Auf der Schiffstour geht es zunächst vorbei an Städten wie Linz, Wien, Bratislava und Budapest. Dann übernimmt die Natur die Regie: Biotope, Bäume und unzugängliche Auenlandschaften säumen den Uferrand.

Das abendlich erleuchtete Budapest betrachten alle Passagiere mit "Ah!" und "Oh!" und Kameras in den Händen. Nach dem Ablegen der "A-Rosa Mia" zur Panoramafahrt im Stadtzentrum ist das Oberdeck natürlich voll. Was ist grandioser, Budas Hügelkamm oder die Pester Gründerzeithäuserpracht? Darüber lässt sich viel reden, doch nur so lange, bis das Schiff aus der glitzernden Metropole heraus mit 24 km/h und stolzer Bugwelle ins Dunkel der Pusztaebene gleitet. Die Stimmung ändert sich schlagartig. "Hinter Budapest verlassen wir Mitteleuropa, wir sind nun auf dem Balkan", sagt der Hotelmanager in seiner strahlend weißen Paradeuniform, der über die Unterkunftsdecks wacht. Der Osten ist fahler, die Wahrnehmung von Wirklichkeit verschiebt sich.

Am Morgen sieht die Donau, vom winzigen französischen Balkon vor der Kabine aus betrachtet, breiter und trüber aus. Dickbäuchige Männer auf Kähnen halten Ruten ins Wasser und reagieren zögerlich auf Winken. Ostmitteleuropa, wie die Region politisch korrekt genannt wird, zeigt sich zugeschnürt, fast abweisend, nur junge Leute und Kinder schauen neugierig auf unseren blitzblanken schwimmenden Untersatz mit Rose und knallrotem Kussmund am Bug. In der Donaumonarchie, als Wien 56 Millionen Menschen unterschiedlicher Zunge regierte, reiste man einfach in den Balkan. Heute geht das nicht ohne Grenzkontrollen. Bei der Ausreise nach Serbien besteht eine ungarische Grenzbeamtin in straff sitzender Uniform auf Gesichtskontrolle der mehr als 100 Passagiere. Alle müssen an ihr vorbei, die Passbilder werden mit der Realität abgeglichen. Streng nickt die Dame.

Am serbischen Ufer werden alle Pässe im Pilotenkoffer von der Purserin in ein Kabuff zum Abstempeln gebracht, das Prozedere dauert zweieinhalb Stunden und hat den Vorteil, dass die Crew, ständig Donauab- und aufwärts unterwegs, mit Passagieren ins Gespräch kommt. Für Letztere ist die Region, die mit der Grenzpassage beginnt, exotischer als die Malediven, während Reiseprofis entschieden die Ansicht vertreten: alles halb so wild, hier wird gern ausschweifend palavert. Und dass im Pilotenkoffer zwischen EU-Dokumenten eine Flaschenpost mit bernsteinfarbenem Inhalt leuchtet, kommt gut an.

Das südungarische Pécs, die nördlichste osmanische Stadt mit wuchtiger Moschee auf dem Hauptplatz, Novi Grad und das quirlige Belgrad in Serbien, dann die lange Strecke entlang der Grenze zwischen Rumänien und Bulgarien, fast bis ans Schwarze Meer von der Donau markiert - auf Landgängen werden Kulturen wie im Zeitraffer vorgeführt. Das bulgarische Ruse war die Heimatstadt von Elias Canetti, Literaturnobelpreisträger. Wer seine Bücher kennt, erkennt alles wieder. Nur multikulturell ist die charmante Stadt nicht mehr. "An einem Tag konnte man sieben oder acht Sprachen hören", schrieb Canetti. Aber auch: "Wenn jemand die Donau hinauffuhr, sagte man, er fährt nach Europa." In der rumänischen Walachei gibt es verwunschene Bergkurorte, Thermen der Römerzeit, Zigeunerromantik und Bauernfolklore. Man solle den Schnaps probieren, empfahl ein Steward, von dessen Zubereitung verstünde man hier etwas. Und in Bukarest, nur 70 Kilometer vom Fluss entfernt, hat Diktator Ceaucescu auf einem Hügel einen Palast hinterlassen. Dem in Stein gegossenen Größenwahn fiel ein Teil der Altstadt zum Opfer, die einmal als "Paris des Ostens" galt.

Überall waren Türken und Habsburger, die wahren Herrscher des Balkans. Beide haben Jahrhunderte mit der Knute regiert, aber auch den Fortschritt gebracht. Die Osmanen organisierten Handel und Handwerk, die Österreicher die Moderne mit Gleisverkehr, Straßenbeleuchtung und Industrieanlagen. Die Hinterlassenschaften der Habsburger sind eindrucksvoll, Kirchen, Fabriken, Bahnhöfe, Rathäuser, Brücken und Postgebäude, wie gebaut für die Ewigkeit. Die Überbleibsel des Realsozialismus befinden sich überwiegend in bröckelnder Auflösung, auch wenn sie mit Tonnen an Beton hingeklotzt wurden. Die Donau-Tour ist eine Geschichtsreise: entlang der Duna, Dunav, Dunarea und Dunaj zeigt sich, dass der Fluss unterschiedliche Kulturen an seine Ufer lockte. Er wird zum Strom, bis zu zwei Kilometer breit von einem Saum zum anderen, und sein Wasser wird wilder, schneller, strudelnder, mächtiger.

