Ein Jahrhundertregen lässt die Namib-Wüste ergrünen. Wo sonst nur öde Steppe ist, wachsen bunte Blumen, und das Gras sprießt meterhoch

Den Schlaf noch in den Augen, tasten wir uns zum brummenden Geländewagen vor. Wir müssen uns beeilen, damit wir rechtzeitig vor dem Sonnenaufgang ankommen. Es ist eisig kalt, die Luft ist klar. Eingehüllt in dicken Decken geht es hinauf auf einen Hügel. Und dann ist es so weit: Wenn die ersten Sonnenstrahlen die Gipfel der Berge im Osten in Licht tauchen, sieht man sie - Dünen, so weit das Auge reicht. Sie sind sternförmig mit kantigen Spitzen oder liegen nebeneinander geschichtet wie flauschige Daunenkissen. In leuchtendem Rot, Orange und Gelb grenzt Sandwelle an Sandwelle - ein wogendes Land, das seit Millionen Jahren jeden Morgen immer wieder aufs Neue erglüht.

Doch in diesen Tagen setzt die Natur ein Ausrufezeichen, hat alles verwandelt und die Palette aus Ockertönen ergänzt um die Schattierungen saftigen Lebens: Meterhoch steht Gras in den Tälern. Wiesen breiten sich aus, wo sonst nur toter Stein ist. Selbst die Dünen haben grünes Make-up aufgelegt. Ein Jahrhundertregen hat das Land neu erschaffen. Die Wüste blüht.

Alle reden sie momentan über das Wetter in Namibia. Monatelang hat es geregnet, geregnet und geregnet - so viel wie nie zuvor in den letzten 120 Jahren (ältere Aufzeichnungen gibt es nicht). Die vier großen Flüsse Kavango, Kunene, Orange und Sambesi traten über die Ufer - für kurze Zeit erklärte der Präsident den überfluteten Norden des Landes sogar zum Katastrophengebiet. Inzwischen sind die schlechten Nachrichten versiegt, die meisten Schäden behoben. Zwar gab es im Mai noch einige Schauer, doch offiziell und ganz reell ist nun Trockenzeit. Auf einmal vernimmt man nun die Stimmen der Botaniker und Ornithologen, die der Wildhüter und Nationalparkaufseher. Sie klingen euphorisch.

"Was wir nach dieser Regenzeit erleben, ist wirklich einzigartig", sagt Manie Le Roux, Chef der Ranger im Namib Naukluft Park. "Eigentlich ist die Namib eine der trockensten und lebensfeindlichsten Wüsten der Welt. Doch zum ersten Mal seit vielen Jahren floss der Tsauchab so stark, dass sich bei den Dünen von Sossusvlei ein großer See gebildet hat." In der Sprache der einst hier siedelnden Nama bedeutet "Sossus" in etwa "Blinder Fluss", weil der Tsauchab seit vielen Tausend Jahren eigentlich im Nichts endet. Heute steigt man als Besucher um sechs Uhr, wenn die Sonne noch nicht allzu sehr brennt, langsam auf die Düne am Ende des Tals und blickt dann hinunter in die Lehmpfanne. Als reale Fata Morgana liegt unten eine Oase, in deren blauem Wasser sich die anderen Sandberge spiegeln. Wie bestellt schreitet eine Oryx-Antilope, den gewölbten Bauch mit Gras gefüllt, zum Trinken herbei.

Eigentlich ist die Namib ein Lebensraum für Überlebenskünstler, die sich Wasser holen, wo eigentlich keines ist. Tiere lecken Tau und speichern Feuchtigkeit. Oder machen es wie der Kopfstandkäfer: Er stellt sich auf den Dünenkämmen auf den Kopf, um die winzigen Tröpfchen des vom Atlantik heranwallenden Nebels aufzusaugen. Dieses Jahr hat auch er es allerdings um einiges einfacher.

Das letzte gute Regenjahr für Namibia war 2006. Doch die aktuelle Saison ist so viel niederschlagsreicher, dass die Meteorologen des Namib Naukluft Parks die Maßstäbe ihrer Statistiken verändern, weil die Balken sonst nicht mehr aufs Papier passen würden. "Im Norden haben wir an manchen Wetterstationen statt der üblichen 22 Millimeter Niederschlag in dieser Regenzeit 187 Millimeter gemessen", berichtet Manie Le Roux. Im Süden der Wüste ist es noch extremer: "Die Spitzenwerte liegen bei über 250 Millimetern." Er schüttelt den Kopf, prüft seine Zahlen, fragt zur Sicherheit noch einmal bei einem Kollegen nach. Es stimmt: "So viel haben wir noch nie gemessen."

Die Natur hat ihre Chance erkannt - und ist explodiert. Millionen von Samen, die oft Jahrzehnte im Sand schlummerten, in Erwartung auf eine Regenzeit wie diese, sind gekeimt. Und trafen, weil es weiter regnete, auf optimale Bedingungen. "Das Gras ist doppelt so hoch wie üblich - und unglaublich dicht. Aus dem Flugzeug wirken die Täler zwischen den rostroten Dünen heute so grün, dass man sich vorstellen könnte, hier Milchkühe weiden zu lassen", schmunzelt Manie Le Roux. Zwar werden sich die Gräser in den nächsten Wochen und Monaten gelb und braun verfärben. Die ungewöhnlichen Ausblicke sind aber bis zum Ende der Trockenzeit im Oktober gesichert, wenn in Namibia der Frühling beginnt.

