Die Victoriafälle gehören zu den spektakulärsten Naturerlebnissen der Welt. Jede Sekunde stürzt hier mehr Wasser in die Tiefe, als ein Olympiaschwimmbecken fassen kann

Die Händler vor dem Park verkaufen Regencapes, dabei steht kaum eine Wolke am Himmel. Der Wald ist tiefgrün, die Sonne brennt heiß, ein gewöhnlicher tropischer Mittag. Nichts rührt sich, das Gelände ist flach. Und hier soll ein riesiger Wasserfall sein? Wenig lässt auf die 108 Meter tiefe Schlucht schließen, in die sich der Sambesi keinen Steinwurf entfernt über eine Breite von 1700 Metern hinabstürzt. Nur ein Rauschen liegt im Ohr. Noch einmal biegt der Weg ab, zum Cataract Point. Dann geben die Bäume plötzlich den Blick auf die Victoriafälle frei.

Hier kommt das Auge mit dem Verarbeiten der Bilder nicht mehr hinterher: Der Fluss schießt direkt hinter der Absperrung über die Bruchkante, jede Sekunde mehr Wasser, als ein Olympia-Schwimmbecken fassen kann. Die Hänge der Kluft fallen senkrecht ab und sind doch dicht bewachsen mit üppiger Vegetation. Die tosende Gischt am Grund steigt wieder nach oben, bis zu den wenigen Wolkenkissen am Himmel. Beide Seiten der Schlucht werden obendrein durch die Spektralfarben eines Regenbogens verbunden. Je nachdem, wie das Licht einfällt, liegen gleich zwei übereinander.

Seit 1989 sind die Victoriafälle Unesco-Weltnaturerbe - mit vollem Recht. Was Rucksack- wie Pauschalreisende hierher zieht, in das Zentrum des südlichen Afrikas an der Grenze zwischen Sambia und Simbabwe, ist ein Motiv, das die Vorlage für ein romantisches Gemälde sein könnte. Der schottische Forscher David Livingstone, der die Fälle 1855 entdeckte, sprach vom wundervollsten Anblick, der sich ihm je in Afrika geboten habe. Das Sonnenlicht bricht sich fast überall in der Gischt und malt einen Regenbogen. Um das Schauspiel zu sehen, lohnen mehrere Blickwinkel - zum Beispiel der eines Vogels. Das Ultraleicht-Flugzeug, eigentlich ein motorisierter Drachenflieger, hebt von der Landebahn ab. Gesteuert wird per Lenkstange, die einzige Sicherung ist ein Gurt über dem Bauch. Es geht etwa 200 Meter in die Höhe. Früher sei er Kampfflieger in Simbabwes Armee gewesen, erzählt der Pilot. Heute ist es sein Geschäft, Touristen über die Wasserfälle zu fliegen. 15 Minuten auf dem Schalensitz kosten 135 Dollar, und die CD mit den Bildern noch einmal 20 Dollar extra.

Etwa 200 Meter unter den Füßen fließt der Sambesi, der viertlängste Fluss Afrikas. Er trennt Sambia von Simbabwe und schneidet an den Victoriafällen tief in das sonst vollkommen ebene Land ein. Aus der Luft lässt sich die gewaltige Bruchkante des Flusses komplett überblicken. In der Regenzeit, zwischen November und März, wenn der Fluss das meiste Wasser führt, entsteht dort der größte Wasservorhang der Welt - gemessen an seiner Höhe und Breite. Der Regenbogen unten in der Schlucht sieht von hier oben sehr klein aus.

Der Flieger segelt zurück über den sambischen Nationalpark Mosi-oa-Tunya, was "donnernder Rauch" bedeutet. Nahe dem Ufer grasen im Licht des späten Nachmittags Elefanten. Aus der Luft sehen sie aus wie braune Steine und sind schwer zu erkennen. Die Silhouette eines Krokodils dagegen zeichnet sich deutlich im Flussbett ab. Lächeln bitte, sagt der Pilot ein letztes Mal, zeigt nach links, und die Kamera am Flügel löst einige Male hintereinander aus, um die staunenden Gesichter der Passagiere festzuhalten.

Dann landet das Flugzeug wieder auf der Buckelpiste, unweit von Livingstone auf sambischer Seite der Fälle. Ob Rafting, Mondschein-Touren oder Helikopterflüge - die meisten organisierten Ausflüge starten hier. In der Stadt gibt es zahlreiche Banken und Unterkünfte, von Luxus-Lodges bis zu günstigen Backpacker-Hostels. Die gute Infrastruktur zieht die Menschen an, auf den Bürgersteigen wird es manchmal eng. Der Supermarkt Shoprite hat sogar Blauschimmelkäse. Im Seven-Eleven in Victoria Falls Town, drüben in Simbabwe, ist das Warenangebot dagegen noch spärlich.

Seit der Staatskrise 2008 hat der Ort touristisch aber wieder aufgeholt. Die eine oder andere Nobel-Lodge lugt hinter den Büschen am Stadtrand hervor. Es sind jedoch kaum Leute auf der Straße zu sehen. Über der Stadt liegt eine Verlassenheit, die je nach Gemütslage Ruhe oder Beklemmung auslöst. Mit einem Tagesvisum über die Grenze zu fahren lohnt vor allem wegen des Nationalparks auf simbabwischem Staatsgebiet. Um auf die andere Seite zu gelangen, von "Zam" nach "Zim", geht es über die 128 Meter hohe Victoria Falls Bridge. Die Bogenbrücke aus Stahl liegt zwischen den beiden Grenzstationen und überspannt den Sambesi. Einige Männer verkaufen hier wertlose Simbabwe-Dollar, Scheine mit neun Nullen, die nach der Hyperinflation nur noch als Souvenirs taugen. Gezahlt wird mit US-Dollar. Auf der Brücke bringt sich ein junger Kanadier in Stellung, das Bungee-Seil an den Füßen. Er ist nervös und holt noch einmal Luft. Dann springt er direkt in den Regenbogen unter der Brücke hinein.

Einige Hundert Meter hinter der Grenze liegt schließlich der Eingang zum Victoria Falls Nationalpark. Die immerfeuchte Luft der Fälle lässt hier sogar tropischen Regenwald gedeihen. Affen springen durch die Bäume. Der Weg zum berüchtigten Danger Point führt aus dem Wald heraus auf eine Wiese. Die Spektralfarben ziehen sich jetzt unmittelbar vor den Augen durch die Luft, egal wohin der Blick fällt, und beinahe so, als könne man nach ihnen greifen.

Ein Warnschild weist auf die schlüpfrigen Steine um den Aussichtspunkt hin, direkt an der Schlucht. Eine Absperrung gibt es nicht. Dann geht eine rauschende Gischtwolke auf dem Weg nieder, heftiger als jede Dusche. Die Aussicht von hier macht nass bis auf die Unterhose. Die Händler mit den Capes am Parkausgang werden später lachen. Aber so ist es nun mal: ohne Wasser kein Regenbogen.