Der Götakanal bringt Freizeitkapitäne und Aktivurlauber ins Schwärmen. Er verbindet die beiden größten Seen des Landes miteinander.

Erik Fällström hat seinem Dackel gerade eine nagelneue Schwimmweste angelegt. Jetzt lehnt der Skipper mit dem Rücken am Mastbaum seiner Segelyacht, in der rechten Hand einen Becher mit Kaffee, in der linken die Leine für den Hund, und schaut hinunter zu seiner Frau, die am Ufer neben der Schleuse gerade an der elektrischen Schalttafel hantiert. Die Hydraulik setzt das große Tor in Bewegung, Erik wirft den Motor an und steuert das Schiff langsam aus der Wasserkammer. Minuten später werden beide die Rollen tauschen: Während er den Dackel am Kanalufer spazieren führt, übernimmt sie das Steuerruder an Deck - im Schneckentempo 200 Meter weiter bis zur nächsten Schleuse.

Früher Sonntagmorgen in Sjötorp, einer kleinen Stadt am Ostufer des Vänern, mit mehr als 5600 Quadratkilometern nicht nur der größte See Schwedens, sondern von ganz Westeuropa, zehnmal größer als der Bodensee. Kleine, bunte Holzhäuser spiegeln sich im Wasser. Noch ist es ruhig an den Schleusenkammern des Götakanals, die in Sjötorp den Übergang nach Västergötland regeln, einem rund 50 Kilometer breiten Landrücken, der sich in Mittelschweden zwischen die beiden größten Binnengewässer Skandinaviens, den Vänern und den Vättern, schiebt.

Sjötorp gilt als Tor nach Västergötland, dem schönsten Teil der Uferlandschaft des Götakanals, der wohl berühmtesten Wasserstraße Skandinaviens. In diesen Tagen haben die Einwohner Sjötorps ihr Städtchen festlich herausgeputzt, Girlanden zwischen die Häuser gespannt, die gelb-blauen Schwedenflaggen aufgezogen und den Platz neben dem roten Hafenspeicher mit einer Mittsommerstange geschmückt. Schließlich stehen zwei große Ereignisse vor der Tür - das Fest der Mittsommernacht am 24. Juni und der 175. Geburtstag jenes Bauwerkes, dem der Ort seine Existenz verdankt, des Götakanals.

Auch Erik Fällström will beim Feiern dabei sein. Mehrmals zwischen Mai und September, wenn der Kanal auch für Wassersportler freigegeben wird, unternimmt der passionierte Skipper eine Reise quer durch Schweden, von seiner Heimatstadt Göteborg bis Stockholm - ein Törn von mehreren Tagen und 600 Kilometern. Rund 60 Schleusen sind zu passieren, durch die der Kanal auf seinem Weg von Küste zu Küste einen Höhenunterschied von 92 Metern überwindet. "Mycket fantastisk" sei die Fahrt auf Schwedens blauem Band, sagt Erik Fällström. Einfach fantastisch. Und urgemütlich obendrein.

Dass es zwischen Vänern und Vätttern so gemächlich zugeht, dafür sorgen hier, auf einer nur knapp 40 Kilometer langen Teilstrecke des Götakanals, mehr als 20 Schleusen. Wie im Zeitlupentempo gleitet die Landschaft vorüber - sanfte Hügelketten mit Wäldern, Weiden und Wiesen. Birken und Weidenbäume rücken oft so nah ans Wasser heran, dass sie mit ihren Zweigen fast die größeren Yachten streifen. Rote und gelbe Bauernhöfe mit weißen Fensterkreuzen säumen den Kanal, und aus dem Grün der Uferböschung leuchten die bunten Stugas, die schwedischen Sommerhäuser. Die einstigen Häuschen der Schleusenwärter - fast überall ist heute die automatische Bedienung eingeführt - sind inzwischen zu Ferienwohnungen geworden. Viele der neuen Mieter haben sich ihre Sonnenterrassen direkt in den Kanal hineingebaut.

Auch Hans und Erika aus der Lutherstadt Eisleben beginnen zu schwärmen, wenn sie von ihrem neuen Leben am Kanal erzählen. Schwedenfans wurden die beiden, als sie nach der Wende zum ersten Mal nach Skandinavien reisten. Im vergangenen Sommer nun sind sie ganz nach Västergötland gezogen und haben an der Schleuse von Jonsboda das leer stehende Wärterhäuschen gepachtet - samt benachbartem Campingplatz mit Sauna und einem kleinen Restaurant. Segler und Kanuten können hier Station machen, denn Erika hat inzwischen gelernt zu kochen, was Schweden und Schwedenurlauber gerne essen - Fischsuppe und eingelegte Heringe mit frischen Dillkartoffeln zum Beispiel.

