Sachsen: Das kleinste deutsche Weinanbaugebiet lockt mit Schlössern, alten Parks und modernen Kellereien.

In die Weinberge habe ich mich sofort verliebt - und in den Blick über die Elbe! Für Georg Prinz zur Lippe war es ein Schlüsselerlebnis, als er nach dem Mauerfall in die Heimat seiner Eltern reiste nach Meißen in Sachsen. Über viele Generationen lebte seine Familie in Schloß Proschwitz auf einer Anhöhe am rechten Elbufer. Fast 250 Jahre lang betrieb der sächsische Zweig des westfälischen Fürstengeschlechts hier Weinbau und Landwirtschaft. Kurz nach Kriegsende war Schluß: Die sowjetischen Besatzungsbehörden enteigneten den Besitz.

Der damals 34jährige Münchner beschloß spontan: Ich werde Winzer. Stück für Stück konnte er den alten Familienbesitz zurückkaufen. Eine Rückgabe der vor DDR-Gründung enteigneten Ländereien schloß der deutsch-deutsche Einigungsvertrag kategorisch aus. Natürlich lief das nicht ohne Reibungsverluste. Denn die einheimischen Winzer, bisher in einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) organisiert, schauten dem blaublütigen Wessi mißtrauisch auf die Finger. "Mir wurde mancher Knüppel zwischen die Beine geworfen", erinnert sich dieser.

Inzwischen sprechen die Menschen an der Elbe aber nur noch von ihrem Prinzen. In fünfzehn Jahren hat Georg zur Lippe einen Vorzeigebetrieb aufgebaut. Im Weingut und in einer Brennerei beschäftigt er 34 Mitarbeiter, auf einer Anbaufläche von 55 Hektar gedeihen dreizehn Rebsorten - Weißweine von Elbling bis Scheurebe, Rote von Dornfelder bis Spätburgunder. Seine hochmoderne Kellerei verlegte der gelernte Agrarökonom in das rund fünf Kilometer von Meißen entfernte Zadel. Hier, in einem umgebauten Vierkanthof, können Weinliebhaber in einer Vinothek seine Qualitätsweine probieren.

Auch das barocke Familienschloß hat der Prinz saniert und in ein kleines, aber feines Veranstaltungszentrum umgewandelt. Dazu mußte er sich bis über beide Ohren verschulden. Er selbst wohnt mit seiner Prinzessin, der Fernsehmoderatorin Alexandra Gerlach, im benachbarten Gesindehaus.

Eine Nach-Wende-Story, die sich fast liest wie das Märchen vom armen Prinzen, der auszog, um in der Fremde sein Glück zu suchen. Für die Sächsische Weinstraße ist sie durchaus symptomatisch. An der 55 Kilometer langen Uferstraße zwischen Pirna und Diesbar-Seußlitz herrscht Aufbruchstimmung. Rund zwanzig Weingüter haben sich hier seit der Wende niedergelassen. Hobbywinzer sorgen zusätzlich dafür, daß die terrassierte Kulturlandschaft mit ihren typischen Trockenmauern erhalten bleibt.

Die Voraussetzungen sind bestens. Kontinentalklima, durchschnittlich 1570 Sonnenstunden pro Jahr, eine um ein Grad höhere Durchschnittstemperatur als an Saar oder Ruwer. Eine dicke Schicht Lößlehm verleiht den Weinen ein fruchtiges Bukett, das darunterliegende Granitgestein speichert Wärme und Wasser. Kein Wunder, daß bereits um 1100 der Meißner Bischof Benno die ersten Reben anpflanzte. Bis in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts prägte der Weinbau die Landschaft. Die lebenslustigen sächsischen Kurfürsten taten das ihre und errichteten an der Elbe Schlösser und Lusthäuser. Erst Mehltau und Reblaus machten dem weinseligen Treiben ein Ende. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es nur noch 60 Hektar Rebfläche im Elbtal. Heute sind es wieder 420 Hektar, auf denen allerdings nur 0,2 Prozent der deutschen Weinmenge produziert werden.

Das kleinste deutsche Weinanbaugebiet profitiert stark von der Anziehungskraft Dresdens, der Besucherstrom schwappt längst über die Stadtgrenzen hinweg. Der gut ausgebaute Elberadweg verbindet alle Winzerorte, und mit historischen Raddampfern wie "Pirna" oder "Kurort Rathen" kann man nach Meißen oder Schloß Pillnitz schippern, dem bezauberndem Lustschloß, das August der Starke seiner Mätresse Gräfin Cosel 1723 zum Geschenk machte. Architektonische Vorbilder für die anmutigen, verspielten Gebäude suchten sich die Baumeister Pöppelmann und Longuelune in China. Im Schloßpark zu sehen sind die Barke, mit welcher der König sich über die Elbe rudern ließ, um der Gräfin seine Aufwartung zu machen, und eine 250 Jahre alte Kamelie, die im Winter von einem beweglichen Glashaus geschützt wird.

