Korsika gilt als die schönste aller Mittelmeerinseln. Außergewöhnliche Plätze und Landschaften haben daran einen wesentlichen Anteil.

Filitosa macht richtig Spaß! Anders als andere Ausgrabungsstätten, bei denen die Vorstellungskraft Mühe hat, aus kargen Resten uralte Kulturen wieder aufleben zu lassen, ist Korsikas berühmtester prähistorischer Fundort eine Offenbarung. Das Areal gleicht einem verwunschenen Zauberland - bemooste Zyklopensteine, knorrige Olivenbäume, monströse Opuntien und bizarre Felsen liefern der Fantasie jede Menge Futter: Trottet da nicht ein Elefant übers Gelände? Schleicht da eine Schildkröte durchs Gras? Reckt da nicht ein Dinosaurier seinen Zackenhals in die Höhe?

Ein fabelhaft atmosphärischer Rahmen für die eigentlichen "Superstars" auf dem Gelände: Menhire. Diese in grauer Vorzeit von Steinmetzen und Bildhauern kunstvoll aus Monolithen modellierten Figuren sind die ersten realistischen Darstellungen von Menschen in Europa; mehr als ein Dutzend der Langstein-Statuen machen Filitosa zu einem Schlüsselort korsischer Frühgeschichte.

Das größte Meisterwerk die-ser jahrtausendealten Megalithkultur wacht hinter dem Eingang: Filitosa V., eine fast drei Meter hohe Figur, bewaffnet mit Schwert und Dolch. Einige Wegwindungen weiter bezaubert Filitosa IX. durch sein ausdrucksstarkes Gesicht, das morgens und spätnachmittags besonders plastisch erscheint. Angeführt von Filitosa IV. zieht rund um einen 1000-jährigen Ölbaum eine weitere Gruppe imposanter Menhire die Besucher in ihren Bann - Filitosa ist ein Erlebnis, bei dem einem der Atem der Geschichte kräftig um die Nase weht.

+++In Etappen der Zivilisation entfliehen+++

In der Hitliste spektakulärer korsischer Orte belegt auch Bonifacio einen Spitzenplatz. Zwölf Kilometer von Sardinien entfernt thront die südlichste Stadt Frankreichs 60 Meter hoch über dem Meer auf einem windumtosten, wellengepeitschten Kalksteinplateau. Beschützt von gewaltigen Mauern und mächtigen Bastionen - eine eigenwillige Festungsstadt, die wegen ihrer strategisch günstigen Lage über Jahrhunderte umkämpft wurde: von den Erzfeinden Pisa und Genua.

Wie extravagant das Ensemble aus Felsen und Stadt tatsächlich ist, wird am besten sichtbar von Bord eines Ausflugsbootes. Vom sichersten Naturhafen des Mittelmeers am Ende eines fast anderthalb Kilometer langen Fjords ziehen Unter- und Oberstadt mit ihren kantigen, abrupt aufsteigenden Burgmauern und Wehrgängen wie auf einer Parade vorbei.

Auf mitunter ruppigem Meer zeigt dann die schneeweiße Kalksteinküste ihr zerfurchtes Gesicht. Seltsame Felsen wie der Grain de Sable, der wie ein Kopf aus dem Meer ragt, sanfte Lagunen, in denen das Wasser in kräftigen Blau- und Grüntönen leuchtet, und Grotten, die im Farbenspiel glänzen oder durch ihre Form auffallen: Saint-Antoine heißt im Volksmund auch Napoleon, weil sie verblüffend an den Hut des Franzosenkaisers erinnert.

Zum Finale gleitet noch einmal Bonifacio vorbei - diesmal die Meeresseite - mit aneinandergedrängten Häusern, die sich direkt am Abgrund an die teils überhängenden Steilfelsen klammern - der helle Wahnsinn und kein Anblick für schwache Gemüter.

+++Herbe Insel-Schönheit im Mittelmeer+++

Schon immer hatten die Korsen ein ausgeprägtes Faible für Bauwerke an besonders dramatischen Plätzen. Wenn die Sicherheit es gebot, war ihnen kein Berg zu steil, kein Felsensporn zu abweisend, um nicht wenigstens einen Wachturm daraufzupflanzen. Und manchmal sogar mehr: Ein ganzes Dorf, Sant' Antonino, hockt kühn wie ein Adlerhorst auf einer Felsnase hoch über den Tälern der Balagne - schon im 9. Jahrhundert suchten die Insulaner hier Schutz, wenn Piraten die Küstenorte plünderten. Noch heute kann man die engen Gassen, steilen Treppen und gewölbten Durchgänge nur zu Fuß erklimmen.

Ebenfalls auffällig - die vielen Sarazenentürme entlang der Küste. Die meist runden, manchmal viereckigen Signalbollwerke wurden jeweils in Sichtweite voneinander errichtet und dienten als Frühwarnsystem ebenfalls dem Schutz vor Piraten. Wurden feindliche Schiffe ausgemacht, entzündeten die Wächter ein Feuer als Nachricht für die beiden Nachbartürme; in nur zwei Stunden soll eine solche Warnung um die gesamte Insel gegangen sein.

Knapp 70 der einst mehr als 100 Türme erzählen von diesen aufregenden Zeiten, und fast immer stehen sie an landschaftlich ausgesprochen reizvollen Flecken. Sei es auf steil ins Meer abfallendem Felsen wie in Nonza mit Blick auf die wildromantische Westküste des Cap Corse. Oder in unmittelbarer Gesellschaft zum Löwenkopffelsen in einem Massiv über der Bucht von Roccapina. Sei es als markanter Wächter im umwerfenden Panorama mit den vier "Blutinseln" Iles Sanguinaires im Golf von Ajaccio. Oder sei es fast wie ein Schiffsbug in vorderster Front und zauberhafter Lage im Hafen von Porto.

Vom Hauptort des gleichnamigen Golfes, den die Unesco 1983 aus gutem Grund zum Weltnaturerbe erklärte, ist es nur ein Katzensprung bis zu einer weiteren umwerfenden Projektionsfläche für die Fantasie: der Calanche von Piana. Eine bizarre Felsenwelt aus Granit, die 400 Meter über dem Meer direkt an der Küstenstraße liegt und in der Abendsonne scharlachrot glüht.

Über Jahrtausende erschufen hier Wind, Salzluft, Regen und Sonne die wohl seltsamste und schönste Landschaft Korsikas. Da verbinden sich ein Schäfer und seine Holde zum "Herz der Verliebten". Da beichtet ein kniender Mann einem Mönch seine Sünden. Da blicken Indianer- und Frauenköpfe, Hexen und Eulen aus den Wänden. Da springt George Washingtons scharfes Profil aus dem Fels. Da flattern Adler und Truthahn mit den Flügeln. Da reißt ein Flusspferd sein breites Maul auf. Da steht ein Gehörnter bedrohlich am Weg.

Als Menagerie von Albträumen beschrieb der Dichter Guy de Maupassant die Tiere, Menschen und Ungeheuer, die sich in diesem Märchenwald tummeln, in dem jeder nicht nur typische, sondern auch ganz eigene Bilder finden kann. Die Vorstellung der Natur in der Calanche von Piana jedenfalls ist schlicht und einfach hinreißend.