Manchmal gleitet ein Schiff an ihrem Haus vorbei, das so gar nicht zu den vielen modernen, schnittigen Motoryachten zu passen scheint. Drei historische Passagierschiffe pendeln noch heute zwischen Göteborg und Stockholm. Ihre Namen wirken so antiquiert wie sie selbst: " Juno", "Diana" und "Wilhelm Tham" - es handelt sich um schwimmende Denkmäler, denn alle drei Schiffe liefen bereits vor mehr als 100 Jahren vom Stapel. Ihre Kabinen sind zwar kaum größer als ein Schlafwagenabteil, doch ist man an Bord unmittelbar mit der Natur verbunden: Wer auf dem Promenadendeck die Kabinentür öffnet, kann vom Bett aus über die Reling direkt in die Landschaft schauen.

Was auch hätte man an diesen Oldtimern verändern sollen? Sie wurden so gebaut, dass sie millimetergenau in die alten Schleusen passen, und die stehen heute ebenso unter Denkmalschutz wie die Schiffe selbst. Denn längst gilt der Götakanal als bedeutendstes Industriedenkmal in Schweden, als "historisches Meisterwerk der Ingenieurkunst" - ein Titel, mit dem die "American Society of Engineering" den Kanal auszeichnete und ihn so mit der New Yorker Freiheitsstatue und der Golden Gate Bridge in San Francisco gleichsetzte.

Ein Kanal quer durch das Königreich Schweden, das war schon der Traum von König Gustav Vasa. Der Bau des ersten Abschnitts - vom Kattegat bis Trollhättan am Südufer des Vänernsees - begann schon Ende des 17. Jahrhunderts. Und vielleicht wäre der Götakanal niemals vollendet worden, hätten die Schweden nicht 1809 den Krieg gegen Russland verloren. Zehntausende schwedischer Soldaten mussten beschäftigt werden. 22 Jahre lang wurde an der künstlichen Wasserstraße gearbeitet. 58 000 Soldaten hoben, meist nur mit primitiven Holzspaten, den Kanal aus, hackten Millionen Tonnen Fels und Gestein aus der Erde und wurden für diese Knochenarbeit mit Schnaps entlohnt. Dass viele den Kanal bald für eine Schnapsidee hielten, lag allerdings daran, dass er bei seiner Eröffnung im September 1832 bereits museumsreif war. Schiene und Straße hatten ihn inzwischen als Transportweg überflüssig gemacht. Der Götakanal versank im Dornröschenschlaf, aus dem er erst 1978 wieder erweckt wurde - als Wasserstraße für den Tourismus.

Wo der Kanal in den Vätternsee mündet, liegt die Festung Karlsborg. König Karl XIV. Johan begann 1819 mit ihrem Bau, um sich und der Staatsbank eine Zuflucht zu verschaffen. 90 Jahre später war sie fertig - und veraltet. Heute ist die Wehranlage mit fünf Kilometern Festungsmauern, diversen Zinnen und Türmen eine Touristenattraktion.

In Forsvik dann die älteste Schleuse des Götakanals. Wenn die "Diana" oder die "Juno" an der Kaimauer festmachen, steht die Familie Kindblom an der Schleuse und singt fromme Choräle: Vater und Mutter mit Söhnen und Töchtern, alle in schwedischer Tracht, Feldblumensträußchen in der Hand. Forvik, das ist Geschichte - Kanalgeschichte. Hier arbeitete im Mittelalter die erste Dampfschmiede Schwedens; auf dem Gelände der einstigen Schiffswerft entsteht in diesen Wochen die "Eric Nordenhall II.", der originalgetreue Nachbau des ersten Schaufelraddampfers. Reinhardt Grosch, Kunstmaler in Göteborg, hat die Rekonstruktionspläne für den Nachbau entworfen. Dafür gab er extra sein Atelier auf und zog nach Forsvik um. "In wenigen Wochen ist Stapellauf", sagt er voller Stolz, "und noch im Juli wollen wir die erste Probefahrt machen - damit wir zum 175. Geburtstag des Kanals am 26. September rechtzeitig dabei sind."