Maria und Fernando sind aus Santiago de Chile angereist, um die Berliner Mauer zu sehen. Als sie 1989 fiel, waren sie Kinder. Im Reiseführer lasen sie, dass vom einstigen Bollwerk nur winzige Rudimente blieben, der Checkpoint Charlie als einstiger Diplomatenübergang aber noch ein eindrucksvolles authentisches Symbol der Zeit des Kalten Krieges sei. Dort steht das Paar und schaut auf brüllende Pseudo-Soldaten in Uniformen von US-Army und Roter Armee, die Touristen animieren, sich mit ihnen gegen Bares vor dem Abfertigungshäuschen mit Sandsäcken und grellen Peitschenlampen darüber ablichten zu lassen. Auf der einen Seite stehen vor dem Mauermuseum Bauchladenverkäufer, die Plastik-Kalaschnikows, Pelzmützen und Abzeichen der ruhmreichen Sowjetarmee anbieten, auf der anderen Seite gibt es Currywurst und Berlin-Souvenirs. Hier standen sich 1961 sowjetische und amerikanische Panzer fast auf Kanonenrohrlänge gegenüber, ein einziger Schuss wäre das Signal zum Dritten Weltkrieg gewesen.

Maria und Fernando wollen das nachspüren, aber sie stecken fest zwischen falschen Vopos (umgangssprachlich für den Volkspolizisten in der ehemaligen DDR), Kitschständen und dem Touristentrubel. Erst als sie ein paar Schritte weiter an der Friedrichstraße die Dokumentation mit ihren historischen Fotos und erläuternden Tafeln ablaufen, wird ihnen die Bedeutung des Ortes klar.

Hinterm Bretterzaun befindet sich der zu Ostern eröffnete "Freedom Park", das Gelände war als Mischung aus Geschichte und Gastronomie geplant, betrieben von einem irischen Investor. Es ist aber eine Versammlung von Imbissbuden, die Ess- und Trinkbares überteuert verkaufen. "Warum steht nicht die Geschichte, die sich hier abspielte, im Zentrum?", fragt Maria. Fernando versucht sich über Fantasienamen der Fressbuden zu amüsieren, "keb'up", "Kalter Hund" (nach Kaltem Krieg) oder "Glück to go". "Welches Glück?" überlegt er. "Der Kaffee im Pappbecher war abgestanden, ich habe ihn weggeschüttet."

Ein Bus speit junge Polen aus, sie haben vom Checkpoint im Unterricht erfahren und erhoffen sich ergänzende Informationen zum Schulstoff. Vergebens, nur Nepp. Drei Franzosen beklagen den drögen Kommerz, "und das an dieser Stelle". Ein Berliner Ehepaar, das Gäste begleitet, wird erst giftig und will dann schnell wieder weg. "Das ganze Chaos hier ist schlimm", sagt der Mann. Im Berliner Roten Rathaus weiß man das, aber nichts geschieht. Fast wäre das Projekt des irischen Investors gescheitert, dann wären Teile des Checkpoint Charlie unter den Versteigerungshammer gekommen. Berlin geht mit seinem Touristenmagnet Nummer eins schlecht um, die Stadt verprellt jährlich vier Millionen Besucher und lässt einen Gedenkort zum Rummelplatz verkommen.