Neugierige Wein-Fans werden im Weingut Schloß Wackerbarth (bei Radebeul) wohl am besten bedient. Zu jeder vollen Stunde schleusen Mitarbeiter Besuchergruppen durch eine verglaste Erlebnis-Kellerei, laden zuletzt, nachdem ausgiebig die metallic glänzenden Stahltanks bestaunt wurden, zu Wein- und Sektproben. Im Untergeschoß kann man auch Winzern über die Schulter schauen, die Cuvee Sekt nach dem Prinzip der Flaschengärung herstellen. Nach zweijähriger Reifung werden die Flaschen vier Wochen lang einmal täglich per Hand gerüttelt.

Einen schönen Kontrast zu der modernen Kellerei bildet die barocke Schloßanlage, die dem Weingut ihren Namen gab. Von Buchsbäumen und Skulpturen gesäumt klettern Parkterrassen einen Weinberg hinauf, auf dem das Lustschlößchen Belvedere thront. Einst gaben hier Beamte aus dem Hofstaat August des Starken glanzvolle Empfänge. Ihrer Vergänglichkeit müssen sie sich trotzdem bewußt gewesen sein, wie sonst gelangte der Sinnspruch "Menschengeschlechter ziehen vorüber, wie die Schatten vor der Sonne" über die Eingangstür des kleinen Palais?

Drittes im Trio der Besucher-Weingüter ist Hoflößnitz am nördlichen Rand der Karl-May-Stadt Radebeul. Ein schönes Ziel für Romantiker: Der Fachwerkhof ist nach allen Seiten von Rebhängen umschlossen, malerisch lehnen ausgediente Eichenfässer an der Hauswand, und im Gebäude selbst informiert ein kleines Museum über die Geschichte des Weinbaus in der Region. Hoflößnitz ist einer von zwei Winzerhöfen in Sachsen, die Öko-Weine herstellen. In der kleinen Bar im Museum kann man sie verkosten.

Nach der Weinprobe lohnt es, auf der Spitzhaustreppe, die vom sächsischen Baumeister Matthias Pöppelmann geschaffen wurde, hoch zum Aussichts-Restaurant Spitzhaus zu wandern. Die Terrasse bietet einen atemberaubenden Blick über das Elbtal bis zu den Tafelbergen der Sächsischen Schweiz. Auch Dresdens Türme bilden sich deutlich am Horizont ab, ergänzt durch die Kuppel der Frauenkirche.

Zu seinen Füßen sieht man die Villenstadt Radebeul liegen, Karl Mays Zuhause. Wer hat sie nicht gelesen, die phantasievollen Geschichten von Winnetou, Old Shatterhand oder Kara Ben Nemsi? In der Gründerzeitvilla des Schriftstellers, in einer ruhigen Seitenstraße gelegen, leben die alten Geschichten wieder auf. Heute ist sie Museum und zweigeteilt: In der Villa Shatterhand stehen der Schreibtisch des Dichters und Winnetous Silberbüchse, nebenan in der Villa Bärenfett werden Original-Tipis, Tomahawks und Kostüme der Indianer Nordamerikas gezeigt.

Größte Attraktion an der Weinstraße ist die Domstadt Meißen. Die gekreuzten blauen Schwerter haben das Elb-Juwel weltbekannt gemacht, deshalb strömen die meisten Besucher zunächst in die Staatliche Porzellan-Manufaktur (gegr. 1710) am Rande der Innenstadt. In der Schauwerkstatt kann man den Formern, Drehern und Porzellanmalern über die Schulter schauen, die umfangreiche Porzellansammlung zeigt historische Exponate wie zum Beispiel Tafelaufsätze für das Wettiner Königshaus, barocke Affenkapellen oder die Statuette Goethe im Hausrock (1828). Seinerzeit war der Dichterfürst mit der Darstellung seiner Figur höchst unzufrieden. Er fand sich zu dick und bat um Nachbesserung.

Genauso sehenswert sind in Meißen Albrechtsburg (1471- 1524) und der kleinste Dom Deutschlands (1477 vollendet). 304 Stufen führen an den vier Glocken vorbei auf die oberste Plattform, von der man einen herrlichen Blick über die Elblandschaft genießt. Noch schöner ist der Blick von der Frauenkirche über die roten Dächer hinüber zu Dom und Albrechtsburg. Den Schlüssel gibt's für einen Euro bei der Kirchenaufsicht. Praktischerweise befindet sich gleich am Kirchturm das Traditions-Restaurant Vinzenz Richter. Auf der gemütlichen Weinterrasse kann man seine Sightseeing-Tour bei einem Glas Weißburgunder oder Ruländer ausklingen lassen.