Der zweitgrößte (nach der Wolga), aber längste Fluss Europas, von Donaueschingen bis zur Mündung zwischen Constantia und Odessa am Schwarzen Meer 2888 Kilometer, gespeist aus Hunderten Nebenflüssen und eskortiert von zehn Staatenanrainern (Deutschland, Österreich, Slowakei, Ungarn, Kroatien, Serbien, Bulgarien, Rumänien, Moldawien und Ukraine), ist ein Mäander. Er legt sich elegant in Kurven, gabelt sich um dicht bewaldete Berginseln und touchiert elf Unesco-geschützte Natur- und Kulturdenkmäler. Rund 100 Millionen Menschen wohnen am Fluss, der als Lebensader den Westen und Osten des Kontinents verbindet.

Nach den Galavorstellungen von Passau, Linz, Wien, Bratislava und Budapest übernimmt die Natur die Regie, vital und strotzend. Jahrhundertealter, hoher Baumbestand, von fern sehen die hölzernen Riesen aus, als badeten sie im Wasser, Äste schlappen in der Strömung. Über lange Strecken sind grüne Verfilzungen zu Urwäldern gewuchert. Unzugängliche Auenlandschaften schieben sich ins Bild, versumpft und mit verstepptem Dickicht, ein Paradies für Weiden, Erlen und Pappeln. Dahinter erstrecken sich Labyrinthe aus verschlungenen Seitenarmen und toten Nebengewässern, Biotope für Amphibien und Insekten. 260 Vogelarten sind an der Donau in ihrer dünn besiedelten südöstlichen Randzone beringt worden, darunter der seltene Eisvogel. Abgestorbene Baumkolonien modern in der Strömung, optimale Rückzugsgebiete für Fischreiher, deren schlanke Hälse zucken und die neugierig und stets fluchtbereit herüberäugen, als unser Schiff vorbeitreibt.

Männliche Passagiere mit Fernglas bekommen viel ins Visier, weibliche postieren sich lieber auf Sonnendeckliegen, cremen ihre Dekolletés ein und blicken hin und wieder über die Brüstung, selbst in der aufregenden, 130 Kilometer langen Kataraktstrecke nach Einfahrt ins westliche Rumänien. Dort wird der Fluss, inzwischen gewaltig angeschwollen, durch eine Schlucht aus schartigem Felsgestein gezwungen, das Ambiente ist plötzlich alpenländisch und etwas kühler. Dramatisch ist der Durchbruch am Eisernen Tor, einer Schleuse, danach ergießt sich der Strom bräsig in die reizvollen Weiten der südlichen Walachei. Die Donauränder sind bilderbuchgrün, besprenkelt mit Bauernkaten und hässlichen Investitionsruinen. Autos und Fahrräder auf den Uferstraßen sind langsam unterwegs, Bauern transportieren ihre Lasten auf Eseln, die runden Türme der orthodoxen Kirchen glänzen, und die Wellen unseres Schiffes versetzen ganze Seerosenplantagen ins Schaukeln.

An Flusstagen - ohne Landgänge - rahmen drei ausgiebige Mahlzeiten, zusätzlich Frühschoppen und Kaffeezeit, den Tag ein. Alle stöhnen, langen aber munter zu. Der slowakische Kapitän erzählt in der Lounge aus seinem Leben, das lang ist wie ein Fluss. Der Rostocker Maschineningenieur plaudert technische Details aus und streut Anekdoten ein. Der Guest Relations Manager gibt eine Udo-Jürgens-Show und bringt Damen aller Generationen zum Schmachten.

Die Mitarbeiter im Bauch des 124 Meter langen und über 14 Meter breiten Schiffs, Baujahr 2003, bekommen wir kaum zu sehen. Wir hören von zwei Chinesen, die rund um die Uhr Wäschetrommeln rotieren lassen, von Ungarn, Slowaken, Rumänen, die sich um die Betankung mit Frischwasser, Technik und Sauberkeit kümmern. Und üppige Büfetts kreieren.

Das Schöne auf dem Fluss: Man sitzt in seiner Kabine am geöffneten Fenster, Wasser gluckst nur eine Armlänge entfernt. Ein Hauch des Maritimen ist da, aber auch eine sanfte Erregung beim Anblick dessen, was vorüberzieht, ob von Menschenhand gemacht oder den Kräften der Natur. Man versäumt nichts und ist trotzdem nie in Eile. "Man reist ja nicht, um anzukommen, sondern um zu reisen." Der Goethe-Satz könnte Slogan der Donau-Kreuzschifffahrt sein. Selbst der Schlaf passt sich dem Rhythmus des Stroms an, die Blutdruckwerte sinken, die Zufriedenheit steigt, Zeit wird relativ.

Etwa sechs Tage braucht ein Tropfen aus der Donauquelle, um im Schwarzen Meer anzukommen. Das Schiff braucht länger. Niemand an Bord empfindet das als langweilig.