, während draußen der Mittag in der Sonne zerkochte, taten wir es mit einem mulmigen Gefühl. Als Julius ein paar Tage später krank wurde und wir einen Arzt rufen mussten - in Buchara, wo man zwischen 12 und 17 Uhr meist keinen Schritt vor die Tür setzen konnte -, fürchteten wir, uns und vor allem den Kindern mit dem Jahr vielleicht zu viel zugemutet zu haben. Schnell aber haben sich solche Sorgen verflüchtigt. Bis heute.

Zurückblickend auf all die Wochen in Namibia, Iran, Syrien, Jordanien, Oman, Laos und nun in Vietnam, wo wir immer Ausschau nach (den so gut wie immer kläglich ausgestatteten) Spielplätzen oder Parkanlagen in tosenden Städten hielten. Städten am Rande des Verkehrskollaps, in denen Kinder-Kompromisse immer dringlicher als auf dem Land sind: "Ihr geht mit uns zwei Stunden durch die Stadt - und wir mit euch dann schaukeln."

Dass sich eine solche Weltreise - von den Visa über die Flüge bis hin zu Hotels und der Wahl der Routen und öffentlichen Verkehrsmittel vor Ort - problemlos selbst organisieren lässt, ist eine unserer Grunderfahrungen. Ob in Iran, Syrien oder Vietnam: Die Züge gehen pünktlich ab. Auch auf die Busnetze ist Verlass, wenngleich Fahrten manchmal abenteuerlicher sind, als man das aus Europa kennt. In Iran brach unserem Linienbus unweit des Kaspischen Meeres eine Radaufhängung. Der Fahrer behalf sich für das letzte Stück mit Draht. Es ging gut. Überall war es unnötig, außer der immer im Internet gebuchten ersten Nacht Aufenthalte vorab zu planen. Vor Ort ist das nicht nur bequemer, es lässt einem auch alle Freiheiten. Das Einzige, was wir beim nächsten Mal vielleicht anders machten, wären die Flüge. Nachdem klar war, dass unsere Jahresroute - abgestimmt auf die saisonal jeweils erheblich schwankenden Klima- und Gesundheitsbedingungen - in kein gängiges Weltreisepaket zu pressen war, buchten wir die Flüge vorab in einzelnen Paketen. Gesamtkosten: etwa 20 000 Euro (die Kinder zahlen je 75 Prozent). Vorteil: Man brauchte sich nicht in jedem Land um jeden einzelnen Flug zu kümmern, und vor allem hatten wir ein Reisegerüst. Nachteil war, dass es so teurer wurde, als vor Ort regionale Airlines zu buchen.

Ein Motiv für diese Reise war, die Kinder mit anderen Kulturen und Lebenskonzepten vertraut zu machen. Die Frage war nur, ob sie das unter solchen Bedingungen wollten - ohne ihre Freunde, ohne eigenes Zimmer, ohne feste Tagesstrukturen, ohne ihre Muttersprache. Dadurch, dass wir uns in jedem Land auf ihren Reiserhythmus einließen, ging und geht es erstaunlich gut. Das Wichtigste für sie sind Orte, an denen wir ein paar Tage bleiben und sie sich einrichten können. Buchstäblich: Sie packen dann ihre kleinen Rucksäcke aus und bauen sich im Hotelzimmer ihre Ecke. Mit Ehrenplätzen für Maries Puppe und Julius' Auto.

Andererseits: Man kann mit zwei Kindern nicht ein Jahr lang immer nur in einem einzigen Raum verbringen. In Südnamibia bewohnten wir am Fish River Canyon eine Weile ein kleines Steinhaus; im Jordantal, im nordiranischen Ramsar und in Salalah (der Weihrauchstadt Omans) mieteten wir uns jeweils eine Woche in kleinen Privatwohnungen mit eigener Küche ein oder logierten drei, vier Tage in einem Wüstenzelt im südjordanischen Wadi Rum. Ein wirkliches Zuhause in der Fremde haben wir derzeit in Hanoi - der einzigen Station in diesem Jahr, wo wir zwei Monate bleiben und Marie und Julius in einen Internationalen Kindergarten gehen.