Das private Naturschutzgebiet Namib Rand Nature Reserve, das im Südosten an den Namib Naukluft Park angrenzt, bekommt auch in normalen Jahren etwas mehr Feuchtigkeit ab als die trockensten Partien der Namib-Wüste. Wer in diesen Tagen mit Aufseher Mike Scott durch sein Revier fährt, erlebt einen Wissenschaftler, dem das Staunen ins Gesicht geschrieben ist. "Im Oktober wuchs hier vielleicht jeden Meter ein Halm - jetzt wogt das Gras wie in einem Weizenfeld", murmelt der 62-Jährige.

Als Teppich breitet sich das Grün auch auf Flächen aus, die normalerweise so trocken sind, dass hier keinerlei Pflanzen überleben. Ob im Tal oder auf den grün betupften Dünen, wo plötzlich sogar Pilze aus dem Sand schießen: Nicht nur Gräser, sondern auch Blumen blühen. Mike Scott kommt mit den Erklärungen gar nicht nach: Wie Unkraut wuchert zum Beispiel der gelbe Morgenstern, ein paar Meter weiter sprießt in dunklem Violett der Wilde Sesam. Wüstenbohnen bieten sich summenden Bienen an und bilden erste Samen, Käfer tanzen auf Butterblumen. Und mit kleinen roten Blüten sorgt wilder Hibiskus für einen weiteren Farbtupfer im Meer der Gräser.

Auch die Tierwelt hat sich verändert. "Zum ersten Mal sehen wir hier Vögel, die eigentlich die Feuchtigkeit lieben", sagt Mike Scott. Und die Antilopen des Namib Rand Nature Reserve, das mit 170 000 Hektar mehr als doppelt so groß ist wie Berlin und sich eine 100 Kilometer lange Grenze mit dem Namib Naukluft Park teilt, sind so fett wie nie und produzieren reichlich Nachwuchs. "2006 hat sich unsere Springbock-Population nach der Regenzeit von 8000 Tieren auf 16 000 Tiere verdoppelt. Dieses Jahr gibt es aber so viel Nahrung, dass es vermutlich noch mehr werden." Auch Leoparden und Geparden werden ihren Nachwuchs gut durchs Jahr bringen. Und vielleicht kann man dann die scheuen Wildkatzen als Besucher etwas einfacher als üblich erspähen.

Den ersten europäischen Siedlern machte die Wildheit der Landschaft jedoch Angst. Sie schimpften Namibia "das von Gott im Zorn erschaffene Land" und waren wütend angesichts des allgegenwärtigen Mangels an Wasser - in normalen Jahren ist Namibia nämlich das trockenste afrikanische Land südlich der Sahara. Die große Leere, die Touristen heute anzieht, lässt sich am besten aus der Luft erleben - bei einer Tour im Kleinflugzeug oder, etwas exklusiver, bei einer Fahrt im Heißluftballon.

Ein letztes Fauchen, dann hebt der Ballon ab. Die Menschen im Korb zeigen nicht zum Horizont, nicht zu den Dünen, die bis ans Meer reichen, sondern nach unten. Man sieht sie auch vom Boden, besser aber aus der Luft: Runde, bis zu zwölf Meter große kahle Stellen im Gras perforieren zu Tausenden das wuchernde Grün am Rande des Sandmeers. Sind es Termiten, die im Untergrund jede Wurzel abnagen und so die unbewachsenen Kreise schaffen, in denen der rote Quarz leuchtet? "Feenkreise" nennt man das Phänomen, weil es Geschichten von Frauen in langen Gewändern gibt, die hier in der Nacht angeblich tanzen. Andere vermuten geomagnetische Felder oder Meteoritenpartikel als Ursache. Doch die Namib schützt ihre Geheimnisse - vollständig ist dieses Phänomen noch nicht erklärt.

Hier, im Tal der Feenkreise, liegt das Herz des Namib Rand Nature Reserve. Der Namibia-Deutsche Albi Brückner begann in den 1980er-Jahren damit, die Zäune zwischen den Schaffarmen der Region abzubauen und aus den überweideten Flächen ein großes Naturschutzgebiet zu schaffen. Sein Sohn hat die auf Stelzen gebauten Zelte des Wolwedans Dune Camp konzipiert und seine Kollektion inzwischen um vier weitere Unterkünfte erweitert. Das Wasser für die warme Dusche liefern Solarzellen, Stromanschluss gibt es keinen. Wer zu Fuß zur Rezeption gehen will, braucht Stunden. Doch die Segeltuchwände lassen sich öffnen, und so kann man vom Bett aus die ergrünte Landschaft genießen.

Luxus, das kann eben auch heißen, dass um einen herum nur Natur ist. Und wahrer Luxus kann auch bedeuten, die Farben der ältesten Wüste der Welt zu sehen, die vielleicht erst in einem Jahrhundert wieder so blühen wird wie in diesem Jahr.

Video: Flug über das Sossusvlei