AUS SPASS treten die Pariser Garcons einmal im Jahr zum Wettkampf an. Lorenz Töpperwien Paris Grauer gezwirbelter Schnäuzer. Eine Fliege über weißem Hemd. Schwarze Hose, schwarze Schuhe. Hinter silberner Brille ein Paar flinke, verschmitzte Augen. Kein Zweifel: Francis Yard ist Kellner vom Scheitel bis zur Sohle. Und ein ebensolcher Franzose. Ungewöhnlich ist nur, dass er eine Nummer trägt: 334. Doch das hat, wie sich bald herausstellt, durchaus seine Richtigkeit. Denn Francis Yard ist Pariser. Und Paris ist in aller Welt berühmt für seine Straßencafes. Und die wiederum sind berühmt für ihre Kellner. Sie stehen einmal pro Jahr im Rampenlicht, beim Kellnerwettlauf im Juni. Da feiert sich die servierende Zunft der Stadt selbst - mit einem unübersehbaren Augenzwinkern. Denn hier geht es erst in zweiter Linie um Schnelligkeit und Ehre. "Pour le plaisir", sagt denn auch Michel Fernandez ohne Zögern: Um Spaß zu haben, deshalb sei er hier. Seine Eltern hat er gleich mitgebracht. Sie wollen sehen, was ihr Junge für eine Figur macht. Schließlich sind sie gleichzeitig seine "Chefs": Es ist ihr Cafe, in dem er kellnert. Genau wie sein Freund und Kollege Francis Yard. Der hat allerdings schon ein paar mehr Berufsjahre auf dem Buckel. Sogar im Guinness-Buch der Rekorde steht er drin: 1994 legte er bei einem 24-Stunden-Lauf mit Tablett und zwei Flaschen die sagenhafte Distanz von 171 Kilometern zurück! Dagegen sind die acht Kilometer, die heute vor ihm liegen, nicht mehr als ein Katzensprung. Im Übrigen ist er kein Neuling: Seit 23 Jahren wird der Pariser Kellnerwettlauf ausgetragen, und jedesmal war Francis dabei. Einmal wurde er sogar Zweiter. Der Parcours ist stets derselbe: Hôtel de Ville (so heißt in Frankreich das Rathaus), Opera, Louvre, Saint-Germain, Saint-Michel, Notre-Dame und wieder Hôtel de Ville - immer entlang der großen Boulevards. 500 Teilnehmer zählt das Feld, ein knappes Drittel davon sind Frauen. Jeder Garcon und jede Serveuse muss während des gesamten Rennens ein Tablett mit einer gefüllten Wasserflasche und drei Gläsern balancieren. Wer unterwegs etwas verliert oder zerbricht, fliegt aus der Wertung. Eine Kapelle spielt Marschmusik, die Läufer nehmen Aufstellung. Ein Schuss ertönt, und es geht los. Zuerst die Frauen, dann folgen die Garcons, die ersten im strammen Laufschritt, das Hauptfeld langsamer, dort herrscht Gedränge. Francis und Michel haben Glück, sie sind vorne mit dabei. Die Startnummer 345 macht schließlich das Rennen, genau 30 Minuten und 50 Sekunden später, Flasche und Gläser inklusive. Das Publikum ist begeistert. Nach einer weiteren halben Minute läuft Nummer 361 ein, ebenfalls noch mit komplett gedecktem Tablett. 356 und 294 passieren die Ziellinie Arm in Arm. Brandender Applaus. Dann kommt die 334: Francis. Eigentlich sieht er gar nicht übermäßig erschöpft aus. "Acht Kilometer lege ich an einem normalen Arbeitstag locker zurück", wird er später lachend erklären, "nur nicht in diesem Affentempo." Doch wo bleibt Michel? Das Feld ist weit auseinandergezogen. Ein Läufer lässt noch auf der Zielgeraden ein Glas fallen. Endlich erscheint auch Michel, mit großem Rückstand. Er hat unterwegs noch ein Bier getrunken - in einem Cafe, versteht sich. Information : Der diesjährige Kellnerwettlauf findet am 25. Juni statt. Start- und Zielbereich ist auf dem Rathausplatz (Hôtel de Ville).