Dass sie zu zweit sind, erleichtert vieles. Und verhindert, dass sie nur mit Erwachsenen zu tun haben. Uns haben die Kinder vor Ort Türen geöffnet. Ohne sie wären Kontakte schwieriger geworden - und es zu mancher Begegnung nie gekommen. Eine junge Familie, allein unterwegs, das fiel auf. Und interessierte. Wobei es für die Kinder auch etwas Lästiges hatte, weil sie - schon ihrer blonden Haare wegen - zur Attraktion gerieten, begrapscht und hundertfach abgelichtet wurden. Im vom Tourismus isolierten Iran mussten wir sie manchmal fast wie Bodyguards schützen. Ohne die Kinder wäre man uns reservierter begegnet, aber nicht weniger hilfsbereit.

Wir entschieden uns in der einjährigen Planungsphase, im Schnitt überall einen Monat zu verbringen und immer am Stück in einem Kulturkreis zu bleiben. So vielleicht mit mehr innerem Nachhall. Weil Reisen, so es kein trophäengleiches Abhaken von Routen und Sehenswürdigkeiten ist, Muße, Versenkung, Langsamkeit erfordert. Gerade im arabischen Raum. Man findet dort Landstriche, ja ganze Regionen, die noch in touristischer Unschuld leben - in Iran, Jordanien, Oman. Gegenden, wo niemand auf schnelle Geschäfte aus ist.

Dass weniger zu sehen tiefer blicken lässt, bewahrheitet sich aufs Neue und geht Hand in Hand mit den Sesshaftigkeitswünschen der Kinder. Vielleicht ging und geht deshalb alles leichter als anfangs gedacht. Natürlich hat man auch nach sieben Monaten nicht das Gefühl, diese noch stark religiös ausgerichteten Kulturen und ihre zugleich längst auch von westlichen Konsumwelten geprägten Lebensentwürfe verstanden zu haben. Und doch begreifen wir ihre Widersprüche besser. Den Wahrheiten hinter den Fassaden am nächsten kommt man in Gesprächen mit Englischsprachlern, die ihre Heimat mit kritischer Distanz sehen.

Dass der schrankenlose Individualismus westlicher Prägung hier längst nicht so bestimmend ist, dürfte die arabische und asiatische Kultur stärker als alles andere von unserer unterscheiden. Weil dies so ist, kommt traditionellen Familienstrukturen noch enorme Bedeutung zu. Dagegen empfindet die jüngere Generation, die im arabischen und asiatischen Raum oft fast die Hälfte der Bevölkerung stellt, das häusliche Zusammenleben immer öfter als unzeitgemäße Form der Reglementierung - im Zeichen patriarchalischer Strukturen und der damit zementierten Ungleichheit von Mann und Frau. Eng verbunden mit der tragenden Rolle der Familienbande ist der den Alten entgegengebrachte Respekt. An jeder Straßenecke wird dies sichtbar - in Amman sind sie genauso wie in Hanoi oder Samarkand aufgrund ihrer Lebenserfahrung geachtet, integriert.

Sucht man nach roten Fäden in diesen Monaten, so ist einer der Gemeinschaftssinn. In allen von uns bereisten Ländern scheint er ausgeprägter als in Deutschland, wenngleich auch in Jordanien oder Laos das soziale Gefüge aufgrund eines forcierten Klassenbewusstseins zu erodieren droht und sich die staatlichen Sicherungssysteme dort nicht anders als in Namibia oder Vietnam als völlig unzureichend erweisen. Auch jenes Aggressionspotenzial, das unsere Kultur heute prägt, fehlt. Dass man die islamische Kultur aufgrund medialer Zerrbilder in erster Linie mit Terror und Fanatismus verbindet, hat mit der von uns erlebten Lebenswirklichkeit wenig bis nichts gemein. Bis heute leben dort unterschiedliche Kulturen und Religionsgemeinschaften friedlich vereint. Besonders in Syrien, wo die Christin im Minirock neben der verschleierten Muslimin spaziert.

Schon jetzt ist klar, dass wir auch in viereinhalb Monaten, wenn es wieder zurück nach Deutschland geht, des Reisens nicht müde sein werden. Dadurch, dass wir in Hanoi ein Zuhause auf Zeit haben, gewinnt dies Jahr gerade eine neue Qualität. Wenn es bald weiter nach Australien geht, wo wir mit dem Wohnmobil und damit wieder auf neue Art unterwegs sein werden, so geschieht dies nach dem achtwöchigen Vietnamstopp wieder mit einer großen Dosis Lust am Unterwegssein.